Audienz beim König

79 12 0
                                    


Träge drehte er den Kopf und lächelte zufrieden. Quendresa nutzte seinen Arm als Kopfkissen und kuschelte sich vertrauensvoll an. Sie hatte am Vortag unerwartet den ersten Schritt zur Annäherung unternommen. Nur noch wenige Tage, dann würde sie ihm erlauben, sie zu küssen. Der Rest war nur noch eine Frage der Zeit. Dass sie die Nacht friedlich neben ihm geschlafen hatte, war ein wichtiger Vertrauensbeweis. Endlich akzeptierte sie ihn als ihren Gefährten.

Er wandte sich zur anderen Seite, um das handgeschriebene Buch zu packen, das der Bibliothekar ihr anvertraut hatte. Die Aufzeichnungen bestätigten seinen Verdacht, was mit der ursprünglichen Königsfamilie passiert war. Mühsam schlug er es mit seiner freien Hand auf. Mit einem schnellen Seitenblick vergewisserte er sich, dass Quen noch schlief. Seine kleine Hexe schlummerte selig. Sie ahnte nicht, welche Strapazen ihnen noch bevorstanden.

Er unterdrückte ein Seufzen. Um seinen Plan in die Tat umzusetzen, benötigte er erst einen triftigen Grund, um nach Hayreni zurückzukehren. Jetzt, wo seine Gefährtin ihm vertraute, würde es ihm gelingen, dort auf Spurensuche zu gehen. Je mehr Informationen er zusammentrug, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Coup gelang.

Alasdair stützte das Buch auf der Bettdecke ab, brachte es wenig später dichter an sein Gesicht, um ein verschmiertes Wort zu entziffern. Aus dem hinteren Drittel des Büchleins flatterte ein zusammengefalteter Zettel. Die Flederkatze, die am Fußende geschlafen hatte, riss den Kopf hoch und stürzte sich mit ausgefahrenen Krallen auf das Stück Papier. „Aria, lass das", schimpfte er mit dem fauchenden Tier, als er versuchte, ihr die Beute abzujagen. Spitze Zähne bohrten sich in die empfindliche Haut zwischen Daumen und Zeigefinger. Alasdair fluchte herzhaft.

„Probleme mit deinem kleinen Liebling?" Quen setzte sich schmunzelnd auf. Sie schnappte sich den Zettel, den Aria hatte fallenlassen und las ihn stirnrunzelnd.

„Ich hätte ihr doch den Hals umdrehen sollen", knurrte er. „Was ist?" Angst und Misstrauen spiegelten sich im Gesicht seiner Gefährtin, als sie das Stück Papier fest an ihre Brust drückte. „Was hast du?" Besorgt beobachtete er, wie sich ihr Brustkorb unregelmäßig hob und senkte. Dann schloss sie von einem Moment auf den nächsten die Augen und zwang sich zu einer ruhigen Atmung.

„Hier, lies selbst", erwiderte sie schließlich mit erstickter Stimme. Ihre Finger zitterten, als er ihr den Zettel abnahm.

Sie ist nicht die letzte Hohe Großhexe. Auch andere Hexen und Hexer haben sich vor der Verfolgung versteckt. Auf Hayreni gibt es eine Niederschrift, die Euch helfen wird, den Rest aufzuspüren, um dem Krieg endlich ein Ende zu setzen.

Er schluckte schwer. Deswegen reagierte sie so. Sie vertraute ihm doch nicht, erwartete jetzt womöglich, dass er sich aufmachte, um weitere Großhexer zu töten. Er beugte sich zu ihr, strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich werde niemanden von ihnen töten. Den Rest erkläre ich dir, wenn wir auf Hayreni sind", flüsterte er ihr zu. Sanft zog er sie an sich heran, warf einen mürrischen Blick auf seine Hand, in die sich die Flederkatze verbissen hatte. Das Tier starrte ihn aus giftgrünen Augen an und ließ unvermittelt los. Schnurrend rollte es sich ein und erweckte den Eindruck, niemals jemanden vorsätzlich zu verletzen. Stirnrunzelnd schaute er auf die winzigen Löcher, aus denen dünn Blut floss.

„Lass mich das machen." Quen strich behutsam über die Wunden, die sich vor seinen Augen schlossen.

„Danke", murmelte er und lehnte sich vor, um seine Gefährtin auf die Wange zu küssen.

„Lord Chavdar?", erklang es vor der Tür.

Alasdair schnaubte genervt. Er erkannte die Männerstimme. Der junge Offizier, der bei jedem lauten Geräusch zusammenfuhr. „Was wollt ihr?", knurrte er irritiert über die Störung.

„Der König wünscht Euch um Schlag Neun zu sprechen."

„Richtet ihm aus, dass ich da sein werde." Alasdair warf einen Blick auf die Uhr. Eine Stunde blieb ihm. Er schob die Katze von sich runter, die beleidigt maunzte, und stand auf. „Wir sollten packen. Ich werde den König bitten, mich zurück nach Hayreni zu schicken, damit ich die Suche nach der hohen Großhexe, die mich töten wollte, fortsetzen kann." Verschmitzt zwinkerte er seiner Gefährtin zu. Hoffentlich verstand sie, was er ihr mitteilen wollte. Zögernd nickte sie. Es würde schwer werden, ihr Vertrauen vollends zu gewinnen.

Eine knappe Stunde später lief er mit Quendresa den langen Gang entlang, der zum Thronsaal führte. Unbehaglich betrachtete sie die Gemälde der vergangenen Könige und ihrer Familien. Vor einem blieb sie stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Prinz Deacon, der jüngste Sohn des letzten Königs, dem Alasdair gedient hatte. Der Mann, der sich ihrer Mutter aufgedrängt hatte.

Er zog seine Gefährtin an sich. „Er hat für seine Taten gebüßt, das versichere ich dir", raunte er ihr zu. Ein Schauder lief über ihren Körper. Kurz lehnte sie sich an, dann straffte sie ihren Rücken.

„Wir sollten den König nicht warten lassen", murmelte sie. „Ich weiß nicht einmal, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll."

„Halte dich im Hintergrund und überlasse das Reden mir. Ich möchte nur zu gern wissen, weshalb er mich zu sich bestellt."

Die zwei Wachposten öffneten ihnen die Tür zum Thronsaal. Prunkvolle Möbel aus längst vergangenen Zeiten standen im Raum. Ein roter handgeknüpfter etwa drei Meter breiter Läufer führte zum Thron, auf dem der König mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck saß. Alasdair ließ seinen Blick umherschweifen. Entgegen der üblichen Bräuche waren sie allein. Keine Höflinge oder Wachen, die den Herrscher bewachten. Der ideale Moment für einen Attentäter. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Quen auf die Knie sank, das Kinn auf der Brust.

„Tretet näher, General Chavdar", forderte der Mann auf dem Königsthron ihn auf. „Ich muss Euch abermals um einen Gefallen bitten. Die Oameni formieren sich neu. Wir mussten einige Handelsposten nach Angriffen schließen. Ich gehe davon aus, dass die junge Hexe, die Euch und Euren Männern entkommen ist, dafür verantwortlich ist. Kehrt nach Hayreni zurück und tötet sie."

„Sehr wohl, Herr." Das spielte ihm genau in die Karten. Der König lieferte ihm einen legitimen Grund, sich auf Quens Heimatplaneten umzusehen.

„Des Weiteren sollt Ihr herausfinden, ob es dort noch versteckte Vorkommen dieses schrecklichen Edelsteins gibt, den unsere Gegner für ihre Waffe verwenden."

Bei der Erwähnung des Kampfgeräts knirschte Alasdair mit den Zähnen. „Wurde sie erneut verwendet, Herr?" Wer auch immer dafür verantwortlich war, dass dieses Schreckgespenst zurückgekehrt war, würde es übelst bereuen.

„Nein, sie muss erst wieder aufladen. Wie es scheint, fehlen die notwendigen Ressourcen", winkte der König ab. „Aber ich will Euch nicht länger aufhalten. Besorgt alle Edelsteine, damit unsere Feinde sie nicht gegen uns verwenden können." Seine Stimme ließ keinen Zweifel darüber, dass die Audienz nun beendet war.

Alasdair verneigte sich höflich und drehte dann um. Etwas an den Worten des Herrschers störte ihn. Ein Blick auf seine Gefährtin bestätigte ihn in seiner Vermutung. Etwas war faul an der Sache.

In den Fängen der GripariWo Geschichten leben. Entdecke jetzt