Kapitel 158 - Jonathan

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Jonathan wusste nicht wirklich, wie er sich Sheila gegenüber verhalten sollte. Auf der einen Seite wollte er sie aufmuntern, gleichzeitig spürte er, dass er es nicht schaffen würde. Auch wenn er selbst nicht wirklich nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte, wusste er, dass ihre Gedanken sie quälten. Offensichtlich schien in ihrem Kopf eine ganz eigene Realität abzulaufen, die sie nicht abschalten oder unterbrechen konnte und gleichzeitig musste sie nach außen hin, in der wirklichen Realität, funktionieren. Zumindest hatte er diesen Eindruck. Ob das wirklich so stimmte, könnte nur sie ihm sagen. 

Sheila ließ den Blick abgewandt und sie fing an, mit dem Finger Kreise auf einem Kissen neben sich zu malen. 

„Kann ich irgendetwas tun, das dir hilft?", fragte er leise, doch sie schüttelte den Kopf. Jonathan schluckte, denn er fühlte sich hilflos. Er wollte ihr so gerne helfen, doch er hatte keinen blassen Schimmer wie. Vielleicht wollte sie eine Weile allein sein, denn sie machte keinerlei Anstalten, mit ihm zu reden. 

Also stand er auf, ging zum Esstisch und fing an, ihre Einkaufstüte auszuräumen. Sie hatte neben den Bewerbungsmappen auch Fotos machen lassen. Er legte beides auf den Tisch und warf ihr einen Blick zu. Noch immer saß sie unverändert da. Er biss die Zähne aufeinander und ging ins Schlafzimmer. Er hoffte, dass sie ihm hinterherkommen würde und wieder gute Laune hatte, doch er wartete vergeblich. 

Erschöpft ließ er sich aufs Bett fallen und zog sein Handy aus der Hosentasche. Immerhin hatte er Darren versprochen, dass er einige Helfer besorgen würde, die ihnen beim Haus helfen könnten. Kurzentschlossen wählte er die Nummer von Karl. Als ihm bewusst wurde, dass er sich schon wirklich lange nicht mehr bei ihm gemeldet hatte, überkam ihn ein schlechtes Gewissen. Er war in den letzten Tagen viel zu sehr beschäftigt gewesen und hatte alles um sich herum vergessen, was nicht Sheila betraf. 

„Hallo!", meldete Karl sich nach dem zweiten Klingeln und Jonathan musste bei seiner gutgelaunten Stimme automatisch grinsen. 

„Hey", erwiderte er den Gruß und auf einmal fühlte er sich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Als er das letzte Mal mit Karl gesprochen hatte, war er noch mit Sheila in dem Ferienhaus seiner Eltern gewesen. 

„Wie geht's wie steht's?", fragte Karl und erst da wurde Jonathan klar, dass er ja noch keinen blassen Schimmer davon hatte, dass er mit Sheila zusammenziehen würde. 

„Ziemlich gut. Es gibt Neuigkeiten", plapperte er drauf los und Karl lachte. 

„Ich höre", forderte er ihn auf und er war froh, dass Karl ihm zuhören wollte. 

„Sheila und ich", fing er an, doch die Stimme seines Kumpels unterbrach ihn. 

„Sie ist doch nicht etwa schwanger, oder?", fragte er auf einmal ernst, was Jonathan schnauben ließ. Wieso glaubten alle, dass sie schwanger war? Seine Eltern hatten das auch gesagt, als er ihnen die Sache mit dem Haus erzählt hatte. 

„Nein!", antwortete er schnell und lachte. 

„Okay, was ist dann?", wollte Karl wissen und Jonathan atmete noch einmal tief durch. Dann entschied er sich, es einfach geradeheraus zu sagen. Schnell und schmerzlos. 

„Wir kaufen ein Haus und bräuchten spontan ein paar Helfer beim Renovieren", sagte er und schloss die Augen, während er gespannt seine Reaktion abwartete. Einige Sekunden lang herrschte Stelle am anderen Ende der Leitung, dann ertönte ein Lachen. 

„Damit habe ich nicht gerechnet", sagte Karl und klang dabei wirklich überrascht. 

„Ich auch nicht, aber es war einfach eine gute Gelegenheit", gestand er und auf einmal wurde ihm bewusst, wie verrückt das doch alles war. Aber er wollte es nicht rückgängig machen. Auch wenn es ungewöhnlich war und seine Entscheidung mit Sicherheit bei einigen auf Skepsis treffen würde, war er sich sicher, dass sie richtig war. 

„Na dann, herzlichen Glückwunsch zum Eigenheim! Wann geht's los?", fragte Karl und Jonathan spürte, wie sein Herz schneller schlug. Zwar hatte er nicht damit gerechnet, dass er ablehnen würde, ihnen zu helfen, aber es war schön, die Bestätigung zu haben. 

„Wir müssten noch einen Container bestellen, damit wir anfangen können, alles rauszureißen. Aber das sollte bis nächste Woche klappen. Ich wollte nur schon mal fragen, ob du vielleicht ein wenig helfen könntest", gab er zurück. 

„Klar doch! Sag mir einfach Bescheid. Ich freu mich wirklich für dich, dass es so gut läuft. Aber... ich muss leider los. Vielleicht könnten wir am Wochenende mal was machen, ich hätte Lust, sie kennenzulernen", sagte Karl und klang auf einmal ein wenig gehetzt. 

„Klingt gut. Ich frage sie morgen mal. Was gibt es denn bei dir so Neues?", fragte er noch, denn eigentlich wollte er noch ein wenig weiter mit ihm quatschen. Karl druckste ein wenig herum. 

„Sag schon", forderte Jonathan ihn auf, denn offensichtlich gab es tatsächlich etwas Neues. 

„Ich treff mich gleich mit Laura", sagte er kleinlaut, woraufhin Jonathan die Augen aufriss. Er kannte nur eine Laura, die er meinen konnte. 

„Laura Barbie?", fragte er dennoch lachen nach, und Karl lachte ebenfalls. 

„Ich hatte ganz vergessen, dass wir sie früher so immer genannt haben. Aber ja, ich treffe mich mit Laura Barbie", erwiderte er und er konnte sich bildlich vorstellen, wie Karls Wangen rot wurden. 

Er dachte an Laura zurück. Er hatte sie ewig nicht mehr gesehen und er kannte sie, genau wie Karl, noch aus der Schule. Obwohl sie eher ein Außenseiter gewesen war, hatten sie öfter zu dritt etwas unternommen. Laura war ihr schlechter Einfluss gewesen, hatte seine Mutter früher immer gesagt, aber eigentlich war sie sogar ziemlich cool. Sie war nicht wie die anderen Mädchen, die kicherten, wenn Jungs in der Nähe waren. Sie hatte damals immer ausschließlich schwarze Klamotten getragen und hatte bei jedem Mist mitgemacht, den sie in der Schulzeit angestellt hatten. Sie war der klassische Kumpeltyp gewesen. Ihren Spitznamen Laura Barbie hatte sie seit einer im Nachhinein ziemlich fiesen Aktion. 

Sie waren damals auf Klassenfahrt gewesen, es musste in der siebten oder achten Klasse gewesen sein. Laura hatte sich mit den anderen Mädels ein Zimmer teilen müssen, was alle ziemlich blöd fanden. Die anderen Mädchen mochten sie nicht, weil sie nicht viel auf Schminke, Haare färben und Fingernägel lackieren gab. Die anderen ärgerten sie und kurzentschlossen hatte sie die ganze Schminke von ihren Zimmergenossinnen in dem nahegelegenen See versenkt. Diese Tussis mussten zwei Tage lang ungeschminkt herumlaufen, bis sie in das Dorf durften, um sich neu einzudecken. Seitdem nannten sie sie Laura Barbie, weil sie es den anderen Mädels versaut hatte, wie Barbies die Jungs anzuschmachten. Allerdings hatte diese Aktion ihre Klassenfahrt beendet und ihr eine Woche Nachsitzen eingehandelt. 

„Seid ihr zusammen?", fragte Jonathan nach, doch Karl schnaubte. 

„Nein, du kennst sie doch. Sie ist nicht leicht zu beeindrucken. Aber vielleicht kann sie auch bei eurem Haus mithelfen", gab er zurück. 

„Das wäre super! Lass uns doch morgen noch mal wegen dem Wochenende quatschen", schlug er vor, denn er wollte ihn nicht von seinem Date abhalten. 

„Machen wir! War nett, dass du dich gemeldet hast", beendete Karl das Gespräch und Jonathan ließ sein Handy neben sich aufs Bett fallen. Er grinste, denn nie im Leben hätte er damit gerechnet, dass zwischen den beiden irgendetwas laufen würde. 

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