[30] XXX. Schau mir nicht in die Karten

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Seufzend ließ ich mich auf das weiche Sofa fallen. Chris folgte mir und rutschte nah an mich ran. Ich rutschte ein bisschen weg. Er rutschte nach.

Ich lachte verlegen auf.

»Äh, Chris.«

»Äh, Bianca.« Sanft legte Chris einen Arm um mich und fragte mich: »Was ist?«

Herausfordernd schaute er mir in die Augen und kurz vergaß ich, was ich vorgehabt hatte. Die Tür, die Heiner hinter sich verschlossen hatte, war jetzt seit ein paar Minuten zu.

»Das Sofa hat viel Platz und ... Chris! Ich kann nicht nachdenken, wenn du mich so anschaust«, beschwerte ich mich. Chris hatte die Augen halb geschlossen und wackelte mit den Augenbrauen.

»Wie soll ich dich nicht anschauen?« Das Augenbrauenwackeln stoppte nicht und erinnerte mich kurz an eine chinesische Winkelkatze. Das brachte mich wieder zum Lachen.

»Chris, komm schon. Wir sollten besser darüber nachdenken, was wir jetzt machen.«

»Ich stimme dir absolut zu«, erwiderte Chris. Halleluja, er war zur Vernunft gekommen. Doch dieser Gedanke endete ungefähr so wie ein Vogel, der mit hoher Geschwindigkeit auf eine Glasscheibe zuflog, als Chris anzüglich sagte: »Das Sofa hat viel Platz.«

So ungerührt eine Glasscheibe blieb, wenn der Vogel verwirrt zurückflatterte, blieb auch mein Gesicht emotionslos. Um Chris noch mehr klarzumachen, dass das Sofa doch nicht genügend Platz für sexuelle Gedanken hatte, zog ich eine Augenbraue hoch. Resigniert zog Chris seinen Arm zurück.

»War ein Versuch wert. Aber du hast ja Recht. Obwohl wir im Moment sowieso nichts anderes machen können, als hier zu sitzen.«

»Meinst du wirklich, wir können Heiner einfach so vertrauen?«

Chris rieb sich über die Augen und seufzte. »Gut, aber was sollen wir denn sonst machen? Er ist schon lange mit seinem Auto weggefahren und wir wissen nicht, wo dieses blöde Hypocrita-Ding ist.«

»Es gibt immer irgendwas. Was ist zum Beispiel mit Lawrence? Können wir nicht zu ihm fahren und ihn fragen, ob er die richtigen Metadaten herausgefunden hat?«

Chris zückte wortlos sein Handy und tippte eine Nachricht. »Wir können uns den Weg einfach sparen und moderne Techniken wie Handys benutzen. So, zufrieden? Jetzt ist alles, was in unserer Reichweite liegt, getan.«

Ich schmiegte mich ein wenig an Chris. Ich wünschte, ich könnte mich auch ein bisschen entspannen, aber die Sorge um Natalie, Ali und Xuan machte mich wahnsinnig. Gleichzeitig war ich mir einfach nicht sicher, wie vertrauenswürdig Heiner war. Würde er Hypocrita warnen? Waren wir vielleicht sogar durch unser Nichts-Tun hier in Gefahr?

Chris' Handy vibrierte und er öffnete Lawrences Antwort. »Noch nicht, bin aber dabei

»Gib mal her«, forderte ich Chris auf und er gab mir das Handy widerstandslos. Eher, weil es die letzte Nachricht von Ali war und nicht weil ich bewusst danach geschaut hatte, öffnete ich die Bilder der Überwachungskameras von Ali. Schaute auf meine eigene Küche und lächelte, als ich den einen schwarzen Bildschirm sah - die Kamera, die wir erfolgreich entfernt hatten. Dann schaute ich mir noch einmal die große Halle mit dem Schmetterling auf dem Banner an. Mein Blick wanderte auf die anderen Plätze, die ich alle irgendwie kannte. Zum Teil zumindest.

»Mensch, ich war ewig nicht mehr beim Zoo oder im Naturkundemuseum.« Ich zoomte etwas heran. »Vielleicht mag da jemand Tiere? Ich meine, Zoo, Tiergarten und Naturkundemuseum?«

»Im Falle von Naturkundemuseum wohl eher tote Tiere.« Chris schnaubte belustigt auf. »Und was hätte dann das Kottbusser Tor damit zu tun? Oder mit der Jannowitzbrücke?«

HypocritaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt