Kapitel 10

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Die Stunden vergingen und Joanne war müde und schwach. Sie fragte sich, ob Ozric überhaupt noch lebte. Natürlich tat er das. Alles andere wollte sie sich einfach nicht vorstellen.

Plötzlich hielt die Kutsche an, die Ketten der Fesseln klirrten, als die Gefangene zum abgedunkelten Gitter kroch, um ein paar Bewegungen zu erhaschen. Warum hielten sie an? Die Männer sprachen miteinander, aber sie konnte nicht verstehen, worüber. Vermutlich machten sie nur wieder eine Pause. Als sie das Geplätscher von Bierausschank hörte, bestätigte sich ihr Verdacht. Ihre Lippen waren so trocken, dass sie ständig aufrissen. Vorsichtig befeuchtete sie sie mit ihrer Zunge. Es war so heiß und stickig unter dieser Plane. Da wehte ein leichter Wind und ließ sie kurz herumflattern. Erleichtert atmete Joanne durch und genoss die frische Brise. Durch die nun neu gewonnene Sicht erkannte sie, dass es bereits abends war. Sie waren immer noch auf dem Land, sie sah Felder in der Ferne, Grillen zirpten. Stunden vergingen und die Gefangene lauschte den anderen beim Suff und Gelächter. Als es Nacht war, vernahm sie nur noch lautes Schnarchen. Das war vielleicht ihre letzte Chance, bevor sie eine Stadt erreichten. Ganz vorsichtig griff sie durch das Gitter zu einem der Männer, welcher den Schlüssel um den Hals trug. Sie brauchte mehrere Versuche, bis sie die Kette über dessen Kinn ziehen konnte. Ungeduldig schloss sie den Käfig auf und kroch auf allen Vieren an ihnen vorbei. Leise stand sie auf und vergewisserte sich, dass auch wirklich alle schliefen.


Ein weiterer arbeitsreicher Tag ging zu Ende und Ozric saß wieder im Wirtshaus. Der Alkohol vermochte allmählich zum Vergessen beizutragen. Die Tür öffnete sich und ein Neuling setzte sich zu ihnen. Er kam aus einer anderen Gegend, weit weg vom Dorf. Nach einer Weile erzählte er von seiner Reise. "Ich traf auf eine Bande Kopfgeldjäger. Ich dachte wirklich, es wäre vorbei mit mir!" Ozric lachte. "Wie entkamst du ihnen?", wollte er wissen. "Sie nahmen mir nur mein Geld und sagten, sie würden sowieso bald alle in den Ruhestand gehen, da würden sie ihre Zeit nicht mehr mit solch unwichtigem Gesindel wie mir verschwenden." Der Ork schaute verdutzt. "Die müssen ja einen großen Fang gemacht haben." Er kippte sich sein Bier hinter. "Sie sagten, sie hätten eine Mörderin namens Joanne gefangen, aber keine Ahnung, wer das sein soll." Der Ork spuckte sein Bier aus und starrte ihn erschrocken an. "Wiederhol das!", brummte er wütend und stand auf. Seine Augen blitzten vor Rage. Der Neuling wurde kreidebleich. "Ihr... Ihr Name war Joanne. Kennt ihr sie?" Rasend vor Wut schmiss Ozric seinen leeren Krug gegen die Wand und stürmte zur Tür hinaus. Arthur folgte ihm. "Verschwinde Arthur, ich muss mich um diese Angelegenheit kümmern!" Doch der ließ nicht locker und zog an seinem Arm. "Ich sagte verschwinde!", brüllte er so laut, dass Arthur sich ganz klein machte und seine Augen weit aufgerissen waren. Oz bereute sofort seinen Tonfall. "Verzeih mir. Aber ich habe jetzt keine Zeit, es zu erklären." Er ließ den Jungen stehen und rannte zum Stall, um sein Pferd zu satteln. Hoffentlich kam er nicht zu spät. Die Rebellen brauchten ihn aktuell, aber das war ihm in diesem Moment egal. Joanne brauchte ihn mehr. So schnell es ging ritt er bachabwärts.

Es dauerte nicht lang, da erspähte er im Halbdunkeln eine Person, die ihm bekannt vorkam. Schnell ritt er auf sie zu und erkannte Joanne. Sie sah erschöpft aus. "Verfolgen sie dich noch?", fragte er und musterte sie nach Verletzungen. "Sie sind im Suff eingeschlafen, ich denke so schnell werden sie uns nicht folgen." Mit zusammengekniffenen Augen rieb sie sich den Hinterkopf. "Steig auf", sprach Ozric und half ihr beim Aufsatteln. Eilig ritten sie zurück zum Dorf, einige Rehe kreuzten ihren Weg und sprangen erschrocken davon. Dort angekommen gingen sie ins Haus. Joanne setzte sich und atmete auf, ihre Hände steckten immer noch in den eisernen Ketten. "Ich hole etwas aus der Schmiede, dann sind die Fesseln schnell entfernt", meinte Oz und eilte zur Schmiede. Dort war Arthur und putzte die Schwerter. Warum arbeitete er um diese Uhrzeit? "Hallo Arthur. Ich hab Joanne gefunden, haben wir ein Werkzeug, das Eisen zertrennen kann?" Mit fragendem Blick musterte der Junge ihn und stand dann auf. Nach einem Augenblick der Suche reichte er ihm eine Zange. Sie war so lang wie sein Unterarm. "Danke." Ohne weitere Worte zu verlieren, ging er zurück zu Joanne und befreite sie aus den glänzenden Ketten. "Geht es dir soweit gut?", fragte er und sah sie sich genauer an. "Ich habe eine Wunde am Hinterkopf, aber sonst ist alles in Ordnung. Ich bin einfach nur müde..." Zufrieden nickte Ozric. Er fragte sich, was passiert wäre, wenn er nicht vom Zwischenfall erfahren hätte. Wer hätte ihr sonst helfen sollen? Vermutlich wäre sie gehängt worden, Mord war ein schweres Verbrechen, das Geschäft der Kopfgeldjäger illegal. Da war er froh, doch so anhänglich und loyal gewesen zu sein, auch wenn sie sich erst seit kurzem kannten. Hoffentlich konnte er genauso sehr auf sie zählen. Doch darüber wollte er sich jetzt keine Gedanken machen.

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