Kapitel 48 - Jonathan

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19 Minuten. In einer Minute würden sie ins Haus gehen und sie rausholen. Jonathan betete, dass sie einfach nur redeten und ihre Sachen packten, doch er wusste, dass das nicht stimmte. Dennoch klammerte er sich an diese Vorstellung. 

Sein Blick wanderte von der Uhr zur Haustür und wieder zurück, doch noch immer war die Tür unbarmherzig verschlossen. Neben ihm klapperte Darren mit dem Schlüssel, als würde er noch einmal kontrollieren, dass er auch den richtigen in der Hand hatte. 

Gerade blickte er wieder zur Tür, als diese geöffnet wurde. Er riss die Augen auf und seine Hand legte sich um den Türgriff, aber es war nicht Sheila, die herauskam, sondern Ville. Er blickte sich nach links, dann nach rechts um, schob die Hände in die Hosentaschen und kam auf sie zu. Jonathan öffnete die Autotür und hörte, dass auch die Beifahrertür im gleichen Moment geöffnet wurde. Ville sah vollkommen ausdruckslos aus, dann blieb er vor ihm stehen. Jonathans Hand zuckte und am liebsten hätte er ihn beiseite geschubst, damit er nach drinnen gehen konnte. 

„Ihr solltet reingehen", sagte er leise, dann marschierte er davon, die Hände noch immer in den Taschen vergraben, den Kopf gesenkt. Er warf einen Blick zu Sheilas Vater, der mit wutverzerrtem Gesicht hinter ihm her sah, dann trafen sich ihre Blicke und gleichzeitig stürmten sie los. Es war, als wäre ihnen beiden klar, dass jede Sekunde zählte. Sie war in Gefahr, das wusste er. 

Ville hatte die Haustür offen gelassen, doch noch bevor er die Tür erreichte, rannte Darren an ihm vorbei, geradewegs die Treppe nach oben. Atemlos rannte er ihm hinterher und noch bevor er die Tür erreicht hatte, durch die er gestürmt war, hörte er es. 

Es war ein jämmerliches Japsen, das ihm die Haare auf den Armen zu Berge stehen ließ. Seine Knie wurden weich, als er in das Zimmer trat und Sheila zusammengekrümmt auf dem Boden liegen sah. Sein Herz musste stehen geblieben sein, denn er konnte sich nicht mehr bewegen. Sie umklammerte ihren Hals und rang nach Luft, doch es kam nur ein Pfeifen aus ihr heraus, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Darren kniete neben ihr und hielt ihren Kopf hoch, dann warf er ihm einen panischen Blick zu. 

„Halt ihren Kopf fest!", befahl er und ohne wirklich darüber nachdenken zu müssen, stürzte er zu ihr und legte sie Hand unter ihren Kopf. Ihr Vater sprang auf und rannte wieder nach unten. Er war unfähig zu sprechen und bei ihrem Anblick bekam er Panik. Ihr Gesicht war leicht blau angelaufen und aus ihrem Mundwinkel lief eine Art rosa Schaum. Die Augen hielt sie fest geschlossen und ihre Beine strampelten wie verrückt. 

„Sheila!", sagte er mit erstickter Stimme, doch sie schien ihn nicht zu hören. Hilfesuchend blickte er sich um, doch er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Sie schnappte immer wieder nach Atem, doch sie schien keine Luft zu bekommen. 

„Schatz, wir sind hier, wir helfen dir. Er ist weg, du bist in Sicherheit!", redete er auf sie ein, doch seine Stimme klang eher panisch als beruhigend. Er hörte, dass wieder jemand die Treppe heraufgeeilt kam, dann blickte er in das Gesicht eines jungen Mannes, der vielleicht zwei oder drei Jahre jünger war als er. Kurz sah er sich um, dann kniete er sich neben sie und schob ihn unsanft beiseite. 

„Weg da", sagte er und drehte Sheila mit sanfter Gewalt auf den Rücken. Jonathan sprang auf, und wurde von einer überraschend starken Hand am Hemd gepackt, dann spürte er etwas Hartes unter sich. Offensichtlich war er auf dem Boden gelandet. Neben ihm hockte Sheilas Vater und sah ihn eindringlich an. 

„Er ist Arzt. Er weiß, was zu tun ist", erklärte er, doch seine Stimme hörte sich ganz weit weg an. Der Mann redete beruhigend und mit fester Stimme auf sie ein und drückte ihre Hände weg, sodass ihr Hals freilag, dann schien er sich einen Überblick über ihre Verletzungen zu machen. 

„Krankenwagen, sofort!", rief er und er fühlte, wie Darren ihn los ließ. 

„Hey! Setz dich auf ihre Beine, sie hat eine Panikattacke", sagte er und zeigte auf ihn. Er gehorchte und setzte sich auf ihre Beine, die wie verrückt strampelten. Sie schien sich noch immer gegen Ville zu wehren. 

Darren hielt dem Mann das Handy hin, dieser nahm es und sagte eine Menge medizinischer Begriffe, von denen er selbst keine Ahnung hatte. Nachdem er aufgelegt hatte, warf er das Handy auf die Seite und sah ernst Darren an. 

„Geh nach unten und wink den Krankenwagen ran", sagte er wieder in diesem Befehlston und kaum dass er den Satz ausgesprochen hatte, war er verschwunden. Der Mann wischte mit seinem Ärmel den Schaum von ihrem Mund, dann schob er mit dem Finger ihre Augenlider hoch. 

Noch immer fühlte Jonathan sich wie paralysiert. Ihr Hals war geschwollen und von blauen und roten Striemen bedeckt. Allmählich hörten ihre Beine auf zu zucken, doch ihre Augen waren noch immer geschlossen. 

„Ruhig atmen. Alles wird gut. Du wirst gleich ins Krankenhaus gefahren. Keine Angst mehr. Ich passe auf dich auf", sagte er ihr und legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie fing wieder an sich zu winden, doch er machte beruhigende Laute. 

„Hey, du weißt doch wer ich bin. Mach die Augen auf. Ich bins. Ich helfe dir", fuhr er sein beruhigendes Mantra fort und nach ein paar Sekunden öffnete sie tatsächlich die Augen. Sie betrachtete den Mann, dann machte sie Anstalten etwas zu sagen, doch er legte einen Finger an seine Lippen. 

„Nicht sprechen", sagte er, dann strich er ihr durchs Haar. Er konnte nicht sagen, wie lange sie so da saßen, doch irgendwann hörte er eine laute Sirene, dann kamen Sanitäter herein und er wurde von dem Mann am Arm hochgezogen. Sie wurde auf eine Trage gelegt, dann trug man sie nach unten. Erst als sie weg war, wurde ihm so richtig bewusst, was gerade passiert war. 

„Sie wird schon wieder. Komm mit. Du siehst aus, als könntest du einen Tee gebrauchen", sagte der Mann. Er warf ihm einen Blick zu, dann nickte er und ließ sich von dem Mann nach unten und aus ihrem Haus führen. 

Allmählich ordneten sich seine Gedanken. Er hatte versucht, sie zu erwürgen. Bei dem Gedanken daran, wie seelenruhig er aus dem Haus gekommen war, erschauderte er. 

„Hier lang", sagte er und er wurde zum Nachbarhaus gezogen. Er nahm nicht wirklich wahr, wohin er gebracht wurde, doch irgendwann fand er sich auf einem riesigen Sofa wieder. 

„Johnny, mach mal eine Kanne Tee", rief der Mann, dann setzte er sich neben ihn und musterte ihn aufmerksam. 

„Trink erstmal einen Tee, das beruhigt die Nerven. Dann reden wir."

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