Ein Junge namens Rowin

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Heidrun:
Der kühle Wind strich mir sanft übers Gesicht, während ich auf Windfangs Rücken durch die Luft flog und aufs Meer hinausblickte. „Hast du schon etwas gesehen?", fragte mein Bruder Dagur, der auf seinem Dreifachstachel Schnüffler neben mir flog. Seit wir Johanns Drachenjäger Imperium vor etwa einer Woche zerstört haben, flogen ich und mein Bruder täglich Patrouille um die Insel. „Nein, noch nicht, ich glaube mittlerweile haben alle Drachenjägerschiffe diese Gewässer verlassen", gab ich zurück und blickte noch einmal durch mein Fernrohr. Langsam glitt mein Blick am Horizont entlang, da war nichts als Wasser, Wasser, ein paar Felsnasen, noch mehr Wasser, ein großes Schiff... Halt, ein großes Schiff?

„Dagur, siehst du das da vorne auch?", fragte ich. „Ja, es sieht aus wie ein Drachenjägerschiff", antwortete er nach einem Blick durch sein Fernrohr, „Lass uns näher heranfliegen und uns die Sache aus der Nähe ansehen." „Einverstanden", erwiderte ich. Schnell hatten unsere Drachen den Weg zum Schiff zurückgelegt, wobei von Nahem betrachtet Schiffswrack besser passen würde. Die Segel waren völlig zerfetzt, die Reling zerbrochen, einer der drei Masten abgeknickt und die Beplankung an vielen Stellen verkohlt. Überall an Deck lagen fallengelassene Waffen, umgekippte Fässer und einige Rüstungsteile herum. „Sieht aus als hätten Hicks und die Anderen dem Schiff bei ihrem Rückflug schon einen Besuch abgestattet", vermutete ich. „Gut möglich. Auf jeden Fall geht von dem Schiff keine Gefahr mehr aus. Lass uns zurückfliegen!", schlug Dagur vor.

Ich wollte gerade einwilligen, als mir etwas an Deck auffiel, zuerst dachte ich es wäre nur ein Schatten, doch nun bemerkte ich, dass es wie eine am Boden liegende Gestalt aussah. „Warte mal Dagur, ich glaube da liegt jemand auf dem Schiffsdeck", rief ich. „Ist wahrscheinlich nur ein Drachenjäger", meinte mein Bruder. „Nein, dafür ist er zu klein. Gib mir Deckung, während ich mir das mal ansehe", bat ich. „Na gut, aber sei vorsichtig!", willigte Dagur ein. Langsam ließ ich Windfang auf dem Deck landen, nahm meine Axt in die Hand und ging zu der Gestalt hinüber. Mit einem leichten Aufatmen bemerkte ich, dass es ein Junge in meinem Alter war. Seine Augen waren geschlossen, er hatte schwarze Haare, trug Kleidung aus ebenso schwarzem Leder, das ich bisher noch nie gesehen hatte und trug eine seltsame Tätowierung am rechten Unterarm. Allerdings war der Junge auch verletzt, der rechte Oberarm wurde von einer langen, flachen Schnittwunde entstellt und aus seinem rechten Oberschenkel ragte der Schaft eines Pfeils.

„Es ist nur ein Junge Dagur und er ist schwer verletzt, wir müssen ihn zur Insel bringen!", rief ich meinem Bruder zu. „Alles klar, ich fliege schon mal vor und gebe den Heilern Bescheid", erwiderte er. Vorsichtig hob ich den Jungen auf und setzte ihn in Windfangs Sattel, als ich seinen Oberkörper gerade auf den Haltegriffen von Selbigem ablegte, öffnete er plötzlich seine Augen ein Stück weit. Der Blick seiner eisblauen Augen viel sofort auf den Kopf meines Klingenpeitschlings und er schien etwas zu murmeln. „L... Leyla...", war das Einzige, was ich verstehen konnte, bevor sein Blick auf mich fiel und sich seine Augen wieder schlossen.

Es ist ungefähr eine Stunde her, seit ich zurück auf der Insel war und den Jungen Gorm, unserem Heiler, übergeben hatte. Jetzt stand ich vor Gorms Hütte und wartete darauf, dass er endlich wieder nach draußen kam, und mir sagen würde, was mit dem Jungen war. „Du stehst ja immer noch hier!", hörte ich Dagur plötzlich hinter mir sagen. „Ja, mir geht dieser Junge einfach nicht mehr aus dem Kopf", gab ich zurück. „Das merkt man", meinte Dagur und stellte sich neben mich. „Was mich am Meisten beschäftigt sind diese Symbole, die auf seinen rechten Unterarm tätowiert wurden. Ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken, denn eines davon sah haargenau so aus, wie das Zeichen was Hicks damals zum Wappen seiner Drachen-Akademie auf Berk gemacht hat", erklärte ich. „Das ist in der Tat ziemlich interessant", meinte Dagur.

Ich wollte gerade noch etwas sagen, als auf einmal die Tür zu Gorms Hütte geöffnet wurde und der Heiler endlich heraustrat. „Und, wie geht es ihm?", fragte ich. „Er wird wieder. Seine Verletzungen sind zum Glück nur oberflächlich, aber ich kann nicht genau sagen wann er wieder aufwacht, nur das er wieder aufwachen wird, ganz bestimmt", antwortete Gorm. „Darf ich zu ihm gehen?", fragte ich, bevor ich genauer darüber nachdenken konnte, was ich da gesagt hatte. „Von mir aus, gerne. Ich muss sowieso einmal ganz kurz frische Heilkräuter suchen, dauert zwar nicht lange, aber es wäre trotzdem besser, wenn er weiter unter Aufsicht steht", meinte Gorm. „Gut, ich behalte ihn im Auge und du suchst die Kräuter", schlug ich vor und war schon halb ins Haus getreten. „Ich bin gleich zurück!", gab Gorm noch zurück.

Die Hütte des Heilers war ziemlich bescheiden eingerichtet, unten stand ein Tisch, zwei Stühle, einige Schränke und ganz hinten stand noch ein Bett für Gorms Patienten. Von der Decke hingen einige Heilpflanzen, die ein wunderbares Aroma verbreiteten und an der Seite führte eine Treppe hinauf zu dem Zimmer, in dem Gorm wohl schlief. Mein Blick blieb jedoch sofort an dem Jungen hängen, der in dem Krankenbett lag und scheinbar friedlich am Schlafen war. Bis auf seine Arme, von denen der rechte zur Hälfte verbunden war, und sein Kopf war der ganze Körper des Jungen mit einer Decke verhüllt. Immer noch neugierig betrachtete ich den Teil der Tätowierung, der nicht verdeckt war, und versuchte die abgebildeten Zeichen zu verstehen.

Wie ich es in Erinnerung hatte war auf dem Handrücken das Nachtschatten-Symbol zu sehen, die anderen Zeichen hatten Ähnlichkeit Buchstaben, nur hatte ich keine Ahnung, was sie bedeuten könnten. „Hast du vielleicht eine Idee, was diese Zeichen heißen könnten?", fragte ich Dagur, der gerade den Raum betrat. Langsam trat er ans Bett und sah die Zeichen lange an. „Nein, keine Ahnung", antwortete er dann. Eine Weile standen wir beide einfach nur da, betrachteten die verschiedenen Zeichen und rätselten still über ihre Bedeutung. Dann flatterten jedoch plötzlich die Augenlider des Jungen, nach kurzer Zeit hatte er es geschafft, sie völlig zu öffnen, und blickte sich verwirrt um. „Hallo, kannst du mich hören?", fragte ich vorsichtig. „Ja, wer... wer seid ihr zwei und wo bin ich?", fragte er. „Keine Angst du bist in Sicherheit. Mein Name ist Heidrun und das ist Dagur", stellte ich mich und meinen Bruder vor, „Wie ist dein Name?" „Rowin, was... was ist passiert?", fragte er noch immer verwirrt. „Wir haben dich an Bord eines Drachenjägerschiffs gefunden, du warst verletzt, deshalb haben wir dich hierher auf die Berserker Insel gebracht.", erklärte ich, „Wie fühlst du dich?" „Na ja, es ging mir schon mal besser", erwiderte Rowin, „aber eigentlich lässt es sich aushalten."

„Was ist passiert und wieso warst du auf diesem Schiff?", fragte Dagur. „Ich weiß nicht genau, meine Erinnerungen sind irgendwie etwas verschwommen. Ich glaube, ich war auf meiner Insel und bin spazieren gegangen, dann hat mich ein Drache gepackt und ist mit mir aufs Meer hinausgeflogen. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich hart auf den Planken eines Schiffes aufkam und von der Besatzung angegriffen wurde. Ich habe versucht mich zu wehren, aber es waren so viele, plötzlich spürte ich einen reizenden Schmerz an meinem Arm, bevor alles um mich herum dunkel wurde. Das ist das Letzte, woran ich mich noch erinnere", fasste Rowin zusammen. „Die Drachenjäger müssen versucht haben den Drachen, der gepackt hatte abzuschießen, weshalb er dich fallengelassen hat. Wahrscheinlich ist der Drache auch in einem Schwarm mit einigen Freunden geflogen, die das Schiff dann so verwüstet haben, wie wir es gefunden haben", vermutete Dagur. „Ja, da hast du recht Bruder", stimmte ich zu, „Hast du eine Ahnung wie die Insel, auf der du zuhause bist, heißt?"

Rowin legte die Stirn in Falten und dachte anscheinend scharf nach. „Nein, tut mir leid. Ich erinnere mich nur noch an weite, grüne Wiesen", antwortete er nach einer Weile. „Nicht weiter schlimm, wir finden es schon heraus und vielleicht kommt dein Gedächtnis auch bald wieder zurück", versuchte ich ihn zu beruhigen, „Wenn du willst kannst du bis dahin gerne hierbleiben." „Danke", antwortete Rowin und richtete seinen Blick wieder in Richtung Decke, er schien wieder nachzudenken.

Hallo und willkommen zu meiner ersten Story zu Dragons und meiner zweiten auf Wattpad. Hoffentlich gefällt es euch bis hierher. Falls ihr Verbesserungsvorschläge habt, schreibt sie einfach in die Kommentare.

Dragons: Der SeelenbundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt