Kapitel 20

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Mel blickte aus dem Fenster und beobachtete ein Eichhörnchen, das auf einem Baum saß und sich über sein Mahl freute. Sehnsuchtsvoll legte sie eine Hand auf die Scheibe, als gäbe es eine Möglichkeit, einfach hindurch zu greifen und der Freiheit ein Stück näher zu sein.

Es war still. Außer den Geräuschen der Natur, die von draußen hineindrangen, war nichts zu hören. Wo Nicolai sich gerade befand, wusste Mel nicht. Er war nicht mehr zurückgekehrt, seit er vor einigen Stunden bei ihr gewesen war.

Sie hatte die Zeit versucht, sinnvoll zu nutzen, sich frisch gemacht und ausgeruht. Zunächst war jeder Gedanke an eine entspannte Dusche völlig abstrus gewesen, aber dann war sie doch schwach geworden. Allerdings konnte von entspannt keine Rede gewesen sein. Die Tür zum Badezimmer ließ sich nicht abschließen und sie hatte keine Möglichkeit, einen überraschenden Besuch von Nicolai zu verhindern. Und sie hätte ihm durchaus zugetraut, die Chance zu nutzen. Die kurze Dusche hatte ihr dennoch geholfen, sich besser zu fühlen. Die finsteren Gedanken und das schlechte Gewissen jedoch waren weiterhin präsent und sehr laut.

Noch immer hatte sie keine Ahnung, was mit Dave war. War er auch hier? Ging es ihm gut? War er gesund? Sie hatte immer mal wieder gelauscht, in der Hoffnung, dass er sich vielleicht in einem der anderen Zimmer auf diesem Geschoss befand und sich bemerkbar machte. Aber sie hatte nichts gehört.

Inzwischen war es vermutlich später Nachmittag oder früher Abend. Die Snacks und Getränke, die auf dem kleinen Tisch gestanden hatten, hatte Mel längst geleert und ihr Magen meldete sich seit geraumer Zeit wieder unmissverständlich.

Mit einem tiefen Seufzen drehte sie sich vom Fenster weg. Es half nichts. Das einzige, was passierte, war, dass ihre Laune noch weiter sank. Sie kam hier nicht raus. Natürlich hatte sie versucht, einen Fluchtweg zu finden, irgendwann jedoch frustriert aufgegeben. Das Fenster war fest verschlossen, genauso wie die Zimmertür. Diese war zudem nicht einfach nur abgeschlossen. Es hatte sich angehört, als wäre noch ein zusätzlicher Riegel angebracht, den Nicolai nach seinem Besuch verschlossen hatte. Ähnlich war es bei dem einzigen Fenster. Auch das war zusätzlich versperrt und ließ sich nicht ohne Weiteres öffnen.

Schritte auf der Treppe ließen sie zusammenfahren und ihr Herz höher schlagen. Wieder stellte sie sich hinter das Bett, fest entschlossen, sich dieses Mal nicht überrumpeln zu lassen.

Nicolai erschien in der Tür und brauchte einen Augenblick, bis er sie im Dämmerlichtentdeckt hatte. Mel hatte bisher nicht die Notwendigkeit gesehen, das Licht anzuschalten. Er griff neben die Tür und betätigte den Lichtschalter. Die Lampe hatte nicht viel Kraft und beleuchtete das Zimmer nur geringfügig. Aber es reichte aus, um seine widerliche Visage zu sehen.

»Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt.«

Mel schwieg zu dieser überaus unpassenden Frage. Wenn möglich wollte sie so wenig wie möglich mit ihm zu tun haben. Wenn sie nicht auf seine Konversationsversuche einging, würde er es vielleicht verstehen und sie in Ruhe lassen.

Doch Nicolai ließ sich nicht beirren und redete einfach weiter. »Ich habe uns etwas gekocht«, berichtete er. »Du hast bestimmt Hunger.«

Bei der Vorstellung meldete sich Mels Magen sofort lautstark und ließ Nicolai leise auflachen. Verärgert biss sich Mel auf die Lippen und drehte den Kopf weg, dann gab sie der Einladung aber doch nach. Sie musste bei Kräften bleiben, um einen Ausweg aus dieser verdammten Hütte zu finden. Und vermutlich war es keine schlechte Idee, die Chance zu nutzen und sich das Haus anzuschauen. Vielleicht fand sie ja eine Möglichkeit, zu fliehen.

Sie folgte ihm eine schmale Holztreppe hinunter. Das Haus schien nicht groß zu sein. Der Eingangsbereich ging nahtlos in einen Wohnbereich mit Kamin und Sofaecke über. Mel warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Eingangstür. Aber Nicolas empfing sie am Ende der Treppe und deutete auf eine Tür am Ende des Raums. Ob bewusst oder unbewusst, er stellte sich dabei so hin, dass sie niemals schnell genug an ihm vorbeigekommen wäre. Mel registrierte nur am Rande, dass das Mobiliar auch hier unten nicht mehr den neuesten Standards entsprach. Die Vorhänge vor den Fenstern waren zugezogen, daher hatte sie wieder keinerlei Anhaltspunkt, wie es außerhalb aussah. Drei Türen gingen von dem Wohnbereich aus. Die Wohnungstür und eine zweite waren verschlossen, eine dritte führte in eine relativ große Küche.

Too Many LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt