Kapitel 8

2 1 0
                                    

Es war bereits Mittag, als Ozric aufwachte. Jemand klopfte an die Tür. Er setzte sich schnell auf und vergaß dabei, dass Joanne noch auf ihm lag. Sie fiel von ihm herunter und landete mit dem Kopf auf dem Holzboden. Fluchend wachte sie auf und rieb sich den Hinterkopf. „Ozric verdammt nochmal..." Als sie realisierte, dass sie beide gemeinsam auf dem Boden lagen, stand sie rasch auf und öffnete die Tür. Man konnte fast meinen, es wäre ihr unangenehm gewesen. 

„Merlin, was gibt es?", fragte sie und hielt sich am Türrahmen fest. Ozric musste innerlich lachen. Offenbar hatte sie mit den Folgen des gestrigen Suffs zu kämpfen. Er stellte sich hinter sie und schaute Merlin an. „Na, habt ihr euren Rausch ausgeschlafen?" „Komm zur Sache", meinte Joanne. Sie hatte heute wieder absolut hervorragende Laune. „Ich gehe auf Patrouille und hätte euch gern dabei. Es wurden in letzter Zeit vermehrt Soldaten gesichtet. In Gebieten, in die sie zuvor nie eingedrungen waren." Das klang nicht gut. So begann es damals bei seinem Dorf auch. Jetzt war es dem Erdboden gleich. 

Zu dritt liefen sie zum Stall und suchten sich ein Pferd aus. Es war nicht leicht, ein angemessen großes Pferd für ihn zu finden, doch schließlich hatte er eines entdeckt. Es war grau und hatte weißes Haar. Der Hengst erinnerte ihn an sich selbst. Joanne entschied sich für ein braunes Pferd mit dunkler Mähne. Sie streichelte es behutsam und gab ihm einen Kuss auf die Nüstern. Er wusste gar nicht, dass sie so tierlieb war. Als sie ihn erwischte, wie er sie anstarrte, zog sie fragend eine Augenbraue hoch. Oz drehte sich weg und geleitete sein Pferd nach draußen. Als sie alle aufsattelten, ritt Merlin voraus. Ihre Mission führte sie noch tiefer in den Wald hinein, eine von Menschen unberührte Gegend, in der die Baumkronen kaum Licht durch ließen. Nach einer Weile kamen sie an alten, überwucherten Ruinen vorbei. Sie mussten Relikte aus längst vergangenen Zeiten sein. Eine zerfallene Kirche, ein alter Turm und das, was von Häusern noch übrig war. Es erinnerte ihn an so manche gefallene Städte die er auf seiner langen Reise schon gesehen hatte. Die meisten wurden vom Heer des Königs niedergebrannt. Die, die nicht kapitulierten, mussten mit dem Leben büßen. So war es damals auch mit seinem Heimatdorf. 

Plötzlich stellte er fest, dass sein Pferd stehen blieb. Es zuckte mit den Ohren, da hörte Ozric es auch. Er gab den anderen beiden ein Handzeichen und sie stiegen ab. Entweder war es nur ein wildes Tier oder sie würden gleich in einen Kampf verwickelt. Joanne legte ihre Hand an ihr Schwert, allzeit bereit es zu zücken. Das Rascheln kam näher. Ihr Kater machte sie hellhöriger und sorgte dafür, dass mit ihr noch weniger zu spaßen war als sonst. Aus dem Gebüsch trat ein Kind. 

Erleichtert nahm sie ihre Hand vom Schwert und schritt behutsam auf das kleine Mädchen zu. Ihre Augen waren angsterfüllt. „Wer bist du?", fragte Joanne sanft und zeigte dem Mädchen ihre geöffneten Hände. Sie hoffte, so ihr Vertrauen zu erlangen. Zitternd stand es wie angewurzelt da, sprach kein Wort. Da entdeckte sie das Blut an den kleinen Händchen. „Ist das dein Blut, Kleines?", hakte die junge Frau nach und machte einen Schritt auf sie zu. Doch das Kind rannte ins Gebüsch zurück. „Wir sollten ihr folgen, vielleicht will sie uns wohin führen", meinte Ozric und sprang auf seinen Hengst. Schnell folgten die drei dem Mädchen durch das Gestrüpp, welches immer dichter zu werden schien. Nach einer Weile bemerkten sie den Geruch von verbranntem Holz. Qualm war durch die wenigen Löcher in den Baumkronen zu erahnen. Schließlich erreichten sie eine Lichtung und mussten heftig husten. Ihnen bot sich ein grausamer Anblick. Ein kleines Dorf stand in Flammen, der Rauch war pechschwarz, überall lagen Tote. Das Mädchen stand vor einem bereits abgebrannten Haus und starrte hinein. Joanne ging zu ihr und fand, was sie sich schon fast denken konnte. Ein Bauernpaar lag verwundet auf dem Steinboden, der einst Teil einer kleinen Küche war. Das musste ihr Haus gewesen sein. Der Mann war bereits tot, doch die Frau regte sich noch. Schnell kniete Joanne sich hin und wühlte in ihren Taschen nach etwas Hilfreichem. „Du musst meiner Mama helfen! Sie darf nicht sterben...", wimmerte das Kind verzweifelt. „Ich werde tun, was ich kann." Sie presste Tücher auf die Wunde und beobachtete das Gesicht der Mutter. Es war schmerzverzerrt, eine Träne rollte ihre Wange herunter. Hinter ihr erschienen nun auch Oz und Merlin. „Es gibt keine weiteren Überlebenden", brummte Ozric. Er half ihr beim Versorgen der klaffenden Wunde, jedoch hatte er das Gefühl, dass das nicht mehr helfen würde. Solche Wunden hatte Oz schon oft gesehen, und bisher führten diese immer zum Tod. Es war nicht fair. 

On the runWo Geschichten leben. Entdecke jetzt