~30~ Fürsorge

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Als ich es endlich schaffe das Haus zu verlassen lehne ich mich an die Wand und erbreche mich. Als ich fertig bin und aufsehe steht Alex schweigend neben mir. Ernst sieht er mich an und ich nicke ihm zu, um ihm zu zeigen, dass es mit gut geht.

"Alles gut bei euch", ich erkenne die besorgte Stimme sofort und drehe mich nervös um.
"Wo ist Noah", Frage ich Sam ängstlich. In meinem Kopf, sehe ich vor mir, wie er da drin irgendwo blutend auf dem Boden liegt. Die grünen Augen starr in die Ferne gerichtet. Mein Magen rebelliert erneut. Und ich muss mich an die Wand lehnen und die Augen schließen um mich zu beruhigen.
"Es geht mir gut. Ich habe mich bei den Menschen versteckt. Valentin hat eh schon die Vermutung, dass ich ein Wolf bin, also darf ich nicht auffallen", murmelt mir eine bekannte Stimme leise ins Ohr. Ich drehe mich ungläubig zu ihm um und verliere mich für einen Moment in seinen grünen Augen.
"Ich hätte nur zu gern mit gekämpft. Diese dummen Menschen, denken doch nicht wirklich, dass sie uns einfach so gefangen nehmen und töten können, ohne das es Konsequenzen hat", er knirscht wütend mit den Zähnen. Bleibt aber leise, um nicht die Aufmerksamkeit der nach draußen strömenden Menschen auf uns zu ziehen.
"Wir sollten nach Hause gehen", bemerkt Sam ernst und schaut nach den Leuten, die uns schon komisch anschauen. Ihre schockierten und blassen Gesichter zeugen davon, dass sie ebenfalls noch keine echten Leichen gesehen hatten, bis jetzt...
"Ja, aber du kannst die Kleine jetzt nicht alleine lassen. Sie hat sich gerade übergeben. Wenn wir sie jetzt alleine lassen, bricht sie zusammen", Alex besorgert Blick streift mich. Und auch wenn es nervt, dass er über mich redet, als wäre ich gar nicht da, hat er Recht. Ich habe gerade Leichen gesehen. Fucking echte Menschen, die tot sind. Mir wird wieder ganz schlecht, schnell verwerfe ich den Gedanken.
"Schon, aber der Pisser wird bestimmt nach ihr sehen wollen. Unser Held der Geschichte wird die Jungfrau in Not wohl kaum alleine nach Hause lassen", speit Noah voller Hass. Ich verstehe, dass er aufgebracht ist. Valentin hat uns gerade alles genommen was wir haben. Allem voran unsere Tarnung. Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Menschen einen Weg finden, um uns zu vernichten und wenn sie dafür alle Menschen in diesem scheiß Dorf umbringen müssen. Menschen sind skrupellose, egoistische Arschlöcher, die alles dafür tun würde, um ihre Spezies zu retten. Nicht ohne Grund stehen sie an der Spitze der Nahrungskette. Ein Schluchzer entweicht meiner Kehle und bevor ich weiß was geschieht liege ich in Noahs Armen. Sein Duft hüllt mich ein und lenkt mich von meinen Gedanken ab.
"Lass uns gehen. Ich bringe dich nach Hause", seine Stimme ist sanft. Er löst sich wieder von mir, legt mir aber eine Hand zwischen die Schulterblätter und führt mich, gibt mir halt. Während meine kleine heile Welt unter meinen taumelnden Schritten zusammenbricht. Erneut. Ich hatte doch gerade erst, nach dem Tod meiner Eltern, versucht sie wieder zusammen zu flicken. Schweigend führt mich Noah zu meiner Wohnung. Als meine Hände so sehr zittern, das ich es nicht schaffe den Schlüssel ins Loch zu stecken, nimmt er mir den Schlüssel ab. Mit ruhiger Hand schließt er die Türe auf. Und wir treten ein. In dem Moment, als ich in meinen eigenen vier Wänden bin, bricht alles aus mir hervor. Die Tränen fließen über meine Wangen, während ich schluchzend zu Boden sinke. Ich habe keine Kraft mehr. Mein ganzer Körper beginnt wieder haltlos zu Zittern. Zwei warme Hände legen sich an meine Hüften und ziehen mich hoch. Noah zieht mich bestimmt in seinen Arm und streicht mir beruhigend über meine Haare. Ich presse mein Gesicht an seine Brust und weine mich aus. Noah bleibt ruhig und hält mich einfach, während ich mir dir Seele aus dem Leib weine. Am liebsten würde ich schreien. Ich habe das Bedürfnis mich in einen Wolf zu verwandeln und durch den Wald zu rasen, bis meine Füße unter mir nachgeben. Ich will das alles einfach vergessen.
"Alles wird gut", murmelt mir Noah beruhigend entgegen. Er drückt mich noch ein wenig näher an sich und versucht mir so noch mehr Trost zu spenden. Und es gelingt ihm, mein Schluchzen wird leiser, meine Tränen weniger und mein Zittern hört auf. Mein Körper fällt in ein emotionales Nichts. Alle Emotionen sind zu meinem Schutz verdrängt und doch fühlt es sich nicht gut an. Ich spüre wie mein Körper schwächer wird. Ich fühle mich, als hätte ich selbst mit gekämpft. Noah scheint zu merken, das ich mich kaum auf den Füßen halten kann und führt mich ohne mich loszulassen auf den Sofa, er setzt sich und zieht mich an sich heran. Noch nie waren wir uns so nah gewesen. Und trotzdem, dass Noah mir gegenüber immer wieder verschiedene Signale gesendet hatte, fühle ich eine große Verbundenheit zwischen uns. Er hat mich in dem Moment, wo ich es am meisten benötigt habe, nicht fallen lassen. Er ist für mich da und kümmert sich um mich. Ich sehe zu ihm hoch und unsere Blicke treffen mich. Noch nie hatte er mich so sanft angesehen. So verständnisvoll. Dankbarkeit durchflutet mich.
"Ich hatte Angst um dich. Angst das du...das du sterben könntest", gestehe ich ihm leise.
"So schnell bringt mich nichts um", erwidert er und ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen. Es fällt mir schwer die Augen von ihnen abzuwenden. Doch der schöne Moment wird abrupt unterbrochen, als es an der Türe klingelt. Wir springen beide auf.
"Das ist er bestimmt", Noah beebt vor Wut. Panik ergreift mich. Ich weiß wie gerne die zwei sich an die Kehle gehen würden. Doch beide sind mir wichtig. Ich kann auf keinen von beiden verzichten.
"Versteck dich in meinem Schlafzimmer und mach keinen Scheiß!", Befehle ich ihm leise und sehe ihn eindringlich an. Angespannt sehen wir uns an und dominieren uns mit unseren Blicken, schließlich knickt er ein und verschwindet lautlos. Ich fasse mich kurz und öffne dann die Türe. Wie erwartet steht dort Valentin und mustert mich besorgt. Automatisch wandern seine Hände an meine Wangen und halten mein Gesicht.
"Es tut mir so leid", murmelt er und zieht mich an sich. Seine Umarmung strahlt so viel Sanftheit aus. Wie kann diese Person, die mich gerade so zärtlich umarmt die gleiche sein, wie die, die vorher, dem Wolf einfach kaltblütig die Kehle vor den Augen aller durchgeschnitten hat? Mein Körper beginnt wieder zu zittern und Valentin zieht mich noch näher an sich. So viel Körperkontakt und das von zwei verschiedenen Personen, lässt meine Emotionen durchdrehen.
"Hätte ich gewusst, dass es zu einem Kampf kommen würde, hätte ich dich niemals eingeladen. Es tut mir so leid, dass du das mitansehen musstest! ", Valentins Stimme bittet um Vergebung. Doch ich kann sie ihm noch nicht geben, aber aus einem anderen Grund. Er ist schuld das ich heute Rudelmitglieder verloren habe. Er hat einen Krieg ausgelöst. Einen Krieg, von dem ich mir noch gar nicht ausmalen kann, was er alles zerstören wird.
"Ich verstehe, dass du mir das nicht vergeben kannst. Zumindest noch nicht, aber ich hoffe, du kannst es in naher Zukunft. Es ist wichtiger denn je, dass wir zusammenhalten. Wenn du möchtest kann ich heute Nacht bei dir bleiben. Damit du mit dem Erlebten nicht alleine bleibst", bietet er an, als ich ihn weiter anschweige. Zu gern würde ich dieses Angebot annehmen. Ich will alles, aber auf keinen Fall alleine sein. Aber Noah ist noch in meinem Schlafzimmer und dann muss er mir wohl diese Nacht Halt geben.
"Das ist lieb von dir. Danke! Aber ich glaube ich brauche etwas Zeit für mich", erwidere ich und Schuld lässt Valentin's Augen noch dunkler wirken. Er lässt mich los und setzt sich auf den Sofa. Der plötzlich fehlende Körperkontakt, lässt mir unwohl werden.
"Ich hoffe du verstehst, wieso ich das machen musste. Wir leben mit Monstern zusammen und wir müssen sie aufhalten, bevor sie uns zum Abendessen verspeisen. Jetzt können wir sie vernichten, bevor sie uns vernichten", versucht er mir seine Beweggründe näher zu bringen. Ich kann Noahs Anwesenheit spüren. Ich kann, wenn ich mich drauf konzentriere hören, wie er leise hin und her tigert und vermutlich außer sich ist vor Wut. Ich kann mir vorstellen, wie gern er Valentin an die Kehle gehen würde und bin froh, dass er es nicht tut.
"Aber wir haben doch so lange in Frieden mit ihnen gelebt. Wieso geht das jetzt nicht mehr?", Frage ich zaghaft. Wohl wissend, das ein falsches Wort seinen Argwohn wecken könnte.
"Sie haben zuerst angegriffen. Der weiße Wolf hätte mich getötet, wärst du nicht gewesen. Und ich glaube ich weiß auch, wer er ist", Planke Wut macht sich in Valentin's Augen breit.
"Aber du hast ihn zuerst angegriffen. Vielleicht hat sich der Wolf von dir bedroht Gefühl und wollte sich nur verteidigen", antworte ich leise und Versuche ihn mit meiner Aussage nicht zu verärgern. Aber zu spät, er springt auf und fixiert mich wütend an.
"Auf welcher Seite stehst du eigentlich? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken du bist eine von ihnen! Der Wolf hat uns bedroht und ich habe uns verteidigt! Hätte ich ihn nicht angegriffen, hätte er uns angegriffen! Das sind Tiere Luana. Monster! Wusstest du, dass ein Wolf, wenn er in einen Blutrausch verfällt nicht nur das tötet, was er zum Leben braucht, sondern alles was ist in der Nähe ist. Ich weiß, du willst es nicht hören. Aber sie sind gefährlich!", herrscht er mich laut an. Ich sehe aus den Augenwinkeln, wie die Türklinke zu meiner Schlafzimmertüre sich bewegt und bin Gott froh, das Valentin mit dem Rücken zu dieser steht. Gleichzeitig durchfährt mich Panik. Noah hat vermutlich die Fassung verloren und wird gleich Valentin angreifen.
"Du solltest jetzt gehen. Ich brauche Zeit für mich um das alles zu verarbeiten!", dränge ich Valentin und laufe zur Wohnungstüre. Ich öffne sie und sehe ihn eindringlich an.
"Tut mir leid ich wollte nicht laut werden. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich weiß, dass du auf unserer Seite bist. Aber manchmal machst du es mir echt schwer", seine Worte sind wieder sanft und ganz vorsichtig streicht er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Schon okay, aber lass mich das alles bitte verarbeiten", antworte ich ebenfalls etwas sanfter. Ich hebe meinen Blick und sehe ihm in die Augen. Reue liegt in ihnen.
"Natürlich. Ruf mich an, falls du was brauchst", antwortet er traurig und verlässt die Wohnung.
Sofort findet mein Blick die grünen Augen von Noah, der die Türe vollständig geöffnet hat und vor Wut beebt.
"Ich werde ihn kalt machen. Er ist das Monster!", zischt er zwischen zusammen gebissenen Zähnen. Seine Wut nimmt den ganzen Raum ein und ich bekomme Angst vor ihm. Angst davor, dass er Valentin hinterher rennen könnte, um seine Worte wahr zu machen. Ich mache einen Schritt auf ihn zu.
"Wir werden einen Weg finden,  um das alles zu lösen! Und das, ohne das eine Spezies ausgerottet wird", sage ich sanft und komme ihm noch näher. Er lässt zu, dass ich meine Hand auf seinen Arm lege, scheint mich aber sonst nicht wahr zu nehmen. Ich sehe ihm in die Augen und bettel innerlich nach seiner Aufmerksamkeit. Ich brauche ihn jetzt. Ich brauche seine Ruhe und seine Durchsicht. Seine Beherrschung. Irgendetwas das mir hilft, nicht in dem Chaos unter zu gehen. Doch Noah scheint als wäre er bereits untergegangen und nicht mehr in der Lage mich zu retten.
"Ich muss nach meinem Vater sehen. Er war unter den kämpfenden", fällt Noah auf und er löst sich aus seiner starre. Er rennt zu Wohnungstüre, als würde es um Leben und Tod gehen. Ich folge ihm, auch wenn es mir schwer fällt mit ihm Schritt zu halten. Im Wald verwandelt er sich in einen Wolf und prescht davon. Ich tue es ihm nach, ohne auf meine Kleider zu achten, die bei der Verwaltung zerreißen. Noah sollte nicht alleine sein in seiner Verfassung. Doch ich schaffe es nicht ihn einzuholen. Ich kann ihn hören, aber er entfernt sich immer mehr. Und egal wie sehr ich mich anstrenge, ich schaffe es nicht aufzuholen.
Als ich endlich das Waldhaus erreiche ist Noah nicht mehr zu sehen. Nur sein Duft liegt noch in der Luft. Zu meinem Glück steht die Türe noch offen und ich rausche durch das Haus zu Nathan's Arbeitszimmer.

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Im Schatten des WerwolfsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt