Kapitel 16

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Das erste, was Mel spürte, als sie wach wurde, waren tierische Kopfschmerzen. Danach meldete sich ihr Magen. Sie stöhnte leise auf und drehte sich auf die Seite. Ruhig atmend versuchte sie die Übelkeit zu überwinden. So schlecht hatte sie sich das letzte Mal gefühlt, als sie mit ihren Schulkameradinnen Tyra und Beth auf dieser Studentenparty gewesen war. Was war nur passiert? Wo war sie gewesen?

Mel öffnete träge die Augen. Was sie sah, ließ sie kurz stutzen. Es war heller Tag, das registrierte sie seltsamerweise sofort. Das Zimmer, in dem sie sich befand, war definitiv nicht das Gästezimmer von Dave. Es war ihr vollkommen unbekannt.

Die zurückkehrenden Erinnerung hatte die gleiche Auswirkung, als hätte man ihr einen Eimer eiskalten Wassers über dem Kopf ausgeschüttet. Ihr Herz stockte, nur um dann in dreifacher Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Alles kam ihr wieder ins Gedächtnis. Der Abend im Diner, Matthews Vorwürfe, ihre Flucht und dann der Überfall.

Mel richtete sich auf und sah sich ängstlich um. Sie lag angezogen auf einem Bett, dessen Tagesdecke mit ihrem altbackenen Blümchenmuster aus dem letzten Jahrhundert zu kommen schien. Sogar ihre Schuhe hatte sie noch an. Sie lauschte angestrengt, aber außer den Vögeln draußen drang kein Geräusch an ihr Ohr. Sie war allein. Ob sie das beuhigend oder eher beängstigend fand, wusste sie nicht.

Die Erkenntnis ließ ihr Herz noch schneller schlagen. Sie war allein! Dave! Wo war Dave? Sie erinnerte sich noch daran, ihn auf dem Parkplatz gesehen zu haben. Einer der Männer, die sie überwältigt hatten, hatte ihn niedergeschlagen. Zumindest hallte sein schmerzerfüllter Schrei immer noch in ihren Ohren nach. An das, was danach passiert war, konnte sie sich nicht erinnern, selbst wenn sie es versuchte. Hatten sie ihn dort einfach liegen lassen? Ging es ihm gut?

Und wo war sie selbst überhaupt? Und wie lange war sie bereits hier? Einen Tag? Oder waren es mehrere? Sie hatte völlig das Zeitgefühl verloren. Einzig am Stand der Sonne konnte sie erkennen, dass der Tag noch ziemlich jung war. Vielleicht später morgen oder früher vormittag. Also war sie mindestens eine Nacht hier, sofern sie nicht mehrere Tage geschlafen hatte.

Vom Bett aufstehen und einen Fuß vor den anderen setzen, waren ein ungewohnter Kraftakt. Die Übelkeit wurde wieder stärker, aber Mel drängte sie entschieden zurück. Als der Schwindel und die Übelkeit ein erträgliches Maß erreicht hatten, ging sie einige Schritte durch den Raum und begann das Zimmer zu erkunden. Es war relativ klein und spärlich eingerichtet. Außer einem Bett, einer kleinen Kommode und einem Nachttisch gab es keine Möbel in dem Raum. Alle Möbel sahen aus, als hätten sie bereits bessere Tage erlebt. Erst jetzt fiel Mel ein seltsamer Geruch auf, den sie erst nicht zuordnen konnte. Nach einigen Augenblicken wusste sie, woran er sie erinnerte. Es roch alt. Schlicht und ergreifend alt. Und ein wenig abgestanden, als wäre schon längere Zeit nicht mehr gelüftet worden.

Es gab zwei Türen und ein Fenster. Der Blick daraus war ernüchternd. Das Zimmer befand sich offenbar in einem oberen Stockwerk und das Haus mitten im Wald. Sie sah nichts, außer Blättern und Ästen. Das Fenster ließ sich nicht öffnen, egal, was sie versuchte. Frustriert wandte sie sich ab und fuhr mit der Erkundung fort.

Hinter der einen Tür entdeckte Mel ein kleines, zweckmäßig eingerichtetes Badezimmer mit einer schmalen Dusche. Sie nutzte die Gelegenheit und warf sich einige Ladungen Wasser ins Gesicht. Das half und sie fühlte sich gleich besser.

Die zweite Tür war genauso fest verschlossen, wie das Fenster. Damit bestätigte sich ihr schlimmster Verdacht endgültig. Sie war hier gefangen.

Mel lehnte sich gegen das Holz det Tür und blickte sich ratlos im Raum um. Die Worte hallten in ihrem Kopf.

Sie war hier gefangen!

Die Worte ließen die Übelkeit erneut aufflammen. Entschieden schob sie die Gedanken beiseite. Ein Schritt nach dem anderen.

Too Many LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt