~4~ Sam

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Seine Nähe beruhigt mich etwas. Irgendwie vertraue ich darauf, dass er die Situation löst. Er würden den Wolf besiegen können. Er strahlt so eine Stärke und Dominanz aus, vielleicht würde der Wolf auch wieder verschwinden.

Er scheint etwas zu sehen, das ich nicht sehen kann, denn er schaut angespannt auf eine Stelle im Wald.
"Wenn du einem Wolf gegenüber stehst, dann schaust du ihm auf keinen Fall in die Augen. Denn das macht ihn aggressiv. Du wendest deinen Blick ab und versuchst langsam rückwärts weg zu laufen. Du darfst keine Angst zeigen, sonst weiß er, dass er leichtes Spiel mit dir hat", erklärt mir Noah, ohne den Blick vom Wald abzuwenden. Wir laufen stetig in langsamen Tempo weiter.

Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor bis Noah sagt: "Okay, ich glaube der Wolf ist weg", er steckt sein Messer weg, was ich etwas zu früh finde und läuft ganz normal weiter. Hand in Hand laufen wir wieder durchs Gestrüpp, ich bin froh, als wir wieder auf den Weg treffen. Es macht zwar Spaß quer Feld ein durch den Wald zu laufen, es ist aber auch sehr anstrengend. Noah lässt mich los und wir laufen nebeneinander den Weg entlang.
"Du jagst Wölfe?", versuche ich wieder ein Gespräch anzufangen.
"Ja, mein Vater bis begnadeter Wolfsjäger. Ich finde es spannend mit zu kommen, aber manchmal tun mir die Wölfe auch leid. Nur weil sie zu nahe ans Dorf kommen, dürfen sie nicht weiter leben? Das finde ich ziemlich unfair. Ich habe das jagen eher gelernt und mich verteidigen zu können, falls mir ein Wolf zu nahe kommt", erzählt Noah.
"Ich finde es schon auch krass, wie stark der Hass und die Angst auf die Wölfe hier verbreitet ist. Ich selbst kann das nicht so ganz nachvollziehen. In der Stadt, wo ich davor gelebt hatte, war das nie ein Thema gewesen. Da gab es keine Wölfe", erkläre ich mich.
"Ja das glaube ich dir", sagt Noah verständnisvoll.

Noah bringt mich bis nach Hause, dann ist es Zeit, sich zu verabschieden.
"Danke für den Spaziergang. Es war wirklich interessant. Die Lichtung war sehr schön", bedanke ich mich bei Noah.
"Sehr gerne. Mir hat es gefallen mit dir spazieren zu gehen und ein wenig mehr über dich zu erfahren. Ich finde dich sehr interessant Luana", gesteht Noah und sieht mir tief in die Augen.
"Danke", antworte ich, nicht wissend was ich sonst hätte sagen sollen.
"Na dann sehen wir uns morgen in der Schule. Schönen Abend dir noch!", verabschiedet dich Noah.
"Das wünsche ich dir auch", erwidere ich und schließe die Wohnungstüre auf. Ich schaue ihm noch hinterher, bis er um die nächste Ecke verschwunden ist. Er ist mir ein Rätsel, er ist so offen, wenn ich ihn etwas Frage und trotzdem weiß ich gefühlt nichts über ihn...
In der Wohnung schaue ich erstmal auf mein Handy, Madlin hatte mir geschrieben. Wir hatten am ersten Tag unsere Nummern ausgetauscht und nun will sie wissen, wie das Treffen mit Noah war. Ich schreibe ihr kurz, dass es gut war und das ich noch lebe. Danach mache ich mir einen gemütlichen Abend. Ich schaue meine Serie weiter und gehe früh ins Bett, da ich müde bin. Seid ich hier bin werde ich mit Infos überflutet, ich muss das alles erst noch richtig verarbeiten.

Mitten in der Nacht wache ich auf. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir das es 3:05 Uhr ist. Ich überlege ob ich raus schauen soll und öffne kurze Zeit später meinen Fensterläden ein Stück weit. Und tatsächlich, mit weiß schimmerndem Fell sitzt der große Wolf vor meiner Wohnung und schaut mich direkt an.
"Was machst du hier? Hast du uns aus dem Wald gejagt? Wieso verfolgst du mich?", löchere ich den Wolf mit Fragen. Natürlich antwortet er mir nicht, er bleibt ruhig da sitzen und schaut mich an. Er knurrt nicht und flätscht auch nicht die Zähne. Er sieht heute anders aus, so entspannt...
Ich öffne die Fensterläden ein wenig mehr und beuge mich auf aus dem Fenster.
"Wieso bist du jede Nacht hier? Was willst du von mir?", frage ich ebenfalls etwas ruhiger. Doch der Wolf starrt mich einfach nur an.
"Na gut, wenn du mir nicht antworten willst, dann gehe ich jetzt wieder ins Bett", beschließe ich und da er nach wie vor nicht reagiert mache ich die Fensterläden wieder zu und gehe schlafen.

Als der Wecker klingelt fühle ich mich zum ersten Mal erholt. Ich hatte keine Alpträume von Wölfen gehabt, was mich sehr erleichtert. Angenehm zufrieden starte ich in den Tag. Nach meinen morgendlichen Ritualen gehe ich in die Schule, wo Madlin schon aufgeregt auf mich wartet.
"Na los erzähl! Wie war euer Date gestern? Du warst übers Handy ja nicht sehr gesprächig", möchte sie wissen.
"Das war kein Date Madlin! Es war ganz schön. Wir sind durch den Wald spaziert und er hat mir ein paar schöne Orte gezeigt. Nebenbei haben wir uns ein wenig unterhalten", fasse ich das Treffen zusammen.
"Oh man Luana, jetzt erzähl doch einfach! Und über was habt ihr geredet? Mach es doch nicht so spannend!", fordert Madlin.
"Wir haben über den Wald geredet und über unsere Familien", antworte ich kurz angebunden.
"Nur über das?", Madlin scheint enttäuscht zu sein.
"Und über Wölfe. Auf einer großen Lichtung, hat uns plötzlich einer angeknurrt. Ich konnte ihn nicht sehen, deshalb weiß ich nicht ob es der Weiße war. Aber er hat sich nicht getraut uns anzugreifen", erzähle ich weiter.
"Ja, niemand will sich mit Noah anlegen. Sollte man auch nicht", meint Madlin. Ich nicke. Diese Dominanz und Macht die er da im Wald ausgestrahlt hatte, waren sehr eindrucksvoll gewesen. Und mich beeindruckt so schnell eigentlich nichts.

Im Schatten des WerwolfsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt