[31] XXXI. Der Fahrstuhl

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»Scheiße, nicht gut, warum ist Chris nicht im Haus von seinem Onkel geblieben? Seht ihr, wo er sich gerade befindet?« Lawrence beobachtete den kleinen Punkt, der Chris' Handys Standort verriet.

Tamara beugte sich vor und zog angespannt die Luft ein. »Nicht gut, nicht gut.«

»Stimmt was nicht, Kleines?« Ihr Vater betrat den Raum und beugte sich über die Bildschirme.

»Ich bin mir nicht sicher, aber es sieht für mich so aus, als würde er fast bei Hypocrita ...«, sagte Torben Müller.

»Wir müssen hoffen, dass es nur Zufall ist, dass er in diese Richtung fährt.« Lawrence klickte zwischen den verschiedenen Seiten hin und her, als würde das irgendwas an der beschissenen Situation ändern können.

Tamara runzelte die Stirn. »Sagen wir so ... er ist zu Heiner Lange gefahren, weil er Xuan sucht. Offensichtlich war der Standort gefälscht, aber was, wenn er dort irgendwas anderes gefunden hat? Etwas, was ihm den Standort von Xuan verraten hat?«

»Und deswegen sucht er nach Xuan bei Hypocrita?«, führte Lawrence ihren Gedankengang fort.

»Das bedeutet aber, dass Hypocrita an uns dran ist, wenn sie Xuan entführt haben. Dass sie vielleicht etwas wissen. Und das ist sehr schlecht.« Torben Müller ließ sich auf einen Stuhl fallen.

»Wir wissen es nicht, Pa. Aber angenommen Xuan ist bei HPF ... wäre das wirklich so schlimm? Ich meine ...«

Tamaras Vater atmete tief durch. »Wir müssen abwarten und uns vorbereiten. Dann können wir sehen, ob unser Plan noch aufgehen wird.«

***

Die Friedrichstraße erstreckte sich vor uns und unschlüssig schauten wir uns an. Chris zuckte mit den Schultern. Hypocrita könnte sich überall hier befinden. Die Auswahl an Häusern war leider nicht zu knapp.

»Friedrichstadtpalast? Oder doch eher Dussmann?«

Wo würden Schwerverbrecher sich eher aufhalten? In dem großen Palast, in dem regelmäßig Auftritte vorgeführt werden oder lieber in dem riesigen Buchladen, ein Paradies jeder Bücherwürmer? Ich seufzte und ging einfach in eine Richtung los. Chris holte auf und schwieg.

»Meinst du wir hätten auch in einer Parallelwelt ohne Morde irgendwie zusammengefunden?«, fragte ich Chris. Der Gedanke ließ mich irgendwie nicht los.

»Ich hoffe«, sagte Chris ehrlich und blieb stehen, um mir in die Augen zu schauen. Ich lächelte ihn an und spürte eine Wärme, die sich in mir ausbreitete. Es war beeindruckend, wie viel man fühlen konnte, wenn man es nur zuließ. Und ich ließ es zu. Chris zog mich an sich und umarmte mich.

Ich hätte nicht ahnen können, dass es diese Umarmung war, die so wichtig war. Denn dadurch, dass ich in der Umarmung den Blick auf eine unscheinbare Straße gerichtet hatte, entdeckte ich erst die eine Person, die uns nur zu gut bekannt war. Es war Heiner. Dieser lief zielstrebig auf ein Haus zu.

»Chris«, flüsterte ich. Senkte meinen Kopf, sodass man uns nicht hätte erkennen können. »Ich weiß, wie wir zu Hypocrita kommen.«

Das Wohnhaus war braun, unscheinbar, vor allem verglichen mit den anderen Gebäuden und Läden in der Straße. Doch es war das Ziel von Heiner, welcher eine Schlüsselkarte hervorzog und die Tür öffnete. Schnell flitzte ich hinterher und hinderte die Tür vom Schließen. Wir betraten das Haus aber noch nicht, sondern warteten, bis Heiners Schritte verklungen waren. Dann gingen auch wir in das Treppenhaus. Es war ein normales Treppenhaus wie jedes anderes. Das Surren des Fahrstuhles verriet, dass Heiner diesen genutzt hatte, um das Stockwerk zu wechseln. Ich tauschte mit Chris einen fragenden Blick. Treppen laufen? Oder doch lieber Fahrstuhl? Und in welche Richtung? In welchen Stock?

HypocritaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt