Liebe, Segen oder Fluch

45 5 8
                                    

Rowin:
Heidruns Kuss traf mich völlig unerwartet. Ich hatte mich immer gefragt, wie sich mein erster Kuss wohl anfühlen würde, und nun erlebte ich ihn endlich, es fühlte sich viel besser an, als ich gedacht hatte. In meinem Bauch schienen Dutzende Schmetterlinge umherzufliegen, meine Wangen waren gerötet und die Raumtemperatur war schlagartig angestiegen. Nach etwa einer Minute lösten sich unsere Lippen wieder voneinander und wir schauten uns tief in die Augen. „Ich liebe dich Heidrun", gestand ich schließlich, „Ich habe dich geliebt seit ich dich in Gorms Hütte zum ersten Mal gesehen habe." Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, warum ich ihr das so offen und direkt gestanden hatte, doch es fühlte sich falsch an, es in dieser Situation nicht zu tun. „Ich denke, ich liebe dich auch Rowin", erwiderte Heidrun, ebenfalls mit erröteten Wangen. Erneut küssten wir uns. „Wollen wir dann vielleicht essen?", fragte ich, nachdem wir uns voneinander gelöst hatten. „Sehr gerne", antwortete Heidrun. Mit einem breiten Lächeln auf unseren Lippen setzten wir uns an den Tisch und machten uns über das Abendessen her. Heidrun stöhnte beim Essen einige Male genießerisch auf, ganz offensichtlich hatte ich mich als Koch noch einmal selbst übertroffen. Es dauerte etwa eine Stunde bis wir unsere üppige Mahlzeit schließlich beendet hatten und uns in unsere Stühle fallen ließen.

„Du überraschst mich immer wieder Rowin", meinte Heidrun. „Solange die Überraschungen angenehm sind, wüsste ich keinen Grund das nicht zu tun", gab ich lachend zurück. „Ich auch nicht", erwiderte Heidrun. Ihr Lächeln machte mich etwas verlegen, weshalb ich erstmal schwieg. Der Sonnenuntergang war schon fast vorbei, weswegen wir schließlich zurück in Hicks Hütte gingen. Gerade hatte ich mich in einen Nachtschatten verwandelt und auf der Steinplatte zusammengerollt, als Heidrun mich plötzlich mit einem seltsamen Blick in den Augen ansah. „Hast du was dagegen, wenn ich mich zu dir lege?", fragte sie etwas schüchtern. „Nein, ganz im Gegenteil. Diesen Wunsch werde ich dir gerne erfüllen", lenkte ich grinsend ein. Genau wie damals, als Heidrun die Vorstellungen von Windfangs Tod nicht loslassen konnte, breitete ich meinen linken Flügel auf der Platte aus und machte ihr Platz. Heidrun richtete sich auch genau wie damals mit Kissen und Decke ein, nur dass sie sich diesmal gleich an meinen Bauch kuschelte. Vorsichtig drückte ich sie mit meinen Beinen leicht gegen mich und deckte sie mit meinem rechten Flügel ganz behutsam zu. Zufrieden lächelnd schlief ich ein, während sich Heidrun weiter an meinen Bauch schmiegte.

Der nächste Morgen meldete sich mit einigen unter der Tür der Hütte hindurchscheinenden Sonnenstrahlen. Verschlafen gähnte ich ausgiebig und hätte Heidrun fast zerquetscht, als ich mich auf die andere Seite drehen wollte. Erst im letzten Moment fiel mir ein, dass meine Freundin neben mir lag und hielt inne, langsam bekam ich die Ereignisse des letzten Tages wieder zusammen. Lächelnd erinnerte ich mich an unser gegenseitiges Liebesgeständnis vom Vorabend, es war der allerschönste Moment meines Lebens gewesen. So glücklich war ich im Seelenreich bisher noch niemals gewesen, nicht mal als ich damals meinen Seelenbund mit Feuerblitz geschlossen hatte. Ein leichtes Rekeln an meinem Bauch machte mich darauf aufmerksam, dass Heidrun aus ihrem Schlaf erwacht war. „Ausgeschlafen?", fragte ich sie und bemerkte viel zu spät wie schläfrig meine Stimme klang. „Das fragt hier genau der Richtige", gab sie schmunzelnd zurück, „Aber ich habe gut geschlafen, danke der Nachfrage." Glücklich standen wir beide auf und verließen schließlich die Hütte, um unser Frühstück zuzubereiten.

Doch so weit sollte es nicht kommen, denn im Gemeinschaftshaus wurden wir bereits erwartet, und zwar von der einen Person, die ich gehofft hatte nie wiederzusehen. Genau vor der Feuerschale, den Rücken zu uns gedreht, stand Baldor, der Seelenherr und somit der Herrscher des Seelenkrieger-Stammes, außerdem natürlich Leylas Vater. Wie immer trug er eine lange, schnee-weiße Robe aus Leder, was die Seelenkrieger üblicherweise aus den Schuppen herstellten, die sie im Laufe seines Lebens verloren. Unpraktischerweise wuchs der Drachenkörper nämlich mit und musste sich regelmäßig häuten, auch wenn man zwischendurch immer wieder mal zum Menschen wurde. Wie immer hielt Baldor in seiner rechten Hand einen langen Stab aus hellem Kristall, seine weißen Haare und die bleiche Haut vervollständigten das Bild des weisen, alten Mannes. Zwar hatte der Seelenherr gerademal ein Alter von 40 Jahren erreicht, aber dennoch fehlte seinem Haar jede Spur von Farbe. Das Einzige an ihm, was nicht schnee-weiß war, war die schwarze Tätowierung an seinem rechten Arm, die von einem Brüllenden Tod geprägt wurde. Ganz langsam drehte Baldor sich zu mir und Heidrun um, ein Lächeln umspielte seine Lippen.

Dragons: Der SeelenbundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt