Kapitel 7 // Liebe Worte, nicht von Herzen

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Das konnte Gloria nicht ernst meinen! Ich sollte daran Schuld sein? Ich war die meiste Zeit über nicht einmal da! Wieso stimmten ihr nur alle zu? Ich könnte so etwas doch niemals tun! 

"Nein! Ich würde so etwas nicht tun!", protestierte ich.

Gloria lachte. "Aber ich sage das und alle stimmen mir zu. Tu nicht so, als ob du lieb und nett wärst, du bist schon längst aufgeflogen, Kleines." 

"Aber du hast doch alle dazu gebracht!" Tränen traten mir in die Augen. Das konnte einfach nicht wahr sein! 

"Jetzt lügst du auch noch! Wirklich, gemeiner geht es kaum, Herzchen. Immer spielst du den Lehrern so ein Spiel vor. Aber wir werden deine Machenschaften nicht decken, da kannst du sicher sein. Wenn alle einer Meinung sind, dann muss es doch stimmen, oder?" 

Ich drehte mich um, um zu sehen, ob jemand etwas dagegen sagte, doch es gab niemanden. Der zweite Tag als Engel und ein Teufel hatte mich schon ausgetrickst. In mir machte sich ein neues, seltsames Gefühl breit. Es war, als wäre ich einen Moment kein Engel sondern ein normales Mädchen, das ungewöhnlich große Lust hatte, etwas zu zerstören. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und verspannte mich. Am liebsten hätte ich ihr die flache Hand ins Gesicht geschlagen, doch das ziemte sich nicht. Ich mochte sie nicht. Ich mochte sie ganz und gar nicht. Ich mochte sie so wenig, wie man einen Teufel nicht mögen konnte. Oder war es sogar Hass? 

"Ich war es wirklich nicht! Bitte, glauben Sie mir!" Ich wandte mich meiner Lehrerin zu. Ich hoffte wirklich, dass sie mir glauben würde. Ich meine, sie war Lehrerin, sie musste doch wissen, wann jemand log und wann nicht? 

"Also wirklich, wenn die ganze Klasse einer Meinung ist, muss ich Gloria leider zustimmen. So etwas Unvernünftiges und Gemeines hätte ich von dir wirklich nicht erwartet. Wie konntest du dich nur so verhalten? Du bist das schrecklichste Kind, das es in dieser Schule gibt, und ja, du bist wirklich noch ein kleines Kind, deinem Verhalten nach zu urteilen." 

"Aber ich war es nicht! Wirklich!" Immer mehr Tränen kullerten meine Wangen hinunter. Wie sollte ich nur meine Unschuld beweisen? Wieso glaubte mir bloß niemand? 

"Hast du nie gelernt, dass man nicht lügen soll? Meine Schüler lügen niemals, das haben sie schon gelernt. Die Schule ist bis siebzehn Uhr offen und du hast Zeit zu entscheiden, ob du lieber gestehen möchtest und mit einem Tadel und einer Suspendierung davonkommst oder ob du deine Schuld am Unfall weiterhin leugnen willst und wir das Ganze polizeilich klären müssen. Die Uhr tickt, acht Stunden hast du noch Zeit fürs Nachdenken. Alles mit einem Geständnis schulintern zu klären, wäre natürlich viel besser für dich. Du wirst schon sehen, so leicht bekommst du mich mit deiner Scheinheiligkeit nicht um den Finger gewickelt. Und hör endlich einmal auf zu Heulen, das wirkt bei mir auch nicht. Nach dreißig Jahren als Lehrerin weiß ich, wann Schüler lügen und wann nicht." 

Vor Tränen konnte ich nicht einmal mehr sprechen und klappte nur noch meinem Mund auf und zu. Ich betete, dass die Situation sich ändern sollte und irgendjemand die Wahrheit sagen würde außer mir, aber es änderte sich nichts. Ich war noch die so verzweifelt gewesen. Ich hatte die Wahrheit an meiner Seite und nie etwas Falsches getan und doch waren alle gegen mich. Wieso? Wieso nur? 

"Ja, Schätzchen Vitalina, nach dreißig Jahren weiß Frau Weinstädter, wann Schüler lügen. Sie sind eine wirklich gute Lehrerin, wirklich. Und da Sie die beste Lehrerin sind, sind wir, mit Ausnahme von Vitalina, die beste Klasse, nicht wahr, Frau Weinstädter?" Gloria grinste und lohnte sich vorne im Lehrerstuhl weit zurück, während meine Lehrerin zu lächeln begann. Wie konnte sie nur diesen Lügen Glauben schenken? Zum ersten Mal verstand ich, wie der Teufel es schaffte, die Menschen zu überzeugen. So simpel und doch so effektiv. Es war ein höllischer Gedanke, doch für einen Moment wollte ich so gut lügen können wie sie. 

"Aber natürlich! Ich bin die beste Lehrerin der ganzen Schule. Du hast wirklich recht, Gloria." 

"Wieso nur die beste Lehrerin der Schule? Des ganzen Landes! Oder sogar der ganzen Welt! Ich bin mir sicher, dass all Ihre Entscheidungen perfekt sind, so wie Sie, nicht wahr, Frau Weinstädter?" 

"Aber selbstverständlich, Gloria! Du bist eine wirklich wunderbare Schülerin. Wie konnte ich nur jemals an deinem Wort zweifeln. Ich werde dich höchstpersönlich für das Jahrgangslob vorschlagen, eine Auszeichnung, die nur die klügsten und gleichzeitig mutigsten Schüler bekommen." 

Frau Weinstädter lächelte mittlerweile äußerst breit und schien auch äußerst fröhlich zu sein. Dann drehte sie sich zu mir um und ihr Lächeln verschwand hinter einem angewiderten Blick, wie ihn Menschen hier wohl gerne für alle Situationen nutzen. 

"Und du, Vitalina, solltest dich schämen für deine Frechheit gegenüber mir und dem unzumutbaren Verhalten gegenüber deinen Mitschülern. Ich würde mich wirklich wundern, wenn dich überhaupt noch jemand nach dieser Aktion leiden kann." 

Was sollte ich ihr nur antworten? Sie schien mir sowieso nicht zu glauben. Alles schien umsonst. Wieso glaubte mir bloß niemand? Ich konnte Gloria nicht leiden, nein, ich hasste sie. Sie war das schlimmste Geschöpf auf Gottes Erden, das mir nur jemals über den Weg gelaufen war. 

Hoffnung ist oft ein Jagdhund ohne Spur--- 

Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt