Kapitel 1

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Amalia Amaryllis Delacour

Jeder Mensch trägt einen Fluch mit sich und meiner ist es, die Beste zu sein, aber immer als Zweite gekürt zu werden.

So auch heute.

In dem Internat der Fashion Society wird in jedem Modul die Bestnote pro Semester nur einmal vergeben. Angeblich soll es dem Anfeuern des Ehrgeizes dienen, doch in Wahrheit fungiert es vielmehr als Brennholz für das Feuer meines Hasses. Es ist ungeschriebenes Naturgesetz, dass einem gewissen Herr Ellion Antoine Girard die Bestnote zugeschrieben ist. Der einzige Weg, die Bestnote zu erhalten, wenn man dasselbe Modul wie er besucht, ist mit ihm eine Partner- oder Gruppenarbeit zu machen, jedoch fällt dieses Privileg auf seinen treuen Mitläufer Tristan.

Mit zusammengekniffenen Augen starre ich Ellion an, der zu meinem Leid links neben mir sitzt und mir gerade grinsend seine Note für das Finalprojektes des 5. Semesters vor die Nase hält. Unsere weißen Zweiertische sind durch den Gang getrennt und zudem sitze ich am rechten Tischende neben der Wand und dennoch gelingt es ihm mir auf die Pelle zu rücken.

Aufgrund der ungeraden Modulteilnehmerzahl sitze ich allein an meinem Tisch – nicht, dass mich das stören würde. Ich arbeite besser alleine.

Es ist nicht so, als würde niemand neben mir sitzen wollen. Ich mag nicht die Beliebteste sein, aber das ist gerade deswegen der Fall, weil ich niemanden an mich ranlasse. Ich bin die unantastbare Königin des Internats, gehasst und geliebt aus demselben Grund. 

Nichtsdestotrotz suchen insbesondere Jungs meine Aufmerksamkeit und hoffen insgeheim, dass ich ihnen einen zweiten Blick schenke. Nur in der Öffentlichkeit verstecken sie ihre geheime Bewunderung hinter Hass. Ihr Ego ist zu gekränkt davon, dass alle ihre Nachrichten, Einladungen und Rosen von mir kaum wahrgenommen werden – und dabei handelt es sich um eine Menge Nachrichten, Einladungen und auch Rosen.

Erst letztes Jahr war ich in den Top 3 der schönsten Frauen Frankreichs gelistet. Mit meinem schmalen Gesicht, meinen vollen Lippen, meiner geraden Nase und meinen dunkelbraunen Haaren, die mir in leichten Wellen bis zur Rückenmitte fallen und die in der Sonne golden schimmern, habe ich schon viel Aufmerksamkeit auf mich gezogen.

Jungs fallen für mein Aussehen und rennen vor meinem Charakter.

Mit vor der Brust verschränkten Armen lehne ich mich an meine Stuhllehne zurück. »Nächstes Mal wird dir das Grinsen vergehen, Girard.«

»Die alte Leier?«, zieht Ellion mich mit seinem typischen schiefen, selbstgefälligen Grinsen auf. Seine pistaziengrünen Augen leuchten vor Vergnügen. Ich hasse Pistazien, aber seine allgemein anerkannte Schönheit hasse ich mehr. Auf der ganzen Welt schwärmt jedes menschliche Wesen von seinen wohlgeformten Lippen, seinen geschwungenen Wimpern, seiner ausgeprägten Kinnpartei, seiner bronzenen Haut und seinen glänzenden schwarzen Haaren, die in Wellen seine obere Gesichtshälfte umrahmen. »Wirkt sich der Verbitterung etwa auf dein Gedächtnis aus, Delacour? Muss ich dir in Erinnerung rufen, was die letzten Male passierte, nachdem du genau diese Worte gesprochen hast?«

»Achtung, Achtung«, sage ich mit möglichst ausdrucksloser Stimme. »Pass bloß auf, was du sagst, Girard, sonst fällt noch deine hübsche Fassade und deine wahre Natur kommt zum Vorschein.«

»Hey, bro.« Mit wachsendem Grinsen wendet sich Ellion seinem besten Kumpel Tristan zu, der mich aufgrund seiner braungoldenen Haare, seiner hellen Haut und dem kantigen Kinn stets an Disney Prinz Phillip erinnert. Leicht schlägt Ellion ihm gegen den Oberarm. »Du schuldest mir einen Hunderter.«

Rasch bedankt sich Tristan bei Professor Bradford und nimmt seine dreiseitige Rückmeldung entgegen, bevor er sich Ellion zuwendet. Schmunzelnd schüttelt Professor Bradford den Kopf, bevor er zu mir weiterläuft.

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