Die Fähigkeiten eines Seelenkriegers

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Rowin:
Es war bereits Abend als Heidrun und ich wieder am Tisch des Gemeinschaftshauses saßen. Ich hatte für uns beide Fisch gefangen und gebraten, doch die frischgebackene Seelenkriegerin bekam kaum etwas hinunter, was ich gut verstehen konnte. Nachdem Heidrun einigermaßen verarbeitet hatte, dass Windfangs Seele nun in ihrem Körper weiterleben würde, hatten wir ihren toten Körper so gut es ging beerdigt. Nach alter Wikingertradition hatten wir sie auf ein altes Boot, was noch vor der Drachenklippe lag, gebettet und sie auf das Meer heraustreiben lassen, um es dann in Brand zu setzen. Zum Glück waren die vielen Prellungen, Abschürfungen und teils auch Schnitte, die Heidrun im Kampf davongetragen hatte, durch den Seelenbund verheilt. Eine eigentlich ziemlich praktische Nebenwirkung. Auch die Tätowierung auf meinem linken Arm war wieder verschwunden, nachdem ich den Seelenbund zwischen Heidrun und Windfang geschlossen hatte. Mit einem Schaudern dachte ich zurück an all die Schmerzen, die ich dabei gespürt hatte. Vier Seelen, die sich gleichzeitig in einem Körper aufhalten, sind definitiv eine oder auch zwei zu viel. Schon zum fünften Mal in den letzten zehn Minuten blickte Heidrun auf die Tätowierung an ihrem Arm. „Genau das habe ich auch gemacht", sagte ich, um das Schweigen endlich zu brechen. „Du hast auch alle paar Minuten dein Tattoo angestarrt?", fragte sie. „Oh ja", antwortete ich, „Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran."

„Du kanntest den Drachen, mit dessen Seele du dich verbunden hast aber auch nicht persönlich", merkte sie an. Sie hatte diese Worte kaum zu Ende gesprochen, da verkrampften sich meine Finger auch schon um mein Messer, was Heidrun natürlich bemerkte. „Tut mir leid", entschuldigte sie sich, „das hätte ich nicht sagen dürfen." „Nicht schlimm, in gewisser Weise hast du ja recht", erwiderte ich, „Außerdem sorgt ein frisch geschlossener Seelenbund immer für ein leichtes Chaos bei den Gefühlen. Dich trifft also keine Schuld." Da musste Heidrun dann doch lächeln. „Na geht doch", dachte ich mir im Stillen. „Waren deine Gefühle damals auch so chaotisch?", fragte sie immer noch lächelnd. „Nein, meine waren noch schlimmer", gab ich wahrheitsgemäß zurück. Sofort lachten wir beide laut los und konnten uns erst nach einigen Minuten wieder beruhigen. „Wie lange dauert es denn bis sich dieses Chaos wieder gelegt hat?", fragte Heidrun. „Keine Sorge, spätestens morgen Mittag sollten sich deine Gefühle beruhigt haben. Dann müssten sich nämlich deine und Windfangs Seelen aufeinander abgestimmt haben", erklärte ich, „Bis dahin solltest du dich aber darauf einstellen, dass sich deine Erinnerungen kurzzeitig mit denen von Windfang vermischen. Gerade für deine Träume könnte das äußerst seltsam bis unheimlich werden, besonders wegen der Ereignisse des heutigen Tages." Mir war zwar bewusst, dass diese Nachricht nicht gerade das war, was Heidrun jetzt hören sollte, doch noch schlimmer wäre es, sie ohne Vorbereitung in die Probleme rennen zu lassen.

„Darüber wollte ich sowieso nochmal mit dir reden", meinte Heidrun nach einer Weile, „Nach allem, was heute so passiert ist, wollte ich dich nämlich fragen, ob du etwas dagegen hättest, wenn ich diese Nacht wieder bei dir in der Hütte schlafe. Weißt du, ich hätte gerne etwas Gesellschaft." Das traf mich zugegebenermaßen völlig unvorbereitet und ich konnte sehen, dass Heidruns Wangen bei den letzten Worten leicht rot geworden waren. Ich hatte mit vielen Wegen gerechnet, welche Heidrun einschlagen würde, um mit ihrer neuen Situation umzugehen, doch nicht damit, dass sie meine Gesellschaft suchen würde. „Wenn du unbedingt willst, werde ich dir nicht im Weg stehen", willigte ich ein, „Du kannst das Bett haben, ich nehme die Steinplatte." Den Rest des Essens verbrachten wir schweigend und beide mit erröteten Wagen.

Als es Nacht wurde, liefen wir zu Hicks Hütte und ich legte mich wie besprochen als Nachtschatten auf die Steinplatte, während Heidrun es sich im Bett gemütlich machte. Jedoch schien Heidrun einfach nicht einschlafen zu können und nach zwei Stunden, in denen sie sich fast ununterbrochen von der einen Seite auf die andere gewälzt hatte, beschloss ich etwas zu unternehmen. Daher erhob ich mich von der Platte und trat langsam an die Kante des Bettes, was Heidrun natürlich sofort bemerkte. „Ist alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig. „Ja, nein", meinte sie, „Ich kann einfach meine Augen nicht zumachen ohne zu sehen, wie Windfang zusammenbricht, es ist einfach furchtbar." „Das verstehe ich", gab ich zurück, „Zusammen mit deinen vom Seelenbund aufgewühlten Emotionen macht es einem eine solche Erinnerung nicht leicht zur Ruhe zu kommen." Zum zweiten Mal heute tat Heidrun nun etwas, was ich eher nicht erwartet hatte. Nämlich fiel sie mir um den Hals und, um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, hörte ich sie leise schluchzen, normalerweise weinte sie doch nie.

Dragons: Der SeelenbundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt