Kapitel 21

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Als Joanne aus ihrem Schläfchen erwachte, war es kälter als vorher. Die Sonne versteckte sich hinter dunklen Wolken. Es würde höchstwahrscheinlich bald regnen. Oz saß neben ihr und schaute sie an. "Wir sollten zurückreiten, es sieht nach einem Gewitter aus." Sie nickte zustimmend und die Beiden kletterten Stück für Stück wieder nach unten. Die Pferde waren schon ganz unruhig durch den Wetterumschwung. Als sie aufsattelten, begann es zu regnen. Erst tröpfelte es ganz sacht, dann prasselte der Regen auf die Erde nieder, als gäbe es kein Morgen. Joanne gab ihrem Hengst die Sporen und hielt sich die Hand vors Gesicht, um wenigstens ein kleines bisschen zu sehen. Plötzlich schlug unweit von ihnen ein Blitz in einen Baum ein. Ihr Pferd richtete sich erschrocken auf und warf sie zu Boden. Es ritt davon und ließ seine Reiterin verletzt auf dem Boden zurück. "Alles in Ordnung?", rief Ozric durch den lauten strömenden Regen. Sie stöhnte nur vor Schmerz. Schnell stieg er ab und hob sie auf sein Pferd. Ohne zu zögern ritt er mit ihr zur Burg zurück, ihr Pferd würden sie später finden. An ihrer Bleibe angekommen brachte er die Verletzte ins Lazarett. Dort kümmerte man sich um ihre Verletzungen, welche wie er erfuhr nur leichte Blessuren waren. Es war wohl mehr der Schock, der sie in Atem hielt. Nachdem sie versorgt wurde, ließ man sie gehen, es war nicht nötig sie im Lazarett zu behalten. "Ich werde dich ins Bett bringen und dich versorgen", meinte Oz. "Ist schon in Ordnung, mir gehts gut, zieh du mal lieber deine klatschnasse Kleidung aus, sonst wirst du krank." Mit diesen Worten öffnete sie die Zimmertür und ließ sich entspannt auf das Bett fallen. Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, der Himmel hatte sich dunkel verfärbt, sodass sie Kerzen anzünden musste. Der Ork ließ sich das nicht zweimal sagen und begann sich zu entkleiden. Fasziniert sah Joanne ihm zu, als sie sich beim Anstarren erwischte, schaute sie hastig aus dem Fenster. Dort draußen war wirklich die Hölle los. Oz schloss die Zimmertür und legte sich zu ihr ins Bett. Vollkommen nackt kroch er und die dicke Decke und seufzte. Sie war vorgewärmt worden. Nun gesellte sich auch seine Gefährtin zu ihm, mit dem Gesicht von ihm weggedreht. Er nutzte das, um sich von hinten an sie zu schmiegen, bereute das allerdings schnell, als er spürte wie sich etwas in ihm, oder besser gesagt an ihm regte. Sich räuspernd drehte er sich auf die andere Seite, Rücken an Rücken versanken sie in Tagträumen. Um zu schlafen waren sie nicht müde genug. 

"Du hast Alpträume?", sagte Joanne nach einer Weile. Es war weniger eine Frage, mehr eine Feststellung. "Ja. Sie handeln immer von derselben Sache." "Darf ich fragen, wovon?" Er schüttelte sich. Eigentlich hatte er gehofft, sich heute nicht mehr damit auseinandersetzen zu müssen. Aber sie verdiente seine Offenheit und Ehrlichkeit. "Von dem Tag, an dem meine gesamte Heimat zerstört wurde. Ich habe meine Eltern seitdem nie wieder gesehen, es selbst nur knapp überlebt. Keine Ahnung, ob sie noch irgendwo da draußen sind." Er spürte, wie Joanne sich zu ihm drehte und sich wie ein kleiner Löffel an ihn kuschelte. "Das tut mir sehr leid. Ich kann dich verstehen. Aber ist es nicht ein wenig erleichternd zu wissen, dass sie noch am Leben sein könnten?" "Normalerweise schon. Aber ich will mir keine Hoffnungen machen, was, wenn sie am Ende doch zerstört werden? Viele sind in dieser Nacht am lebendigen Leibe verbrannt, man hat danach nicht mehr das Geringste von ihnen auffinden können. Keiner garantiert mir, dass das nicht auch mit meinen Eltern geschah." "Das mag sein. Aber steigere dich nicht zu sehr in deinen Pessimismus rein. Es besteht eine Chance, also geh der Sache nach, dann hast du Gewissheit." "Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Es zerreißt mich innerlich. Jeder Gedanke an sie." Joannes Hände strichen über seine muskulösen Oberarme. "Ich helfe dir dabei." Ozrics Sicht verschwamm, Tränen sammelten sich in seinen Augen. Er durfte jetzt nicht vor ihr weinen, was sollte sie dann von ihm halten? Erfolgreich drängte er die Tränen zurück, doch das Beben seines Brustkorbs konnte er nicht verhindern. Joanne drückte sich umso fester an ihn. Da brach es aus, er begann zu schluchzen und ließ nun auch dem Rest freien Lauf. Es fühlte sich so befreiend an, auch wenn er fürchterlich litt. Seine Gefährtin schlang ihren Arm um seinen Oberkörper, zumindest so weit es ging. Sie wusste nicht, welche Worte sie wählen sollte, weshalb sie sich dafür entschied, einfach da zu sein. Dieser Moment zog sich über mindestens eine Stunde, in der Ozric zwischen schluchzen und wimmern wechselte. Joanne nahm das Ganze sehr mit, sie war es nicht gewohnt, diese Emotionen von ihm zu erleben. Auf der anderen Seite war sie froh, dass er sich bei ihr so wohlfühlte, dass er sich öffnen konnte. Sie selbst hatte früher große Probleme damit. Dass sie so offen mit ihrer Vergangenheit umgeht ist aber weniger der Öffnung, sondern mehr der Abstumpfung zu verschulden. Sie hatte schlichtweg keine Tränen mehr übrig. Irgendwann beruhigte sich Ozric und atmete wieder gleichmäßiger. Joanne würde ihm jetzt so gern ins Gesicht sehen, doch sie wollte sich nicht aufsetzen, weil sie dann von ihm ablassen müsste. Da drehte er sich selbstständig zu ihr um und sie erschrak beinahe. Sein Gesicht war gequollen, seine Augen geschwollen und rot. Sein tränenüberströmtes Gesicht glänzte im Kerzenlicht, er sah erschöpft aus. Sie verschwendete keine Sekunde und zog ihn zu sich, sein Kopf ruhte nun an ihrer Brust, ihre Finger wühlten durch sein zerzaustes Haar. Ozric sog die Luft tief ein und genoss den Moment des Friedens - und der Brust. An seinen Wangen spürte er ihren Herzschlag, er murmelte im Rhythmus mit. "Poch-poch, poch-poch, poch-poch... Das schlägt aber schnell." Als er zur ihr aufsah, errötete sie sofort. Trotz allem war es nach wie vor die schüchterne und zurückhaltende Joanne, welche Panik bekam, sobald er nackt war. Außer sie hatte getrunken. Wie gern er sie jetzt küssen würde.

"Brauchst du irgend etwas?", fragte Joanne und richtete sich auf. Das Gewitter war schon weitergezogen, der Mond schien hell und ließ die Regentropfen am Fenster aufblitzen. Es war so still. "Nein, du hast mir schon gegeben, was ich gebraucht habe. Danke", antwortete er. Sie schmunzelte. Ein starkes Kribbeln schoss durch Ozrics Körper. Er wollte sie so sehr. 

Ein Klopfen an der Tür ließ beide gehörig zusammenzucken. Wer störte um diese Uhrzeit? Joanne sprang aus dem Bett und öffnete zaghaft die Zimmertür. Merlin stand dort im Nachtgewand und hatte ein paar Papiere unter dem Arm. "Ich habe mich mit den Plänen auseinander gesetzt...", begann er und verstummte, als er sah, dass Ozric offensichtlich nackt im Bett saß. Nach einem kurzen Stutzen sprach er weiter. Wie selbstverständlich trat er herein und schloss die Tür hinter sich. "Wir brauchen vielleicht gar nicht den vollständigen Plan, um einen effektiven Angriff auszuüben." Er breitete die Skizzen auf dem kleinen Tisch aus und winkte die Beiden zu sich heran. Oz zog sich schnell etwas an und gesellte sich zu den anderen. Während Merlin ihnen den Plan erklärte, wanderten seine Gedanken immer wieder zu Joanne. Er konnte sich kaum konzentrieren, während sie so neben ihm stand. Warum musste er so triebgesteuert sein? "Habt ihr alles verstanden?" Beide nickten hastig. "Gut, dann lasse ich euch jetzt in Frieden, wir reden morgen weiter. Und lasst eure Hände bei euch." Mit diesem Ratschlag verließ er das Gemach so schnell, wie er es betreten hatte. Joanne lachte, als hätte er einen Witz gemacht. Ozric legte sich zurück ins Bett und schlief bald ein. Bevor er in die Traumwelt abschweifte, fragte er sich, ob Joanne ihn für abstoßend hielt. Ihre Reaktion auf Merlins Aussage war seltsam. Vielleicht dachte er auch zu viel darüber nach. Schließlich hatten sie sich zuvor schon geküsst.

On the runWo Geschichten leben. Entdecke jetzt