Hypocrita

[27] XXVII. Verraten oder verlobt ...?

Es war nie zu spät für eine Premiere. Zwar wünschte ich, ich würde von Filmpremieren reden, aber es war nur die Nutzung der Chat-Funktion über meinen Laptop. Mein Handy konnte den Weg von Lawrence zu mir logischerweise nicht alleine meistern und Chris antwortete nicht auf die Nachrichten, die ich ihm über meinen Laptop schrieb. Wahrscheinlich machte er es absichtlich, um mir eins auszuwischen.

»Chris, c'mon, ich brauche mein Handy. Mein LEBEN hängt davon ab.«

»Wo steckst du? Nein, ich sorge mich nicht um dich, sondern um mein Handy. Ohne es habe ich ein Handicap.«

Ich dachte daran, dass ich an Chris' Stelle vermutlich dasselbe gemacht hätte. Wenn er mit mir Schluss machen würde, würde ich bestimmt auch nicht auf seine Nachrichten antworten. Genervt klickte ich auf die Online-Zeitung und wollte mir noch einmal den Artikel über den Tod von meinem Vater durchlesen, als die Seite sich aktualisierte. Ich traute meinen Augen nicht, als ich laß, was dort stand.

»Das vermeintliche Video eines brutalen Mordes ist wohl doch nur eine Fälschung«, lautete die Überschrift. Mein Herz beschleunigte sich. Was hatte das zu bedeuten? Ich überflog den restlichen Artikel. Mir wurde eines immer klarer: Vielleicht hatte ich Chris zu Unrecht beschuldigt. Das Video, welches ich an die Polizei geschickt hatte, wurde anscheinend zusammengeschnitten. Deswegen könne man nicht sagen, ob wirklich Johann Lange meinem Vater den letzten, tödlichen Stoß verpasst hatte. Es wurde spekuliert, warum man so ein Video fälschen würde, wenn der Täter die Tat schon zugegeben hatte. War Johann Lange nicht der Mörder? Hatte jemand ihm weiß machen wollen, dass er es war? Aber wer? Und warum?

Eine Nachricht trudelte bei mir ein. Ich konnte zwar immer noch nicht fassen, was ich gerade gelesen hatte, aber ich klickte wieder auf den Chat-Browser. Es war die erste Nachricht von Ali, aus der Garage. Und es war ein Foto.

Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Auf dem Bild konnte ich die Übertragung von unserer Küche sehen. Und mitten im Bild stand Heiner, mit der Kassette in der Hand. Meine Gedanken überschlugen sich. Welche Rolle spielte Heiner in diesem ganzen Chaos? Hatte er womöglich mehr Fäden gezogen, als gedacht? Spielte er ein doppeltes Spiel? Wog er meine Mutter in Sicherheit und verschleierte gleichzeitig die Wahrheit um den Mord von meinem Vater? Hatte womöglich Heiner meinen Vater umgebracht und den Mord dann Johann Lange angehangen? Hatte die Kassette Hinweise auf ihn enthalten? Hatte er seinem Bruder die Nachricht geschrieben, dass Thomas seine Frau umgebracht hatte, um seine Wut zu schüren? Steckte wirklich Heiner dahinter?

Gehörte ihm womöglich auch die Garage? Hatte er Xuan entführt? Und war er die ganze Zeit vor unserer Nase herumgetanzt, war nett zu meiner Mutter gewesen, die ihn vor mir die ganze Zeit verteidigt hat, obwohl Heiner womöglich mehr mit allem zutun hat, als gedacht?

Nutzte er meine Mutter nur aus, um Sicherheit zu erlangen? Ich schüttelte mich, während ich darüber nachdachte, dass er und Mama mit mir heute essen hatten gehen wollen. Wenn ich davor diese Möglichkeit sogar noch in Betracht gezogen hatte, doch mitzukommen, so war jetzt nicht mehr daran zu denken. Wie sollte ich ein ganzes Abendessen mit diesem Typen überstehen?

Dann kam mir ein weiterer Gedanke. Wer hätte die Überwachungskameras besser platzieren können, als Heiner? Das würde wiederum heißen, dass er wusste, was dieser Schmetterling bedeutete. Dass er generell viele Antworten auf meine Fragen hätte, wenn ich überhaupt die Chance dazu bekommen würde, ihn etwas zu fragen. Ohne, dass er mich auch entführte oder so.

Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen.

Die Kassette - weg. Herr Krempes Handy - bei der Polizei. Mit anderen Worten hatte ich absolut nichts hier und nichts in der Hand, alle Schlüssel, die Licht in die dunkle Verwirrtheit meiner Gedanken hätten bringen können, waren unerreichbar.