Kapitel 31

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Ozric betrachtete sie noch eine Weile, bevor er sich selbst vorbereitete. Sie war unsicher, selbst jetzt noch. Es sah ihr nicht ähnlich, an ihren Entscheidungen zu zweifeln. Dennoch konnte er verstehen, warum es ihr so ging, denn jetzt wurde es erst so richtig ernst. Keiner von ihnen war auf einen tatsächlichen Krieg, auf das Schlachtfeld vorbereitet. Normalerweise würde man als Söldner eine monatelange Ausbildung abschließen müssen, um überhaupt mitziehen zu dürfen. Aber diesen Luxus konnten sie sich nicht leisten. Es herrschte Mangel an Freiwilligen, oder besser gesagt, Mangel an Einsatzfähigen. Viele junge Morlaner mussten bereits ihr Leben lassen, die Überlebenden sind fast ausschließlich Alte, Kranke und Kinder. Selbst von den Frauen waren nicht mehr allzu viele übrig. Was mit dem Rest geschehen ist, konnte man nur mutmaßen. Verschleppung, Folterung, Vergewaltigung. Alles gängige Methoden in der Kriegsführung, doch die Morlaner selbst bedienten sich nicht solcher menschenverachtenden Mittel. Das war wahrscheinlich auch der Grund, wieso sie im Nachteil waren, so makaber es auch klingen mochte. Ozric sah Joanne noch eine Weile zu, wie sie gedankenverloren ihre Axt bearbeitete, bevor er beschloss sich wieder anderen Aufgaben zuzuwenden.

Es verging nicht viel Zeit, bis sie kampfbereit sein mussten. Joanne war bereits soweit, ihr Schwert an ihrem Gürtel und ihr Bogen auf dem Rücken, genauso ihre Axt. Auch wenn sie ihre Fäuste ballte und diesen kampflustigen, feurigen Blick in ihrem Gesicht hatte, wusste Ozric, dass sie immer noch nervös war. Er selbst war die Ruhe selbst, er war aber auch anderes gewohnt. Die Geräuschkulisse der Schlacht war inzwischen lauter geworden, was darauf hindeutete dass die Front sich in ihre Richtung verschob. Sie verloren Territorium. Doch darum machte sich Ozric kaum Sorgen. Merlin hatte immer noch kein Lebenszeichen gegeben. Inzwischen befürchtete er fast das Schlimmste. Ohne einen Magier würde die Schlacht um einiges schwieriger zu gewinnen sein, aber darauf hatten sie sich bereits eingestellt. Oz stand nun neben Joanne und legte seine Hand auf ihre Schulter, um sie zu beruhigen. Sie atmete auf und drehte sich zu ihm. Er hatte Recht, sie war nervös. Sie nickte ihm zu und gab ihm ein schwaches Lächeln. Um sie herum waren nun alle bereit zum Angriff, um ihre Mitmenschen an der Front zu unterstützen. Ozric schwang sich auf sein Pferd und warf einen letzten Blick auf Joanne, welche nun ebenfalls auf ihrem Pferd saß und die Zügel in die Hand nahm. Jetzt wurde es ernst.




"Achtung, links von dir!", brüllte Joanne und traf den Angreifer mit einem Pfeil, bevor er Ozric erwischen konnte. Sie kämpften bereits seit zwei Stunden, mit jeder Minute schwand die Energie ein bisschen mehr. "Danke!", rief er und nickte ihr zu. Sie hatte fremdes Blut im Gesicht, und er fand es nahezu attraktiv. Sie mussten sich bald zurückziehen, doch es war nicht seine Aufgabe, Befehle zu geben. Sie folgten dem General der Morlaner, und der ordnete seit zwei Stunden nur eines an: durchhalten. Joanne drehte sich um und schlitzte einem Feind die Kehle auf. Sie sah erschöpft aus, doch er wollte sie nicht darauf ansprechen. Es war keine Zeit für Gespräche. Der Feind schien unermüdlich, als würden unendlich viele Soldaten nachströmen und die Lücken in ihren Reihen füllen, immer und immer wieder. Oz schwang seine Axt und tötete mit einem Hieb drei Männer. Es machte ihm nichts aus, so lang zu kämpfen, aber es war keine Besserung der Lage in Sicht und das demotivierte ihn. Waren sie den Morlanern blind in ihren Tod hinterher gerannt oder hatten sie tatsächlich eine Chance?

Auf einmal zuckte er zusammen, ein dumpfes Grollen ließ den Boden unter ihren Füßen beben. Joanne drehte sich verwundert um, beide starrten zu ihrer Überraschung einem gigantischen Ungeheuer in die Augen. Auf ihm ritt niemand geringeres als Merlin selbst. Erleichtert schnaufte Ozric und winkte ihm zu. Er konnte gar nicht glauben was er da sah. Merlin ritt auf einer riesigen Hydra, ihre unzähligen Hälse schwangen umher, ihre Mäuler zerrissen Feinde in der Luft. Oz hätte nie gedacht dass er dieser prächtigen Kreatur jemals begegnen würde. Schnell zwang er sich dazu, wieder bei der Sache zu sein und rannte vorwärts, um weiterzukämpfen. Die Soldaten des Königs zogen sich langsam zurück. Das war ihre Gelegenheit vorzustoßen, doch wo war Joanne? Sie war wenige Sekunden zuvor noch direkt neben ihm. Ozrics Augen suchten panisch das Schlachtfeld ab, da erblickte er sie, wie sie mit ihrem Pferd durch die feindlichen Reihen schoss und sich ihren Weg zum König bahnte. Anscheinend hatte sie die Ablenkung der Hydra direkt genutzt, um sich einen Vorsprung zu verschaffen. Doch der Stolz wich der Wut. Wie konnte sie einfach so im Alleingang in die feindlichen Reihen stürmen? Seufzend folgte er ihr auf seinem Pferd, während die Hydra das Schlachtfeld verwüstete und unzählige Menschen verschlang.

Nach einer Weile holte er sie ein und rief ihr hinterher: "Hey! Warte, Joanne! Tu das nicht allein!" Sie sprang vom Pferd und schritt auf das Zelt zu, in dem der König sich befinden musste. Ein paar Wachen griffen die beiden nun an. Joanne holte ihre Axt hervor und wehrte sich gegen die Attacke, während Ozric ihr Rückendeckung gab. Das Zelt war nicht sonderlich gut bewacht und so dauerte es nicht lange, bis sie es betreten konnten. Joanne zückte ihr Schwert, bereit, dem Krieg ein Ende zu setzen. Vor ihnen stand der König, mit dem Rücken zu ihnen. Er stützte sich am Tisch ab und lachte.

"Von euch beiden habe ich einiges gehört. Ihr habt ziemliche Unruhe in meinen Einrichtungen gestiftet", raunte er, ohne sich umzudrehen. Ozric ballte die Fäuste. Wie konnte dieser Mann so gelassen bleiben? Irgend etwas stimmte hier nicht.

On the runWo Geschichten leben. Entdecke jetzt