T w e n t y

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"Und du kannst lesen?" Fragte ich Jason unverblümt. Er schnaubte aufgebracht.

"Natürlich kann ich lesen!" Gab er beleidigt zurück und griff sich eins der Bücher, die neben ihm auf einem kleinen Stapel lagen.

"Naja, ich meine du siehst nicht gerade aus wie jemand der viel liest." Versuchte ich ihn freundlich zu stimmen. Was auch klappte. Ein verschmitztes grinsen packte seine Lippen.

"Du hast recht. Ich mache viel Krafttraining. Gut beobachtet." Ich verdrehte meine Augen.

"Idiot." Murmelte ich leise und widmete mich wieder meinem Buch. Ein kehliges lachen ertönte neben mir. Gut. Er hatte es gehört.

"Hast du eigentlich einen Freund?" Überrascht über seine Frage, rutschte ich aus und zerriss eine Seite. Mit roten Wangen drehte ich mich zu ihm.

"Ich werde das bezahlen."

"Schon okay. Hast du?"

Ich musste schlucken. Derek. Ein Klos bildete sich in meinem Hals. Ich schüttelte meinen Kopf als die Erinnerungen an unsere Nacht zurück kamen.

"Entspann dich." Seine Stimme war nur ein leises flüstern neben meinem Ohr. Ich zog ihn zu mir. Küsste ihn. Und dann war es aus. Er war mein erster. Und mein letzter.✿

Er war nicht betrunken. Wut keimte in mir auf.

"Bin lesbisch." Log ich und stand, mit dem Buch gegen meinen Körper gedrückt, auf. Ich kletterte die Leiter runter. Sprosse für Sprosse.

"Kann ich das kaufen?" Ich hielt das Buch hoch. Der Buchrücken fiel schon auseinander. Die Seiten waren gelb und Rochen modrig. Ich war mir sicher, dieses Buch hatte ich schon vor vielen Jahren in der Hand.

Er schüttelte den Kopf, hob abwehrend die Hände.

"Du kannst es haben." Ein Lächeln zierte seine Lippen. Mein Blick fiel wieder nach oben. Jason's Kopf erschien. Genervt verdrehte ich meine Augen.

"Du kannst jederzeit wieder vorbei kommen. Ich würde mich riesig freuen." Dankend nickte ich. Dass bedeutete mir wirklich viel.

"Mach ich."

"Mom? Dad? Ich bin zuhause!" Meine Stimme hallte durch unser Haus.

"Küche."

Meine Beine trugen mich in den Raum. Meine Eltern saßen am Tisch. Ihre Mienen versteinert. Ich zog meine Stirn in Falten. Hatte ich etwas verpasst?

"Setz dich doch bitte." Mein Dad wies auf den Platz gegenüber von Ihnen.

Ich musste schluckte. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Ich setzte mich auf den alten Stuhl, wie eine Angeklagte saß ich nun hier.

"Was gibt's?" Meine Stimme zitterte, so wie der Rest meines Körpers. Ich hatte Angst.

"Deiner Oma geht es nicht gut. Wir werden für die nächsten zwei Wochen zu ihr fahren. Solange musst du zu Derek." Mir wurde schwindelig. Mein ganzer Körper fing an zu beben.

"Nein!" Ein spitzer Schrei verließ meinen Mund. Ich wollte es nicht. Es kam einfach so aus mir heraus. Unausweichlich. Ich wollte nicht zu ihm! Niemals! Nie wieder!

Ich stand auf. Viel zu schnell. Der Stuhl landete mit einem markerschütterndem Knall auf dem Fliesen.

"Ave?" Beide Augenpaare waren auf mich gerichtet.

" Vergisst es! Nie im Leben!" Ich stolperte. Krallte mich an der Stuhllehne fest. Ich konnte nicht zu ihm. Geschweige den ihm in die Augen sehen. Ich war Schuld. Ich wusste es, dieses Last lag schwer auf meinen Schultern. Ich schob es auf ihn. Er war Schuld, auch wenn es nicht so war. Tränen bildeten sich in meinen Augen. Wie konnten sie nur?

"Lasst mich nicht alleine. Bitte." Meine Sicht schwand. Ich sank zu Boden. Alleine. Ich füllte mich so alleine.

Ich hatte nicht mit Ihnen geredet. Nicht ein Wort. Ich saß in meinem Zimmer in meine Wolldecke gekuschelt. Aß nicht. Trank nicht. Zu deprimiert war ich. Morgen würden sie abreisen, dann würde ich endgültig alleine sein. Ich hätte es sagen können. Sie hätten es verstanden mich nicht zu ihm geschickt. Ich konnte es nicht. Zu groß war die Angst vor ihren blicken. Vor ihren Worten. Ich zog meine Decke höher, bis über meinen Mund. Zerknüllte sie in meinen Händen. Ich war ja so ein 'Glückspilz'.

"Ave. Ich hab gekocht." Meine Mutter stand im Türrahmen, in ihrer Hand eine dampfende Schüssel. Eine einzelne Träne rann aus meinem Augenwinkel. Wurde von der Decke eingesogen und blieb somit unbemerkt. So wie meine Schmerzen. Es tat weh. Ich wollte nicht mehr. Nicht zu ihm. Nicht mehr hier sein. Einfach nur verschwinden. Ich fühle mich leer. Ich schloss meine brennenden Augen.

Ich wollte ihm nicht hinterher weinen. Er hatte es nicht verdient. Dennoch hatte ich es getan und ich würde damit wahrscheinlich auch nicht mehr aufhören. Ich liebe ihn zu sehr. Die Erkenntnis versetzte mir ein Stich ins Herz. Wieso konnte ich meine Gefühle nicht einfach abstellen? Es wäre alles so viel leichter.

"Du musst etwas essen." Meine Matratze sank. Mom. Ich könnte es ihr sagen. Ich schäme mich zu sehr. Es war mir so peinlich. Es roch nach Hühnersuppe. Sie wusste, dass das meine Lieblingssuppe ist. Oder eher gesagt war. Ich hatte sie immer mit Derek gegessen. Jetzt wollte ich nicht mehr. Ich wollte ihn einfach nur vergessen. Ihn aus meinem Gedächtnis löschen. Die warme Hand meiner Mutter legte sich auf meine Wange.

"Du bist kalt. Zu kalt." Seufzend strich sie mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie war besorgt, dass wollte ich nicht.

"Wir bringen dich morgen zu Derek. Er wird sich bestimmt um dich kümmern." Ich konnte aus ihrer Stimme heraushören, dass sie lächelte. Wenn sie nur wüsste....

"Iss doch bitte was." Ich nickte. Eine leere Versprechung nichts weiter. Sie wusste es. Sie kannte mich gut genug. Ich hatte ihr immer vertraut. Hier endete unsere Verbindung. Ich hatte sie gekappt. Einfach so. Es war besser so. Ihre weichen Lippen trafen auf meine Stirn. Dann verschwand sie und mit ihr auch der Geruch nach Rosen. Ich würde sie vermissen und ich würde die Zeit, die ich bei Derek verbringen musste hassen. Jede einzelne Sekunde, da war ich mir zu hundert Prozent sicher. Ich war müde. Gähnte einmal herzhaft und kuschelte mich in mein Kissen. Ich würde es vermissen in meinem Bett schlafen zu können. Und wieder einmal wurde mir schwer bewusst, dass ich nicht weg wollte. Ich wollte hier bleiben. Mit Mom und Dad. So tun als wäre alles in Ordnung. Auch wenn es das nicht war.

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A/N
Was haltet ihr bis jetzt vom Verlauf der Geschichte ?
Blue

Hey Idiot, I love you.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt