Kapitel 14

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Kaum hatte Mel die Tür des Restaurants hinter sich geschlossen, als ihr ein halblauter Fluch über die Lippen kam. Die Frau, die in diesem Moment an ihr vorbeiging, warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, aber Mel beachtete sie gar nicht.

Seufzend fuhr sie sich mit beiden Händen über das Gesicht und blickte dann Hilfe suchend in den Himmel. Doch niemand kam, um ihr die ultimative Lösung ihres Problems zu präsentieren. Stattdessen funkelten die Sterne am wolkenlosen Nachthimmel und verbreiteten eine friedliche Ruhe. Die Mel in diesem Moment jedoch völlig kalt ließ.

Sie war viel zu aufgewühlt. Das hätte niemals in diesem Maße eskalieren dürfen. Sie wusste selbst nicht, warum sie gerade ausgetickt war. Irgendwie hatten Matthews Worte sie so hart getroffen, dass sie sich zur Wehr hatte setzen müssen. Ihr Verhalten war kindisch und unfair den Freunden gegenüber, das hatte sie bereits in dem Moment gewusst, als die Worte aus ihrem Mund gekommen waren. Sie hatten ihr geholfen und sie aufgenommen. Und sie waren die letzten, die etwas für den Streit mit ihrem Vater konnten.

Die Suchanzeige kam nicht überraschend, wenn sie ehrlich war. Das ihr Vater alle Wege ausnutzte, um nach ihr Suchen zu lassen, hatte sie erwartet. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen. Und doch hatte sie sich die letzten zwei Tage so wohl zwischen den Dreien gefühlt, dass sie ihre Probleme einfach verdrängt hatte. Das Zerplatzen dieser Seifenblase, in die sie sich begeben hatte, hatte sich eiskalt erwischt. Ihrem ersten Impuls, einfach die Flucht zu ergreifen, hatte sie einfach nur nachgegeben. Dazu noch Matthews abweisendes Verhalten. Als hätte er diebische Freude dabei gehabt, endlich etwas gefunden zu haben, das sein Misstrauen bestätigte.

Sie schüttelte den Kopf. Nein, das war unfair. Eigentlich durfte sie ihm keine Vorwürfe machen. Sie war diejenige, die einen Fehler begangen hatte. Und wahrscheinlich hätte sie sehr ähnlich reagiert wie er.

Und nun stand sie hier draußen. Als sie aufgesprungen war, hatte sie noch vorgehabt, erneut abzuhauen. Aber kaum hatte sie das Restaurant verlassen, war der Gedanke schon wieder verflogen. Wohin sollte sie denn auch gehen? Ohne Handy und Geld? Ohne ihre Sachen? Es war ein Fehler. Sie wollte es nicht mehr. Es würde ihre Probleme nicht lösen.

Bei der Erinnerung an den heutigen Tag bildete sich ein dicker Klos in ihrem Hals. Dieser Tag war einer der schönsten seit langem gewesen. Sie waren durch Monterey gelaufen und hatten sich an der Cannary Row, dem Touristenviertel, ein Eis gegönnt und jede Menge Spaß zusammen gehabt. Aber das absolute Highlight war der Abstecher ins Monterey Bay Aquarium gewesen. Monterey war nicht weit von San Francisco entfernt und doch war sie noch nie dort gewesen. Inzwischen fragte sie sich, warum. Die kleine Stadt an der Küste war definitiv einen Besucht wert.

Mel wurde sich einer Sache immer deutlicher bewusst. Sie mochte Liza und Dave und irgendwie auch Matthew, trotz seiner abweisenden Art ihr gegenüber. Und mit dieser dämlichen Heimlichtuerei zerstörte sie diese Freundschaft und sorgte dafür, dass sie nie das werden würde, was sie hätte sein können.

War es das wirklich wert?

Nein! Eigentlich hatte sie den Entschluss bereits gestern während des Gespräches mit Dave gefasst. Doch erst Matthews Vorwürfe machten ihr deutlich bewusst, was sie wollte. Es wurde Zeit, mit offenen Karten zu spielen. Sie beschloss, ihnen alles zu beichten. Sie hatte zwar nicht gelogen, aber sie war sehr sparsam mit den Informationen über sich selbst gewesen. Zu sparsam. Was hätte es geschadet, wenn sie schon von Beginn an vom Streit mit ihrem Vater und ihrer Pechsträhne erzählt hätte? Es war totaler Blödsinn gewesen, ihnen diese Dinge zu verschweigen.

Mel straffte die Schultern und atmete die kühle Nachtluft ein. Sie bemerkte erst jetzt, dass sie sich bereits ein ganzes Stück vom Diner entfernt hatte. Aber die Bewegung tat ihr gut. Langsam beruhigte sich ihr Puls wieder, aber noch fühlte sie sich nicht bereit für die Konfrontation. Sie beschloss, die Zeit zu nutzen, um ihre wirren Gedanken zu sortieren. Danach würde sie wieder reingehen und ihren neuen Freunden reinen Wein einschenken. Und sich entschuldigen!

Sie sah sich um und entdeckte eine Bank, die am Rand des großen Parkplatzes auf einem schmalen Stück Wiese stand. Das war genau der richtige Ort, um nachzudenken. Zielstrebig ging sie darauf zu.

»Mel, warte!«

Sie hatte die Bank fast erreicht, als sie die Stimme hörte und stehen blieb. Sie drehte sich um ... und erstarrte.

Sie registrierte zwei Dinge. Es war zwar Daves Stimme gewesen, aber es waren nicht Daves Augen, die sie so kalt musterten. Und wer die Person war, konnte sie nicht erkennen, denn sie war völlig in Schwarz gekleidet und das Gesicht von einer schwarzen Skimaske bedeckt. Und dann sah sie plötzlich gar nichts mehr, als ihr etwas über den Kopf gezogen wurde. Dafür hörte sie umso mehr. Ein Motor, der ganz in ihrer Nähe aufheulte. Ein Wagen, der mit quietschenden Reifen direkt hinter ihr hielt. Daves Rufe, die irgendwie aufgebracht klangen. Sie wurde grob gepackt und sehr unsanft irgendwo reingeschubst. Der Aufprall war schmerzhaft und trieb ihr die Tränen in die Augen. Das alles passierte so schnell, dass sie viel zu spät damit begann, sich zu wehren. Sie strampelte mit den Beinen, versuchte, sich aus dem Klammergriff zu befreien, der ihre Arme gefangen hielt. Versuchte zu schreien und auf sich aufmerksam zu machen.

Doch dann spürte sie einen kurzen, schmerzhaften Stich am Arm und erkannte mit großen Entsetzen, dass plötzlich ein dichter Nebel in ihrem Kopf aufzog und ihre Empfindungen dämpfte. Ein letztes Mal versuchte sie sich aufzubäumen und sich gegen die Bewusstlosigkeit und die Hände, die sie hielten, zu wehren. Dann spürte sie plötzlich gar nichts mehr.

Too Many LiesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt