Kapitel 15

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Ozrics Kopf brummte gewaltig, als er erwachte. Auf seiner Brust lag Joanne, sie wurde durch sein Stöhnen ebenfalls wach. Als sie ihm in die Augen schaute, zuckte sie erschrocken zusammen und kroch unter die Bettdecke. Schade, sie war so schön warm. Brummend zwang er sich aufzustehen, er war noch total im Halbschlaf weshalb er gar nicht bemerkte, dass er sich gerade entblößte. Aber es war ihm dann auch egal. Sie hatte ihn gestern aus nächster Nähe betrachten können. Schweigend zog er sich an und stieß die Fenster auf, um frische Luft herein zu lassen. Das Badewasser war inzwischen eiskalt. Joanne blieb unter der Decke und er hatte das Gefühl, dass es an seiner Anwesenheit lag. Wieso war sie nach alldem noch so schüchtern? Er würde es akzeptieren müssen, manche Menschen waren einfach so. "Ich lasse dich jetzt allein, dann kannst du dich anziehen. Ich bin in der Schmiede." Mit diesem Satz verschwand er durch die Tür und stapfte fröhlich den Gang entlang nach draußen.

Joanne saß wie versteinert im Bett. Sie wusste noch gar nicht so wirklich, was gerade geschah. Doch eines wusste sie. Sie hatte gerade Ozrics blanken Hintern gesehen. Und was noch viel schlimmer war: sie beide lagen eng aneinander geschmiegt und nackt im Bett. Panisch schlug sie sich die Hände vors Gesicht. Das durfte nicht wahr sein! Sie wurde noch nie mit einem Mann, nein überhaupt mit einer Person so intim. Hatten sie miteinander geschlafen? Es sah ganz danach aus. Bei dem Gedanken wurde ihr ganz wirr im Kopf. Sie sollte sich jetzt auf ihren Tagesablauf konzentrieren. Eifrig zog sie sich an, band ihre Haare zusammen und stürmte auf den Hof, wo das Training bereits begonnen hatte.

"Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich heute überhaupt noch sehen würde", kommentierte Merlin, während er sein Schwert im Sonnenlicht betrachtete, "Du hast gestern ordentlich gebechert."  "Ändert nichts daran, dass ich ein paar Jungs in den Hintern treten will!", konterte sie. Während des Trainings dachte sie nicht ein Mal an Ozric. Sie war so vertieft in die Kämpfe, dass sie endlich abschalten konnte. Nach etlichen Runden und persönlichen Ratschlägen von Merlin rief die Küchenmagd zum Mahl. Verschwitzt pustete Joanne sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und marschierte mit den Männern zum Speisesaal. Es roch nach Kaninchen, sie liebte Kaninchen. Voller Vorfreude griff sie nach ihrem Essen und setzte sich zu ihren neu dazu gewonnenen Freunden. Die meisten Männer waren gar nicht mal so verkehrt, wenn man sich ihren Respekt verdiente. Und das fiel Joanne unglaublich leicht. Jeder erzählte seine persönliche Geschichte, die er mit der Rebellion verband. Was ihn antrieb, den König zu stürzen. Gespannt hörte sie jedem Einzelnen zu. Manche hatten ihre gesamte Familie an die Horde des Königs verloren, andere wiederum waren Opfer des neu ausgerufenen Gesetzes und mussten ihre Ältesten in den sinnlosen und völlig willkürlichen Krieg gegen die Morlaner schicken. So schlimm das Schicksal der Anderen auch war, es zog Joanne nicht herunter. Im Gegenteil: es motivierte sie. Sie wusste nun mehr denn je, dass sie nicht allein war und dass ihr Ziel das gleiche war. "Was glaubt ihr eigentlich, was nach dem König kommt? Wer übernimmt die Herrschaft?", fragte sie nach einer Weile. Auf ihre Frage folgten dutzende Theorien. Während die einen sagten, dass sie eine Demokratie aufbauen würden, sagten die anderen, sie würden einfach ihren Befehlshabenden als neuen König ansehen. Es gab aber auch vereinzelt Menschen, die nicht wussten, was sie erwarten sollten, es sei ihnen aber egal, da alles besser wäre als der König, der jetzt regierte.


Ozric atmete laut aus. Das war sein zehntes Schwert heute. Er brauchte eine Pause, eine Abwechslung, musste rauskommen aus der Burg. Er würde Joanne fragen, ob sie mitkommen will. Im Gang lief sie ihm auch schon über den Weg. Sie sah verwirrt aus. "Alles in Ordnung?", fragte er sie. "Jaja, ich bin nur... so gedankenversunken heute." "Bestimmt brauchst du einfach nur einen Ausritt." Ihre Augen strahlten bei dem Vorschlag. Da hatte er wohl ins Schwarze getroffen. Die beiden ritten hinunter ins Tal, den Bach entlang. Oz erinnerte sich daran, wie er hier entlang hetzte, um Joanne von den Kopfgeldjägern zu befreien. Neben ihm ritt nun eine strahlende, lachende Frau voller Energie. Er war froh, dass es so war. Es kamen Zweifel in ihm auf. Sobald die Angriffe starteten, würden sie fast täglich auf Missionen gehen, da bliebe nichts mehr über vom strahlenden Gesicht und vom heiteren Lachen. Wollte er wirklich, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzte? Er wusste, es war für ein höheres Ziel, er wusste wie dringend es war. Doch was würde passieren, wenn sie starb? Und was wäre, wenn er starb und sie nicht beschützen konnte? Sofort bekam er Schweißausbrüche. "Alles gut?", fragte Joanne und bremste ihr Pferd ab. "Ja, alles gut. Wollen wir hier zu Fuß weiter?" Skeptisch ließ sie ihren Blick kurz auf ihm weilen, bevor sie absprang. Er durfte sie unmöglich an seinen Sorgen teilhaben lassen, er genoss ihre Unbeschwertheit, denn sie war selten.

On the runWo Geschichten leben. Entdecke jetzt