Die Bedrohung

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Doch...sie war eingeschlafen. Als sie erwachte, wusste sie zunächst nicht, wo sie sich befand. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sie die letzten Tage geschlaucht hatten und wie sehr sie diese kurze Auszeit mit Robert nun brauchte.

Sie blickte nach oben und das Erste, was sie sah, war Roberts Lächeln. „Bist du also auch wieder unter uns", witzelte er. Annalena blickte anschließend auf die mittlerweile leere Erdbeerenpackung, worauf Robert, der ihrem Blick gefolgt war, sofort entschuldigend sagte:"Tut mir leid, ich hatte Hunger und du hast so schön geschlafen, da wollte ich dich nicht wecken."
Annalena musste lächeln, als sie die roten Mundwinkel von Robert sah, die ihn ohnehin verrieten.
Es wurde langsam dunkel, also mussten sie schleunigst weiter. Sie packten zusammen, schwangen sich auf ihre Fahrräder und setzten ihre Tour fort.

Am Veranstaltungsort angekommen, holte sie der Alltag ein. Überall Menschen, Musik, grüne Luftballons und der Geruch nach Essen und Bier.
Sie setzten sich auf eine der aufgebauten Bänke und lauschten den ersten Rednern der Veranstaltung. Die Stimmung schien größtenteils gut zu sein, dennoch gab es ein paar Brüller, die ihrem Unmut Luft machen wollten.

Als Annalena mit ihrer Rede an der Reihe war, war sie aus irgendeinem Grund nervöser als sonst. Sie hatte ein merkwürdiges Bauchgefühl, welches sie vor irgendetwas warnen wollte.
Auf der Bühne angekommen, nippte sie an dem für sie bereitgestellten Glas Wasser und begann ihre Rede. Zunächst verlief alles ruhig, doch dann wurden die Stimmen immer lauter.

„Weg mit euch Grünen, weg mit euren Moralpredigten und Verboten. Ihr kümmert euch nur um die Ausländer, das deutsche Volk, unser ehrwürdiges Vaterland, ist euch doch völlig egal."

Annalena versuchte, sich davon nicht beeindrucken zu lassen und sprach weiter. Doch die Querulanten gaben keine Ruhe.
„Halt dein Maul, grüne Biotonne!"
„Wer gibt Schmarotzern und Studienabbrechern wie euch eine Bühne? Weg mit dir!"
Ein älterer Herr mit deutlichem Bauchansatz lief nach vorne und schrie: „So etwas hätte es in der DDR nie gegeben."

Annalena konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte der Herr sie bereits mit einem rohen Ei beworfen, welches sie mit voller Wucht an der Stirn traf.

Was war passiert? Sie hatte soeben einen kurzen, starken Schmerz an der Stirn verspürt und sah in das Gesicht des wütenden älteren Herrn in der ersten Reihe, der sie anscheinend mit irgendetwas beworfen hatte. So etwas war ihr noch nie zuvor passiert. Sie wollte doch niemandem etwas Böses und behandelte alle Menschen mit Respekt, egal ob sie politisch ihrer Meinung waren, oder nicht. Und genau das erwartete sie von anderen auch. War das zu viel verlangt?

Robert, der wutentbrannt auf den Übeltäter zurannte, um ihm eine gehörige Abreibung zu verpassen, wurde von zwei Sicherheitsbeamten aufgehalten, welche den Eierwerfer kurzerhand an der Schulter packten und abführten.
Als er sah, dass sich um den Schreihals entsprechend gekümmert wurde, lief er stattdessen zu Annalena und umarmte sie. „Alles okay bei dir?"

Ihr kamen die Tränen, als Robert sie in den Arm nahm. Normalerweise war sie nicht allzu nah am Wasser gebaut, doch die Situation überforderte sie, auch wenn sie sich das nicht eingestehen wollte. Der Schmerz über ihrem Auge war in diesem Moment zweitrangig, viel größer war der emotionale Schmerz, dass Menschen so hasserfüllt sein konnten.

I can still recall our first summerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt