Kapitel 113 - Jonathan

5 1 0
                                    

Keine zwei Minuten, nach dem sie ins andere Zimmer gegangen waren, kam Matthias zurück. 

„Sie wollte, dass ich euch helfe", erklärte er und stieg mit einem großen Schritt über den Schuttberg auf dem Boden und fing an, die Küchenschränke zu durchsuchen. 

„Sie wollte mich nicht dabei haben", fuhr er fort, woraufhin Darren kurz innehielt, dann jedoch nickte und weiterarbeitete. 

Jonathan schluckte einen Kloß hinunter. Zwar kannten sie sich noch nicht lange, aber doch hatte er den Eindruck gehabt, dass sie ihn dabei haben wollte. Allerdings schien sie ihn jetzt am liebsten wegschicken zu wollen. Ein wenig missmutig schaufelte er weiter zerschlagene Teller und Tassen in den blauen Müllsack. 

„Ich rufe morgen mal beim Sperrmüll an. Vielleicht will sie die Möbel, die noch hier sind auch los werden. Und die Küche kann man auf keinen Fall mehr retten", meldete Darren sich nach einer Weile, doch er und auch Matthias nickten nur. 

„Mach dir keinen Kopf, dass sie ein wenig abweisend ist", hörte er Matthias sagen und ein wenig überrascht, dass er sich darum Gedanken machte wie es ihm ging, wandte er sich zu ihm um. 

Wo er ihn genauer betrachtete, wirkte er noch immer ziemlich traurig und unter seinen Augen konnte er dunkle Ringe erkennen. Anscheinend riss er sich nur für seine Schwester zusammen. 

„Ich mache mir nur Sorgen um sie", wiegelte er ab, doch Matthias sah ihn an, als versuchte er hinter seine Fassade zu blicken. 

„Sie wird heute Abend ziemlich erschöpft sein. Auch wenn sie so tut, als würde es ihr nichts ausmachen", fuhr er fort und Jonathan stimmte mit einem Brummen zu. Schweigend und irgendwie angespannt arbeiteten sie weiter, gleichzeitig lauschte er, ob er sie aus dem anderen Zimmer hören konnte. Doch sie war zu weit weg, als dass er mehr als gelegentliches Poltern hören konnte.

********************************

Jonathan konnte nicht mehr sagen, wie lange sie schon Zeug in Müllsäcke stopften, doch auf der Terrasse standen schon vier, die bis oben hin gefüllt waren. Er fragte sich, wie viel Zeug man in dieser doch recht kleinen Küche unterbringen konnte. 

Er wusste nicht recht, was ihn hatte innehalten lassen, doch kaum dass er sich darüber gewundert hatte, sah er Sheila im Türrahmen stehen. Sie sah aus, als hätte sie ein Gespenst gesehen. In der Hand hielt sie eine kleine Holzkiste und sie starrte ihren Bruder an. 

Dieser reagierte sofort und quetschte sich an ihm vorbei und umarmte sie. Auch ihr Vater richtete sich auf und sagte irgendetwas auf Armenisch zu ihr. Jonathan fühlte sich hilflos, denn er wusste nicht, was sich in der Kiste befand, im Gegensatz zu Matthias, wie es schien. 

„Gib mir das. Du musst das nicht angucken", hörte er ihn sagen und sah, wie er nach der Kiste griff. Aber sie umklammerte sie so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. 

„Das kann ich doch nicht wegschmeißen", flüsterte sie mit zitternder Stimme, dann atmete sie zitternd aus.

„Ich kann das aufbewahren, wenn du meinst, er will es wiederhaben", schlug Matthias vor, doch sie schien die blöde Kiste nicht loslassen zu wollen. Fragend warf er einen Blick zu Darren, der ebenso verwirrt zu sein schien wie er selbst. Doch er wagte es nicht, sie zu fragen, was darin war, denn offensichtlich schien es sie aufzuwühlen. 

„Was ist los?", fragte Oskar, der gerade zu ihnen kam und sie skeptisch betrachtete. Matthias riss den Kopf zu ihm herum, doch er sagte nichts zu ihm. Oskar kam näher und betrachtete die Kiste in ihrer Hand. Langsam streckte er die Hand danach aus, aber Sheila schüttelte den Kopf. 

„Das... das solltest du besser nicht angucken", brachte Sheila hervor, woraufhin Oskar sie mit schmerzvollem Blick ansah. 

„Wir haben gesagt, dass ich seine Sachen aufbewahre. Also gib schon her", sagte er ernst, doch sie schüttelte den Kopf. Oskar hielt weiterhin seine Hand hin, aber Sheila hielt die Kiste weiterhin fest. 

„Ich gucke auch nicht rein, wenn du nicht willst", versuchte er es weiter, was sie wieder nur mit einem Kopfschütteln beantwortete. 

„Ich gebe sie dir nicht. Matthias kann sie aufbewahren", sagte sie schließlich und reichte die Kiste ihrem Bruder. Dieser nahm sie, doch er schien sich dabei sichtlich unwohl zu fühlen. 

„Sie war auch meine Mutter", flüsterte Oskar, dann wandte er sich um und nur wenige Sekunden später hörte er, wie die Haustür mit ziemlich viel Schwung zugeschlagen wurde. 

Sheila atmete zitternd aus, doch sie entspannte sich sichtlich. 

„Zeig ihm nicht den Brief, der dadrin ist", wandte Sheila sich schließlich an ihren Bruder, der nur stumm nickte. Allmählich dämmerte es Jonathan, was in der Kiste sein musste. Vielleicht hatte Ville Andenken an seine Mutter darin aufbewahrt. 

„Ich sage mal Johnny Bescheid, dass er rüber gehen sollte", sagte Matthias, drückte seinem Vater die Kiste in die Hand und verschwand. 

„Da ist unter anderem der Abschiedsbrief von Oskars Mutter drin. Er kennt ihn nicht und das ist auch besser so", erklärte sie nun endlich die Situation, doch Jonathan verstand noch immer nicht wirklich, warum sie auf keinen Fall wollte, dass Oskar die Kiste bekam. Natürlich war er neugierig, doch er fühlte sich nicht wirklich dazu berechtigt, sie über seine Mutter auszufragen. Sie hatte ihm nur erzählt, dass sie sich selbst das Leben genommen hatte. 

Slice of Life - A New Beginning IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt