III. Kurzweilige Spaßbremsen

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Normale Menschen übten regelmäßig ein Hobby aus. Und ich ging monatlich zum Arzt. So auch heute. Als ich die Augen aufschlug, war jedoch das erste, woran ich dachte, dass Chris gestern in meinem Zimmer gewesen war. Danach die Worte aus dem Geständnis und den damit verbundenen Fakt, dass mein Vater umgebracht worden war. Als letztes erst sprang mir die Erinnerung meines Handy ins Auge, die mich an das schönste Hobby der Welt erinnerte.

Ich hoffte inständig, dass das Herzklopfen von den letzteren beiden Gedanken herrührte und nicht von dem Fakt, dass ich Chris heute in der Schule sehen würde. Weil ich keine Lust auf den heutigen Tag hatte, schlug ich die Augen zu und versuchte, an nichts zu denken. Ein Unterfangen, dass absolut nicht funktionierte.

Das helle Piepen meines Weckers ertönte erneut und weil ich nicht in der Stimmung war, mir eine Ausrede auszudenken wie »Der Wecker ist ins Klo gefallen und ich habe aus Versehen gespült«, schlüpfte ich schweren Herzens aus dem warmen Bett, um mich für die Schule fertigzumachen. Ich zog meine dunklen Klamotten an und verteilte ein bisschen Kajal um meine Augen. Meine Mutter hatte lange schon aufgehört, sich über meinen Emo-Style zu beschweren.

Als ich die Treppe nach unten ging, stieg mir ein verbrannter Geruch in die Nase. Ich seufzte nur und ging dann mit meiner Tasche nach unten in die Küche. Mama hatte sich daran versucht, für mich Toast zu machen. Nur, dass sie ihn in einer Pfanne mit Butter anröstete.

»Du weißt schon, dass es so ein geniales elektronisches Ding gibt, das ein Brot perfekt toastet? Zufälligerweise heißt es Toaster und steht genau da.«

Ich zeigte demonstrativ auf besagtes Gerät.

»Ick bin ooch nicht von gestern, meen Spatz. Aber ick wollt' mir für dit tolle Tiramisu bedanken. Der Abend mit Heiner war wunderschön. Deswegen - Tadaa, dit is Frühstück á la Mama.«

»Na das freut mich ja mal so sehr, dass ich am liebsten in die Wolken schweben würde. Vielleicht würde ich dann auch Heiner und dich auf Wolke sieben treffen. Das wäre doch wunderschön.« Meine Stimme triefte vor Sarkasmus so wie der Toast vor Butter.

»Jetzt sei doch nicht so pampig. Probier' erste mal«, sagte Mama und legte mir schwungvoll ein paar Scheiben auf meinen Teller. Ich verkniff mir einen weiteren Kommentar. »Ich bin so pampig wie das Essen aussieht. Also angemessen.«

Da es erstaunlich gut schmeckte, nahm ich mir gleich mehrere Scheiben und packte ein paar in eine Brotdose.

»Ich muss los«, rief ich und gab Mama einen Kuss auf die Wange. Sie begleitete mich auf dem Weg nach draußen und weil ich spät dran war, kommentierte ich die Zigarette in ihrer Hand nicht.

Bei der S-Bahn-Station wartete meine beste Freundin Natalie auf mich und verpasste mir eine Umarmung. Ihre waren die besten, die ich kriegen konnte, weil sie genau so groß war wie ich. Wir beide waren das Duo der beiden größten Mädchen im Jahrgang. Ansonsten hätten wir aber nicht unterschiedlicher sein können. Sommersprossen überfluteten ihr Gesicht, ebenso ein strahlendes Lächeln. Heute hatte sie auf ihre roten Haaren - mit denen sie den Weasley-Vibe perfektionierte - eine schwarze Baskenmütze gesetzt. Sie sagte immer, die Mütze sei eine wunderschöne Mischung aus französischem Touch und Sherlock Holmes. Ich dagegen hatte braune Haare, zu meinem Bedauern keine Sommersprossen und grau-blaue Augen. Meine Mutter sagte immer, sie seien stürmisch, ich dagegen konnte das Stürmische nicht wirklich erkennen. Es war für mich einfach nur ein Blau, welches von langweiligem Grau zerstört wurde.

Wir stiegen in die Bahn, während sie mich fragte: »Na? Wie war das seltsame Essen gestern?«

Ich seufzte. »Ich hatte vor Chris' Augen einen Asthmaanfall.«

»Wie bitte? Ach Mensch, Süße.« Natalie umarmte mich sanft und ihr typischer Geruch nach Blumen wehte mir entgegen.

»Und sonst? Noch etwas passiert, was du mir erzählen willst? War Chris so unausstehlich wie sonst?«

HypocritaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt