[26] XXVI. Der Schmetterlingseffekt

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Ich hatte gerade die Abstellkammer zu Ende ausgeräumt, wobei ich Eddie-Teddy in mein Zimmer gerettet hatte, als meine Mutter zur Tür hereinschneite.

»Ach, mein Schätzchen, das hast du aber schön gemacht.«

»War ja auch bis jetzt nicht so schwer Sachen wegzuschmeißen.«

»Also kommst du gleich?«, fragte Mama. Verwirrt starrte ich sie an.

»Essen gehen, Mäuschen, wir wollen Indisch essen gehen.« Mama schmunzelte und wuschelte mir durch die Haare.

»Klar, ich komme«, sagte ich und ging in mein Zimmer, um mich fertig zu machen.

»Wir warten unten auf dich.«

Moment. Hatte sie gerade wir gesagt?

»Mama, wir gehen schon nur zu zweit essen, oder?«

Mama zögerte. »Spätzchen, wir sollten uns alle eenmal als Familie kennenlernen. Du bist doch auch, als ick wech war, mit Heiner zurecht jekommen.«

»Aber nicht mit dir im Zusammenhang. Aber klar, ich bin absolut davon begeistert, die Vergangenheit nicht nur hinter mir zu lassen, sondern sie zu übermalen«, schaubte ich.

Früher waren es Mama, Papa und ich gewesen, die Indisch essen gegangen sind. Dann nur noch Mama und ich. Sie konnte doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich damit einverstanden war, wenn Heiner dazukam.

»Mamachen, ich glaube, ich mach mir lieber ein Brot«, sagte ich also.

Mama seufzte und schüttelte den Kopf.

»Weeßte, ick hab' jehofft, dasste ihm eene Chance jeben kannst. Du kennst ihn nicht, sondern verurteilst ihn, weil ick ihn jern hab'. Dit is nicht fair, Bianca Sophie Vahling, und dit weeßt du.«

Ich schwieg, während Mama die Tür hinter sich schloss. Vielleicht würde ich Heiner eines Tages eine Chance geben, aber nicht jetzt. Jetzt war ein ungünstiger Zeitpunkt und das sollte Mama eigentlich auch wissen. Heiner war immerhin der Bruder des Mörders von Thomas. Als sei das etwas, was man übersehen konnte.

***

»Ob jemand in der Zwischenzeit da war?«, fragte Natalie und blickte Finn fragend an. Ali drängte sich jedoch zwischen sie und den rothaarigen Hünen und antwortete an dessen Stelle.

»Klar, aber lass mal hoffen, dass die Bildschirme noch da sind. Mit ein bisschen Luck sind sie das auch.«

»Natalie, mach dir keine Sorgen, und wir sind ja auch gleich da«, sagte Finn und kam auf die andere Seite von Natalie. Sie ließ unauffällig ihre Finger über seine streifen und lächelte ihn von der Seite an. Sie hatte sich selten so wohl in der Gegenwart eines Jungens gefühlt, aber bei Finn war es anders. Die Chemie hatte gestimmt. Sie lächelte darüber, als Finn ihr genau das zugeflüstert hat, als sie ihr Titrations-Experiment in Chemie erfolgreich durchgeführt hatten.

Ali rechts neben ihr räusperte sich. Setzte dazu an, etwas zu sagen, ließ es dann aber bleiben. Unwillkürlich schaute sie zu ihm und fragte sich, was er dachte. Als hätte Ali ihren Blick gespürt, grinste er ihr zu, runzelte dann aber die Stirn, als er ihre und Finns verschränkten Finger sah.

Natalie atmete durch und und hoffte, dass sie sich Alis unterschwelliges Interesse an ihr bloß einbildete. Denn sie war offensichtlich mit Finn zusammen. Das musste Ali doch trotz seines weggekifften Gehirns bemerken. Sie lenkte ihre Gedanken wieder auf den Hauptaspekt, warum sie hier waren.

Alles aus der Garage würde wahrscheinlich weg sein, warum sollte noch alles da sein? Natalie versuchte, den Gedanken ihrer pessimistischen Hälfte zu verdrängen, als sie das Tor öffneten. Immerhin funktionierte ihr Code noch. Trotzdem konnte sie vor ihrer inneren Leinwand schon den leeren Raum sehen. Sie folgte Finn, der in die Ecke ging. Natalie drückte die Türklinke nach unten und sie betraten den Raum.

HypocritaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt