Kapitel 15 // Vielleicht nicht engelsgleich

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Die Wochen vergingen und ich wurde immer ... menschlicher. Ich hatte tatsächlich damit begonnen, mich für den Unterricht zu interessieren. Viele Lehrer waren wirklich nett. Nur nicht Frau Weinstädter und unser Englischlehrer, dessen Namen, den niemand wusste und den niemand nachzufragen traute. Egal, was ich nur tat, sagte oder auch nur dachte, er war falsch für alle beide. Ich verzweifelte beinahe daran, es ihnen Recht zu machen. Wieso war es nur so schwer, sie davon zu überzeugen, dass sie mich mögen? Wieso mochten sie mich nicht? Wieso waren sie nur so gemein? Fragen, auf die ich keine Antwort wusste. Ich hätte sie gerne mit in den Himmel genommen, um ihnen die Welt zu zeigen, wie sie perfekt in allen Details sein könnte, aber Menschen kamen von dort leider nicht mehr zurück. Es war wirklich schade, dass ich niemanden mitnehmen konnte, denn ich war mir sicher, es hätte ihnen dort sehr gefallen und sie hätten dort auch viel gelernt. Doch so konnte ich nicht wirklich etwas bewirken. Ich hatte es mit Beten versuchten, auch mit Predigten, wobei sie mir nicht einmal zehn Sekunden lang zuhörten; alles war wirkungslos. 

Ich wusste nicht, was zu tun war. Mehrmals hatte ich gedacht, dass Frau Weinstädter beruhigt hatte, da sie ein Lob nach dem anderen aussprach. Doch es dauerte meist nur wenige Tage, bis sie wieder mit dem gemeinen Worten anfing. Es war hoffnungslos. Erst gab sie mir eine Eins nach der anderen und nannte mich als Vorbild für die ganze Klasse, nur um meine Aufsätze und sonst alles Mögliche förmlich in der Luft zu zerreißen. Mein Stil sei grauenhaft, das sei komplett unsinnig, es sei nicht wissenschaftlich, sondern zu gläubig geschrieben und ich solle nicht die gesamte Klasse mit zu langen Formulierungen und schwierigen Begriffen nerven, um nur ein paar ihrer Worte zu erwähnen. Es war zum Verzweifeln; ja, ich hasste sie schon beinahe. Wie konnte sie es auch nur annähernd wagen, mich, einen Engel, zu kritisieren? 

Der Englischlehrer war allerdings auch nicht viel besser. Alles war falsch für ihn; mein Benehmen, mein Aussehen, meine Ordnung, meine Pünktlichkeit und sogar meine Antworten. Als ob ich kein Englisch sprechen könnte, so einfach wie das war. Besonders meine Intonation schien für ihn ein Problem zu sein, auch wenn ich diese perfekt fand. 

Was machte ich überhaupt hier? Es hörte sowieso niemand auf mich! Noch nie hatte ich so ungläubige und gemeine Leute getroffen. Alle schienen mich zu ignorieren, nur Gloria hatte Erfolg. Schon jetzt hatte sie dutzende Freunde gewonnen. Alle Lehrer liebten Gloria, alle Schüler liebten Gloria, sogar die Eltern mochten Gloria, ganz im Gegenteil zu mir. Und kaum dass ich ein Wort gegen sie sagte, behaupteten alle, ich sei neidisch. Dabei konnte ein Engel nicht einmal auf einen Teufel neidisch sein. Niemals. 

War es wirklich so schlimm, jemanden zu hassen? Ich konnte daran nichts Schlechtes finden. In modernen Welt musste man auf die Dauer eben einige Regeln brechen, um Erfolg zu haben. Mit lieben Worten kam man nicht viel weiter. Sie hielt sich nicht an die Regeln des Himmels, also musste ich es auch nicht tun. Vielleicht würde ich so endlich in meinem Auftrag weiterkommen. Vielleicht würde ich so mein Ziel erreichen. 

Schreibtafel her, ich muss mirs niederschreiben,
Dass einer lächeln kann und immer lächeln
Und doch ein Schurke sein--- 

Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hierWo Geschichten leben. Entdecke jetzt