Kapitel 43 - Sheila

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Sheilas Hand zitterte so stark, dass sie die Türklinke mit beiden Händen umfasste. Alles in ihr sträubte sich dagegen, die Tür zu öffnen und ihm gegenüberzutreten. Doch nun war es zu spät für einen Rückzieher. 

Krampfhaft hielt sie den Blick auf den Boden gerichtet, während sie die Tür ein Stück öffnete. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie kaum atmen konnte. Noch bevor sie ihn sah, spürte sie, wie er die Hand an ihren Hinterkopf legte und sie an seine Brust zog. Ohne es wirklich zu wollen, atmete sie seinen vertrauten Duft ein. Schneller als erwartet ließ er sie los und sie trat einen Schritt beiseite, damit er hinein kommen konnte. Obwohl sie noch immer die Türklinke umklammert hielt, drückte er die Tür zu. Erst da sah sie ihn das erste Mal an. 

Bei seinem Anblick schnürte sich ihr die Kehle zu. Er sah so verletzlich aus, die Augenbrauen zusammengezogen und die Augen voller Schmerz. Seine Haare fielen ihm wie immer in die Augen und schnell wischte er sie mit einer geübten Handbewegung aus dem Gesicht. 

„Hey", sagte er mit erstickter Stimme, dann griff er nach ihrer Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. Sie wollte ihm die Hand wieder entziehen, doch er klammerte sich so verzweifelt an ihr fest, dass sie es nicht schaffte. Sie zwang sich, ruhig zu atmen, dann machte sie eine Kopfbewegung in Richtung Wohnzimmer. 

Sie ging voran und entzog ihm im Gehen dann doch nicht ganz unsanft ihre Hand. Sie wollte es hinter sich bringen. Immerhin schien er klar zu sein, also würde er vielleicht rational reagieren. 

Eilig setzte sie sich auf die Seite am Esstisch, von der sie in die Küche sehen konnte. Ihr Vater hatte ihr gesagt, dass sie sich dorthin setzen sollte, so könnte sie immer wenn sie sich unsicher fühlte, ihnen einen Blick zuwerfen. 

Ville setzte sich ihr gegenüber und warf einen Blick über die Schulter. Jonathan schien sich anzuspannen, doch er erwiderte einfach nur seinen Blick. Innerlich war sie stolz auf ihn, dass er sich nicht von Villes blödem Gegrinse provozieren ließ, denn auch ohne es zu sehen wusste sie, dass er ihn frech angrinste. Augenblicklich spürte sie Wut in sich hochkochen. Es wirkte, als wäre das alles für ihn nur ein schlechter Witz. Sie ballte unter dem Tisch die Fäuste zusammen und warf ihm einen wütenden Blick zu. Als er endlich wieder sie ansah, wurde ihr schwindelig. Es war so verrückt, dass er sie noch immer nur ansehen brauchte, damit ihr Herz stolperte. Er sah sie einfach nur stumm an, bis er seufzte. 

„Ich wollte nur sagen, dass es mir leidtut, dass ich dich geschlagen habe. Ich war nicht ich selbst", sagte er. Seine Stimme hörte sich kratzig und belegt an. 

„Das warst du in den letzten Monaten ziemlich selten", warf sie ein und lachte verächtlich. 

„Stimmt wohl, aber du weißt, warum. Aber langsam komme ich damit klar", erwiderte er und noch immer sah er sie eindringlich an. Innerlich verdrehte sie die Augen. Es war so klar gewesen, dass er versuchen würde, sie zurückzugewinnen. Eine Weile hielt sie seinem Blick stand und sie hatte das Gefühl, dass er genau wusste, was sie dachte. 

„Es ist zu spät", sagte sie nur, doch ihre Stimme brach und sie spürte, dass sich Tränen in ihren Augen stauten. Schnell wandte sie den Blick ab und sah hilfesuchend zu Jonathan, der sie verzweifelt ansah. Er wirkte, als wollte er ihr unbedingt helfen, wusste aber nicht wie. 

„Das glaube ich nicht", flüsterte Ville, dann spürte sie, dass sein Fuß nach ihrem tastete. Schnell zog sie die Füße auf den Stuhl und umklammerte ihre Knie. Sie wollte nicht, dass er sie noch einmal berührte. 

„Bitte", flüsterte er so leise, dass sie es eher erahnte, als dass sie es hörte. Sein Blick war so schmerzverzerrt, doch er schien sich so weit im Griff zu haben, dass er nicht anfangen würde zu heulen. Sie fing mal wieder an, auf ihrer Lippe zu kauen, doch dann sammelte sie sich. Sie musste ihm klar und deutlich sagen, was sie dachte. Nur so würde er es vielleicht verstehen und sie könnte wieder mit Jonathan nach Hause fahren und in seinen Armen einschlafen. Langsam, aber entschlossen sah sie ihn wieder an. 

„Ich liebe dich nicht mehr. Es ist vorbei", sagte sie, doch ihre Stimme zitterte. Anscheinend dauerte es eine Weile, bis er die Bedeutung ihrer Worte begriff, dann vergrub er das Gesicht in den Händen und atmete zitternd aus. Obwohl es die Worte gewesen waren, die ihr Herz ihr vorgaben, fühlte sie sich schlecht. Es schmerzte, ihn so verletzt zu sehen. 

Eine gefühlte Ewigkeit saß er einfach nur da und schnell warf sie einen Blick zu Jonathan. In seinem Gesicht war so etwas wie Zufriedenheit zu sehen. Er freute sich wahrscheinlich wie ein Schneekönig, dass sie Ville endgültig den Laufpass gegeben hatte. 

„Okay", hörte sie Ville leise sagen und sofort wandte sie ihm wieder den Blick zu. Kurz glaubte sie, dass sie sich verhört hatte und sah ihn verwundert an. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nicht damit gerechnet, dass er sich so schnell geschlagen geben würde. Es passte irgendwie nicht zu ihm. Doch wahrscheinlich hatte Jonathan recht gehabt, sie stellte es sich viel schlimmer vor, als es dann letztendlich war. 

„Können wir vielleicht noch ein paar Minuten allein reden? Ohne... Zuhörer?", fragte er, doch Panik stieg in ihr auf. Schnell warf sie einen Blick zu ihrem Vater, der sich versteifte. 

„Ich schwöre, ich bin okay. Bitte. Ich will dir noch was zu... du weißt schon sagen", flüsterte er und sein Blick war so verzweifelt, dass sie beinahe die Hand nach ihm ausgestreckt hatte. Es war merkwürdig, ihn so verletzlich zu sehen. Er flehte sie förmlich an, doch sie traute ihm nicht so recht. 

„Du weißt, dass es niemand außer dir weiß. Ich kann nur mit dir darüber reden. Bitte, es frisst mich sonst auf und ich will versuchen, ohne... Ich will Plan B nicht unbedingt ausprobieren", sagte er. Obwohl er für die anderen in Rätseln sprach, wusste sie, was er ihr sagen wollte. Vielleicht hatte er sich doch entschlossen, die Therapie zu machen, doch bevor er seinen ersten Termin hatte, brauchte er jemanden zum reden. 

„Ich will nicht wieder rückfällig werden, aber ich muss dringend was los werden. Ich meine es ernst, es geht nur darum", erklärte er und mit jedem Wort wurde seine Stimme verzweifelter. Sie war hin und her gerissen. Einerseits wollte sie sich nicht dafür verantwortlich fühlen, dass er sich den goldenen Schuss setzen würde, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte, nur weil sie zu egoistisch war, sich kurz mit ihm zu unterhalten. Andererseits konnte sie noch nicht so wirklich glauben, dass er so schnell akzeptierte, dass sie ihn nicht mehr liebte. 

„Ich habe kapiert, dass du ihn liebst", sagte er mit einer abschätzigen Kopfbewegung in Jonathans Richtung. 

„Bitte, nur eine halbe Stunde. Dann kannst dir aus unseren gemeinsamen Sachen raussuchen, was du noch haben willst und ich packe mein Zeug und verschwinde. Ich verspreche es dir", sagte er eindringlich, dann hielt er ihr die Hand hin. Sie suchte verzweifelt nach einem Anzeichen, dass er einen Hintergedanken hatte, doch sie konnte nichts erkennen. Zögernd nahm sie seine Hand und drückte sie kurz. Dann ließ sie sie los, warf noch einmal einen Blick zu Jonathan, der ganz und gar nicht zufrieden schien und dann zu ihrem Vater, der Ville eindringlich musterte. Dann erhob Ville sich, schob den Stuhl wieder an den Tisch und erwiderte Darrens Blick. 

„Eine halbe Stunde. Wenn sie dann nicht wieder da ist, kommen wir sie holen", sagte er streng, doch Ville nickte. 

„Okay", erwiderte er, dann ging er langsam zur Tür. Zögernd stand sie auf und aus dem Augenwinkel sah sie, dass Jonathan ebenfalls aufgestanden war. Schnell ging sie zu ihm. Mit einem erleichterten Seufzen schloss er sie in die Arme. Sie drückte sich so fest an ihn, dass ihre Arme schmerzten, doch schnell ließ sie ihn wieder los. 

„Kommst du mich mit dem Auto abholen? Ich packe mir noch ein paar Klamotten ein", sagte sie, dann wandte sie sich ihrem Vater zu. 

„Ich bin stolz auf dich. Kommt doch nachher noch einmal kurz vorbei", sagte er, dann drückte auch er sie kurz an sich. Lisa strich ihr über den Arm und lächelte sie an. 

„Okay. Bis gleich", sagte sie zu niemand Bestimmtem, dann folgte sie Ville. Er wartete lässig an die Haustür gelehnt auf sie, doch als sie näher kam, versteifte er sich. Schnell zog sie sich Schuhe und Jacke an, dann öffnete sie entschlossen die Haustür und trat in die kalte abendliche Herbstluft. Ville kam ihr hinterher und schloss die Tür hinter sich. Er schob die Hände in die Jackentaschen und ging schneller als erwartet in Richtung nach Hause. Eilig schloss sie zu ihm auf und sah ihn erwartungsvoll an, doch er schwieg den ganzen Weg. 

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