~28~ Im Bett des Feindes

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Dann, ganz plötzlich verstehe ich den vollständigen Sinn, von dem, was er gesagt hatte. Er hat einen Schattenwolf und will ihn töten. Er will einen Menschen töten, um uns Werwölfe auffliegen zu lassen.

"Ich verstehe, dass das für dich völlig absurd klingen muss. Aber komm einfach morgen zur Gemeindesitzung und dann werde ich dich davon überzeugen", bemerkt Valentin auf mein Schweigen hin. Meine Gedanken rasen. Ich will aufspringen und in den Wald rennen. Ich will Nathan warnen, ich will herausfinden, wen er gefangen hält. Ich zwinge mich zum Ruhe bewahren und versuche mich nicht auffällig zu verhalten.
"Wo hälst du den Wolf gefangen? Ist das nicht gefährlich? Ist er überhaupt aggressiv?", Frage ich und versuche so zu klingen, als wäre ich um seine Sicherheit besorgt.
"Mach dir keine Sorgen. Ich habe den perfekten Platz für sowas gefunden. Da wird er niemals raus kommen. Aber ja er ist aggressiv. Wir haben ihn betäubt, aber bis wir ihn ins Dorf geschleppt hatten, ist er langsam aufgewacht. Er hat Konstantin fast die Hand abgebissen. Zum Glück hat er gute Reflexe. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf morgen freue. Ich habe Nächte lang, im Wald auf der Lauer gelegen, um endlich einen Wolf ein zu fangen. Ich habe festgestellt, dass sie sich Nachts, wenn man sich auf die Lauer legt, besser fangen lassen. Wenn viele Menschen sie tagsüber jagen, hören und riechen sie uns vermutlich schon von weitem. Aber wenn man leise im Gebüsch lauert, hat man ab und zu Glück", Valentin sieht wirklich glücklich aus. Und ich bin erstmal damit beschäftigt meinen Würgereiz zu unterdrücken. Leider kann ich seinen Enthusiasmus überhaupt nicht teilen. Im Gegenteil, ich will diesen armen Wolf, mein Rudelmitglied retten. Eine noch nie zu vor da gewesene Wut erfasst mich und ich spüre, das mir nur all zu bekannte Prickeln. Ich springe auf und stolpe dabei fast über meine eigenen Beine.
"Ich muss kurz auf die Toilette", murmel ich und renne zu besagtem Ort. Ich schließe mich ein und versuche nun in Sicherheit, mich zu beruhigen. Mich jetzt zu verwandeln könnte tödlich enden und mir wird klar, wie sehr ich doch mit dem Feuer spiele. Würde Valentin erfahren, dass ich ein Werwolf bin, würde er mich auf der Stelle töten. Mein Körper beginnt unkontrolliert zu zittern, schnell verwerfen ich den Gedanken und versuche durch tiefes ein und ausatmen mich zu beruhigen.
Ein Klopfen an der Türe lässt mich zusammenzucken.
"Luana? Alles gut? Ich wollte dich eigentlich noch nicht damit konfrontieren. Aber es ist einfach zu gefährlich jetzt noch alleine in den Wald zu gehen. Wenn die Werwölfe erfahren, dass ich einem von ihnen gefangen genommen habe, dann wird es Krieg geben. Sie werden versuchen mich zu töten und alle, die mir nahe stehen. Und da gehörst du auch dazu. Mach bitte auf Luana", fleht Valentin und ihm ist das schlechte Gewissen anzuhören.
Ich atme nochmal tief durch und öffne die Türe. Bevor ich weiß, was passiert ist liege ich schon in seinen starken Armen. Bestimmt drückt er mich an sich. Kurz habe ich den Reflex ihn von mir weg zu drücken, doch als ich nochmals tief ein und aus atme, kann ich mich in seine Umarmung fallen lassen. Ja, wenn er erfahren würde, dass ich ein Werwolf bin, würde er mich wohl umbringen. Aber im Moment bin ich für ihn ein normaler Mensch und er ist lediglich um meine Sicherheit besorgt. Es scheint, als wäre ich ihm wichtig. Unsicher erwidere ich die Umarmung.
"Ich will dich nicht verlieren Luana. Wenn sie dich töten, werde ich den ganzen Wald anzünden und erst aufhören, wenn jeder Wolf tot ist. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so lange. Aber du bist mir verdammt wichtig geworden. Ich brauche dich in diesen ungewissen Zeiten an einer Seite", murmelt er sanft, er lässt mich etwas los, um mir tief in die Augen sehen zu können. Liebevoll sieht er mich an und ich bin mir sicher, dass ich für den Moment bei ihm sicher bin.
"Ich werde auf mich aufpassen, versprochen!", antworte ich ihm und bin mir sicher, dass ich mich daran halten werde. Wenn auch anders, wie er es vielleicht erwartet. Langsam lässt mich Valentin los und sein immer noch intensiver Blick löst ein angenehmes Krippeln in mir aus. Er sieht mich so fürsorglich an, so verständnisvoll, wenn er nur wüsste...
"Ich werde dich nicht einsperren oder zu etwas zwingen. Aber pass bitte wirklich auf dich auf. Ich begleite dich immer gerne in den Wald. Sag einfach Bescheid", bietet er mir erneut an, dieses mal freundlicher. Vielleicht hatte er wirklich begriffen, dass er mich zu nichts zwingen kann.
"Danke", ich lächel ihn an und er erwidert es. Seine intensive Nähe macht mich sprachlos und es fällt mir schwer zu denken.
Zu meinem Glück tritt er einen Schritt zurück und schaut zu Boden. Er holt tief Luft dann sagt er: "Ich glaube ich habe dich für heute genug überfordert. Komm bitte einfach morgen zur Gemeindesitzung. Dann werde ich dir beweisen, dass ich recht habe." Zaghaft nicke ich, nicht wissend, ob ich das abschlachten eines Rudelmitglieds anschauen kann.
"Danke für dein Vertrauen", ich versuche es erneut mit einem Lächeln, doch scheitere grandios.
"Danke fürs Zuhören Luana", sein lächeln ist echt. Er legt mir sanft seine Hand zwischen die Schulterblätter und führt mich zur Haustüre.
"Bis morgen", verabschiedet sich Valentin von mir. Ich erwidere die Verabschiedung und schaue, dass ich schnell von ihm weg komme. Ich haste Richtung Wald und spüre, wie ich die Kontrolle über meine Emotionen verliere. Zu lange hatte ich gegen sie angekämpft, wissen, dass es mein Tod hätte sein können, Valentin meine wahren Emotionen zu eröffnen. Ich renne so schnell ich kann Richtung Wald und hoffe, dass mich niemand sieht. Keine fünf Schritte im Wald drehe ich mich einmal im Kreis, um mich zu versichern, dass kein Mensch hier ist und lass dann endlich die Verwandlung zu. Ich öffne mich gerne der Verwandlung, ich genieße die Schmerzen, die mich für einen Moment von meinen rasenden Gedanken ablenken. Sobald meine Verwandlung abgeschlossen ist renne ich los. Ich treibe meinem Wolfskörper zu Höchstleistungen an. Noch nie war ich so schnell durch den Wald gerannt und meine ganze Konzentration geht darin über, nicht gegen etwas zu rennen. Es tut gut meine ganze angestaute Wut raus zu lassen. Am liebsten würde ich aufschreien, doch ich verkneifen es mir, nicht das jemand auf meine Wolfsgestalt aufmerksam wird. Schneller als gedacht finde ich mich vor dem großen Holzhaus wieder. Ich stemme meine Füße mit aller Macht in die Erde um nicht in das Haus zu rennen.
"Wow, alles gut bei dir", fragt ein braunhaariger Junge, der neben dem Haus im Gras gesessen hatte.
"Ja, ich muss sofort zu Nathan, machst du mir bitte die Türe auf", Brumme ich und hoffe, dass mich der Junge verstehen kann. Er nickt verwirrt, öffnet mir aber die Türe. Ich tapse über den Steinboden, meine Krallen machen dabei ein klackerndes Geräusch und mir wird klar, dass ich als Wolf noch nie auf Steinboden gelaufen war. Ich verwerfe den Gedanken und konzentriere mich auf den Weg. Ich laufe die Holztreppe hoch, was sich als schwierig herausstellt. Ich weiß nicht, wie ich meine vier Füße die Treppen hoch bekommen soll. Das letzte Stück springe ich in einem großen Satz hoch. Meine Krallen zerkratzen die Treppen, auf denen ich abgesprungen war, aber ich hoffe, dass mir das verziehen wird. Ich kratze mit einer Pfote an die Türe zu Noahs Zimmer. Bevor ich zu Nathan gehen kann, brauche ich Kleider.
"Noah mach auf", fordere ich brummend. Es dauert nur eine Sekunde bevor die Türe auffliegt.
"Luana?", überrascht sieht er mich an. Ich trete ein. Noah setzt sich wieder und wendet seinen Blick ab, während ich mich zurück verwandel. Er bleibt ruhig bis ich wieder ein Mensch bin.
"Wo warst du so lang?", fragt er kritisch, während ich in meine Unterwäsche schlüpfe.
"Bei Valentin", Stelle ich atemlos fest.
Gedankenlos springt Noah auf. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, hat er mich schon eng mit seinem Körper an die Wand gedrückt. Seine blauen Augen wirken fast schwarz vor wut.
"Achso ist das also? Unsere kleine Wölfin hier ist wohl der Meinung, sie kann mit dem Feind rum machen!", ist alles was er hervor bringt. Ich lege meine Hände auf seine Brust und versuche ihn von mir zu drücken. Doch er ist zu stark, er presst mich nur noch mehr gegen die Wand. Mir fällt es schwer zu atmen.
"Das stimmt doch überhaupt nicht. Valentin hat sich mir anvertraut", ich muss Luft holen.
"Was? Was hat er mit dir getan. Bitte sag mir nicht, dass ihr rum gemacht habt! Er ist der Feind! Ich bringe ihn um, wenn er dich angefasst hat!", knurrt Noah dunkel vor Wut.
"Was? Noah hör auf, ich bekomme keine Luft mehr. Darum geht es doch gar nicht. Kannst du mich jetzt Mal los lassen?", bringe ich gequält hervor. Seine Kleidung streift unangenehm über meine nackte Haut und mir wird bewusst, dass ich nur Unterwäsche an habe. Meine Wangen beginnen zu brennen, während Noah tatsächlich einen Schritt zurück macht.
"Valentin hat mir erzählt, dass er einen Werwolf gefangen hat und ihn morgen vor den Dorfbewohner töten will", werfe ich Noah sauer entgegen. Es wirkt, schockiert sieht er mich an und macht noch einen Schritt zurück. Ich nutze den Moment und gehe an ihm vorbei zu meinem Teil vom Kleidunterschrank. Ohne ihn zu beachten streife ich mir das erst beste Kleidungsstück über und schlüpfe in eine Hose. Etwas erleichtert sehe ich ihn an. Abwesend starrt er in die Ferne und versucht eins und eins zusammen zu zählen.
"Ich muss deinem Vater bescheid geben", informiere ich ihn über mein weiteres Vorgehen. Nachdenklich nickt Noah: "Ich komme mit." Gemeinsam gehen wir zu dem Arbeitszimmer von Nathan und ich erzähle ihm, was mir Valentin anvertraut hatte. Nathan ist nicht weniger schockiert über die Nachricht, als ich es gewesen war. Mit tot ernstem Blick gibt er ein paar Befehle und kurze Zeit später befinden sich alle Rudelmitglieder im Thronsaal. Die Menschen sehen sich nervös an, scheinbar kommt es nicht so oft vor, dass Nathan einfach alle her zitiert.
Als sich Nathan erhebt ist augenblicklich der ganze Saal still.
"Sind alle Rudelmitglieder da oder fehlt jemand?", Nathan's Stimme ist ganz ruhig. Wüsste ich nicht, wie wichtig diese Frage ist, würde ich denken, es wäre eine nebensächliche Frage. Alle drehen sich um und suchen die ihnen am nächsten stehenden. Einzelne rufe werden laut und es werden Namen genannt und der Grund wieso sie nicht hier sind. Eine Stimme lässt mich aufhorchen: "David ist nicht hier. Er war heute morgen nicht in seinem Bett und nach der Schule ist er auch nicht nach Hause gekommen. So langsam mache ich mir Sorgen." Ich kann die Frau in der Menschenmenge nicht ausmachen, aber sie klingt besorgt.
"Hat heute schon jemand David gesehen? Wenn ihn jemand gesehen hat, soll er es bitte jetzt sagen", Nathan Stimme hatte sich während er zu sprechen begonnen hatte verändert. Ein kurzes Prickeln in meinem Körper sagt mir, dass er seine Fähigkeiten als Anführer genutzt hatte. Sein Rudel muss ihm nun folgen und diese Frage ehrlich beantworten. Doch niemand meldet sich. Der ganze Saal bleibt ruhig. Und ich habe die Gewissheit, dass Valentin nicht geblufft hatte, er hat tatsächlich ein Rudelmitglied gefangen. Nathan weist darauf hin, dass es Gerüchte gibt, dass die Menschen Verdacht schöpfen über uns Werwölfe, er erzählt aber nichts über Davids verschwinden. Allerdings verlangt er, dass kein Werwolf mehr Nachts durch den Wald streift. Er meint es sei zu gefährlich. Ich würde dem Rudel nur zu gerne erklären, wie gefährlich es wirklich ist. Doch ich beherrsche mich. Es ist Nathan's Aufgabe sein Rudel zu beschützen, nicht meine.

Im Schatten des WerwolfsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt