»Nach all den Jahren hast du den Mumm hier aufzutauchen?«, fragte Anke Bor. »Ausgerechnet jetzt?«
»Du weißt, dass ich Dramatik schon immer geliebt habe, solange es hinter der Kulisse ist.«
»Du bist immer noch derselbe, Thomas«, lachte Anke und stütze sich von ihrem Schreibtisch hoch. »Und du bist gerade rechtzeitig, um mir zu helfen.«
Ihr gegenüber, Thomas Vahling, hob halbherzig einen Mundwinkel. »Denkst du das Gleiche wie ich?«
Anke Bor nickte entschlossen. Sie nahm ihren Schlüssel vom Tisch und deutete dann auf die Liveübertragungen der Überwachungskameras. »Willst du sie sehen?«
Ein zaghaftes Lächeln schlich sich auf die Lippen ihres ehemaligen Kollegens. Er stellte sich neben Anke und atmete geräuschvoll ein.
»Ich bin ein schlechter Vater«, murmelte er und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich konnte nicht für sie da sein und hab ihr nur beim Großwerden zugesehen. Ich habe so viel verpasst.«
Anke Bors Blick blieb an Bianca hängen, die ohnmächtig am Boden lag. Stefanies Sohn Chris hockte neben ihr, die übrig gebliebenen Sicherheitskräfte warteten auf einen Befehl von Else Zanke. Zahlenmäßig waren die Teenagers in der Überzahl, aber diese drei Sicherheitskräfte würden nicht die ausgewählten Bodygards von Else Zanke sein, wenn sie nicht das beste Training unterlaufen hätten.
»Wir haben nur wenige Minuten, wenn überhaupt«, sagte Anke, in ihrem Inneren mischte sich Angst, Trauer und Entschlossenheit gleichermaßen. »Komm, wir müssen hier lang.«
***
Chris hätte im Nachhinein den Zeitpunkt nicht benennen können, an dem die Sache vollkommen eskalierte. War war es erst jetzt, als die übrigen vier Wachen ihre Pistolen zogen und sie damit bedrohten? Oder war es schon dann gewesen, als Bianca die Kontrolle über ihren Körper verloren hatte, oder als sie sich die Pistole gegen den Kopf gehalten hatte?
»Ihr Ratten schafft es aber auch immer wieder aus eurem dreckigen Loch zu kriechen«, zischte Frau Zanke. »Aber wisst ihr, was das schöne an Ratten ist? Sie sind im Labor ziemlich nützlich.«
Chris wechselte einen Blick mit den anderen. Tamara entfernte sich vorsichtig von Frau Zanke, die anderen standen immer noch im Eingangsbereich. Er griff nach Biancas Hand, sie war kühl und feucht. Er konnte sich nicht vorstellten, wie sich Bianca gefühlt hatte, aber ihr Zittern und die roten Augen hatten sich wie ein schlechter Albtraum in sein Gedächtnis gebrannt.
»Michael, ihr bringt die Kinder weg von hier, Bianca soll in den Krankenflügel, die anderen ins Labor vier.« Frau Zanke sprach fest und der muskelbepackte Bodyguards nickte. Die drei kamen mit erhobenen Waffen auf die anderen und Chris zu.
Was hatte Frau Zanke mit ihnen vor? Würde sie das Gleiche mit ihnen machen, was sie an Bianca getestet hatte? Ihm wurde übel bei dem Gedanken daran, die Kontrolle über seinen Körper abgeben zu müssen. Dass diese gruselige Frau in seinem Gehirn herumpfuschen würde. Aber vor allem wollte er Bianca hieraus befreien. Er würde nicht zulassen, dass sie weiter zu etwas gezwungen werden würde, was sie nicht wollte. Er hatte den Schmerz in ihren Augen gesehen, gespürt, wie sie sich versucht hatte zu wehren. Doch es war wie bei einem Drogenabhängigen gewesen. Das Zittern, die roten Augen und Biancas Unfähigkeit, ihr Handeln zu stoppen. Insgeheim schwur sich Chris, nie wieder zu kiffen.
Was er sich allerdings noch mehr fragte, warum diese gruselige Forschungsinstitution die Kontrolle über Bianca hatte. Schließlich schien diese Bedienung mit Bianca verbunden, und dafür hatte Else Zanke Bianca bestimmt früher das Blut abgenommen, aber das würde doch nicht reichen, um eine Person zur vollkommenem Gehorchen zu zwingen. Es müsste noch etwas anderes passiert sein.
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Hypocrita
Mystery / ThrillerEine Geschichte darüber, wie aus Witz und Tod Humord wird. Darüber, wie normalerweise kein Mordfall aufgeklärt werden würde. Darüber, wie schnell man sich in IQ-Einzeller verlieben kann und darüber, wie verdammt gut man aufpassen muss, welche Schrit...