Kapitel 7

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Als Mel am nächsten Morgen frisch geduscht und die Haare zu einem dicken Zopf geflochten die Küche betrat, war Dave bereits wach und saß mit einer Tasse und seinem Handy in der Hand am Küchentisch.

»Guten Morgen«, begrüßte er sie lächelnd, legte das Handy beiseite und deutete auf seine Tasse. »Magst du auch einen Kaffee?«

Seufzend ließ sich Mel auf einem Stuhl ihm gegenüber fallen. Sie nickte. »Sehr gerne. Wenn du mir sagst, wo ich alles finde, hole ich ihn mir selbst.«

Dave winkte ab, schob seinen Stuhl zurück und drehte sich zu einem hochmodernen Kaffeevollautomaten um. Das laute Geräusch des Mahlwerks, das die Bohnen zerkleinerte, drang durch den Raum. Minuten später kehrte er mit einer dampfenden Tasse zurück.

Mel nahm die Tasse dankend entgegen, schnupperte an der braunen Flüssigkeit und schloss genießerisch die Augen. Vorsichtig nahm sie einen Schluck und hätte beinahe wohlig geseufzt. Das Zeug roch nicht nur fantastisch, es schmeckte noch viel besser. Jetzt ärgerte sie sich, dass sie sich gestern auf Tee beschränkt und den Kaffee abgelehnt hatte. Als sie wieder aufblickte, bemerkte sie Daves amüsierten Blick.

»Schmeckt er?«, fragte er überflüssigerweise.

»Großartig«, murmelte Mel und nahm einen weiteren Schluck. »Ich liebe guten Kaffee.«

»Da wirst du dich mit Liza ja sehr gut verstehen. Freut mich, dass er dir schmeckt.«

Sie deutete auf den Automaten. »Aber bei so einer professionellen Maschine hätte man auch nichts anderes erwarten dürfen.«

Dave schmunzelte. »Meine Mutter hat sich diese Höllenmaschine zu ihrem fünfzigsten Geburtstag gegönnt. Und ich muss gestehen, es gab durchaus unpraktischere Geschenke.« Dann kratzte er sich verlegen am Kopf. »Falls du was frühstücken willst, kann ich nur mit Cornflakes dienen. Mehr hab ich im Moment nicht hier.«

Mel musste lachen. »Jaja, der Kühlschrank füllt sich leider nicht von selbst. Ich kenn das. Cornflakes sind perfekt.«

Er zuckte nur schief grinsend mit den Schultern und stand auf. »Bleib sitzen und genieß den Kaffee.«

Mel musterte ihn unauffällig, während er den Tisch deckte. Dave trug ein einfaches dunkelblaues T-Shirt und kurze Jeanshosen. Er war nicht sonderlich groß und überragte Mel mit ihren 1,75 nur um wenige Zentimeter. Seiner Figur war schlank und schmal. Den vielen Bildern nach zu urteilen, die die Wände die Treppe entlang bis in den ersten Stock zierten, war er leidenschaftlicher Leichtathlet. Seine blonden Haare waren etwas zu lang und fielen ihm immer wieder ins Gesicht. Sie waren noch nass von der Dusche und sahen aus, als wäre er nur schnell mit den Fingern durchgefahren. Diese Natürlichkeit gepaart mit dem schiefen Grinsen und den funkelnden blauen Augen verlieh ihm etwas Lausbubenhaftes, das man einfach sympathisch finden musste. Er schien sich nicht viel aus seinem Äußeren zu machen. Ein typischer unbekümmerter, kalifornischer Sunnyboy. Ein wenig erinnerte er sie mit seiner ganzen Art an Rick.

Unwillkürlich dachte Mel an ihren Vater und den Streit. Wenn er schon bei Rick ausgerastet war, wie würde er erst reagieren, wenn er erfuhr, wo sie die Nacht verbracht hätte? Sofort kroch wieder die altbekannte Wut in ihr hoch, die sie schnell von sich abschüttelte.

»Alles okay?«

Sie sah auf und begegnete Daves besorgtem Blick. Schnell nickte sie.

»Ja, ich hab nur gerade an gestern gedacht«, wiegelt sie ab und wechselt schnell das Thema. »Bist du schon lange wach?«

»Ich war schon eine Runde Joggen, aber keine Angst, ich hab nicht lange auf dich gewartet, falls du das meinst.«

»Wie lange ist deine Mutter eigentlich weg?«

»Noch zwei Wochen«, sagte er und setze sich wieder an den Tisch, »... von insgesamt vier. Sie besuchen Verwandte in Irland und reist dann im Anschluss noch quer durch Europa.«

Mel hob verwundert die Augenbrauen. »Und du bist nicht mit?«

Dave verzog das Gesicht. »Äh, nein. Dummerweise hatte ich ja noch Schule, die ich nicht verpassen durfte. Dabei hätte ich meine supernervigen Großcousinen und -cousins so gerne wiedergesehen.«

Er seufzte dramatisch, was Mel ein Grinsen entlockte. Die Ironie in seinen Worten war überdeutlich.

»Außerdem muss sicherlich auch jemand aufs Haus aufpassen, richtig?«, schloss sich Mel an.

Dave zielte mit dem Löffel auf sie. »Du hast es erfasst. Das waren alles sehr gute Argumente, gegen die meine Mom nicht ankamen.« Er zwinkerte ihr vergnügt zu und reichte ihr die Packung Cornflakes. Dann goss er seufzend Milch über seine Flakes. »Allerdings muss ich jetzt auch an so was wie einkaufen oder putzen denken.«

Mel grinst, füllte ihre Schüssel und begann sie genüsslich auszulöffeln.

»Matthew holt uns gleich ab«, sagte er zwischen dem dritten oder vierten Löffel, »und dann fahren wir rüber zu Liza.«

»Ich hoffe, ich bringe eure Ferienpläne nicht völlig durcheinander«, sagte Mel, aber Dave winkte sofort ab.

»Quatsch. Wir haben noch gar keine gemacht. Außer gestern. Aber den Tag am Strand können wir immer noch nachholen. Wir werden schauen, was sich ergibt.«

Mel atmete beruhigt aus. »Gut. Vielleicht kann ich ja einfach mitkommen, wenn ihr zum Strand fahrt.«

Dave nickte. »Abwarten. Vielleicht machen wir das. Bist du soweit fertig?«

Mel nickte. »Ich wollte nochmal schnell nach meiner Wäsche sehen. Wenn sie trocken ist, kann ich Liza die Sachen gleich wieder zurückgeben.«

Dave neigte den Kopf und lauschte. »Dann beeil dich. Wenn mich nicht alles täuscht, ist unser Taxi gerade überpünktlich vorgefahren.« Schnell schob er sich den letzten Löffel in den Mund.

Tatsächlich klingelte Minuten später Matthew an der Tür.

Nach einer Viertelstunde waren sie schließlich startklar und machten sich auf dem Weg zu Liza. Matthew parkte seinen Wagen an der Straße vor dem Haus der Baxters. Munter miteinander plaudernd stiegen die drei aus und liefen den schmalen Fußweg bis zur Haustür entlang.

Dass sie die ganze Zeit über aus einem dunklen Van beobachtet wurden, bemerkte keiner von ihnen.

Too Many LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt