Kapitel 117 - Sheila

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Sheila hätte zwar lieber Zeit mit Jonathan verbracht, aber sie fühlte sich schlecht, wenn sie ihn von seiner Arbeit abhielt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie noch knapp drei Stunden Zeit hatte, bis Johnny sie abholte. Kurz überlegte sie, was sie tun konnte, doch dann formte sich in ihr eine Idee. 

Sie schnappte sich ihr Handy, suchte nach einem Zettel und einem Stift und machte sich daran, ein wenig über mögliche Jobs zu recherchieren. Zwar war sie noch bis Ende des Jahres krankgeschrieben, aber informieren konnte man sich doch schon mal. 

Kurz dachte sie daran, wieder zu Vortanzen zu gehen, doch relativ schnell verwarf sie den Gedanken. Sie wusste, dass sie nicht mehr gut genug war. Außerdem entsprach sie mit ihren Armen nicht dem klassischen Bild einer Primaballerina und in dieser Hinsicht war diese Welt gnadenlos. 

Sie dachte daran, wie sie sich mit Jonathan darüber unterhalten hatte, dass er in seiner Ausbildung ein Praktikum beim Theater gemacht hatte. Kurzerhand gab sie in die Google-Suchleiste Jobs im Theater ein und klickte sich durch die verschiedenen Stellenausschreibungen. Die meisten waren für höhere Positionen, für die sie eine spezielle Ausbildung benötigte, doch sie fand auch einige, die eher ihrem Profil entsprachen. 

Zum Beispiel gab es eine Stelle in einem Theater, das auch Ballettaufführungen durchführte für die Assistenz beim Abenddienst und bei Sonderveranstaltungen. Sie konnte sich durchaus vorstellen, dass sie diejenige war, die nach den Pausen die Türen zum Saal schloss, den Leuten half ihre Plätze zu finden und so etwas. So müsste sie sich noch nicht ganz vom Tanzen trennen.

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Wie im Flug war bei ihrer Recherche die Zeit vergangen und sie musste sich ein bisschen beeilen, wenn sie Johnny nicht warten lassen wollte. Eilig band sie sich die Haare zusammen, schlüpfte von der Jogginghose in eine Jeans, schnappte sich ihre Handtasche und ging zur Wohnungstür. Gerade als sie sie öffnen wollte, hielt sie inne. Vielleicht sollte sie Jonathan einen Zettel da lassen. Das war eigentlich immer ziemlich süß, wenn man Zettel mit kleinen Nachrichten von dem anderen fand.

So ging sie noch einmal zurück, riss ein Stück von ihrem Zettel, den sie für die Jobrecherche benutzt hatte ab und kritzelte eine kurze Nachricht darauf. Sie legte den Zettel auf die Arbeitsfläche in der Küche, denn da würde er ihn mit Sicherheit finden. 

Dann ging sie aber endlich nach unten, wo Johnny schon in seinem Auto auf sie wartete. Als er sie erkannte, winkte er und lächelte sie an. Sie erwiderte den Gruß und stieg schnell zu ihm in seinen weißen BMW. 

„Hey, Sweetie", rief er freudestrahlend und breitete die Arme aus. Schnell umarmte sie ihn und augenblicklich musste sie lächeln. Er hatte immer eine so ansteckende gute Laune, dass sie meistens ihre Probleme vergessen konnte, wenn sie mit ihm zusammen war. 

„Wie geht's Oskar? Hat er sich wieder beruhigt?", fragte sie, als er gerade aus seiner Parklücke herausfuhr. Johnny seufzte und machte eine wegwerfende Handbewegung. 

„Du kennst ihn doch. Ist ein schwieriges Thema. Aber er kriegt sich schon wieder ein", berichtete er, doch sie war sich nicht ganz sicher, was das bedeutete. Ein klein wenig machte sich ihr schlechtes Gewissen bemerkbar, denn immerhin hatte sie ihn dabei haben wollen, damit sie sich nicht allzu sehr mit Villes Sachen hatte beschäftigen müssen. 

„Wenn er nach der Kiste fragt... Er sollte nicht wissen, was darin ist. Ich weiß nicht, wie viel du weißt, aber...", sie unterbrach sich, doch sie spürte Johnnys aufmerksamen Blick auf sich. 

Nervös kaute sie auf ihrer Lippe. Sie wusste, dass Oskar nicht über die Dinge sprach, die ihm in seiner Kindheit angetan wurden. Wahrscheinlich noch nicht einmal mit seinem Mann. 

„Schon verstanden, er sollte sie einfach nicht in die Finger bekommen", schloss Johnny und setzte ein Lächeln auf. Sheila nickte, doch sie spürte, dass Johnny eigentlich mehr darüber wissen wollte. Allerdings fragte er nicht weiter, wofür sie ihm in diesem Moment dankbar war. Sie wollte nicht über Oskars Vergangenheit reden, wenn er selbst es nicht wollte. 

„Kommst du auch am Freitag?", fragte Johnny nach einer Weile und erst da fiel ihr wieder ein, dass Oskar ja am Samstag Geburtstag hatte. 

„Klar!", sagte sie und sie musste zugeben, dass sie sich schon freute. Endlich würde sie wieder etwas Normales tun, etwas, das sie sonst auch gemacht hätte. 

„Vielleicht könnte ich heute auch nach einem Geschenk für ihn Ausschau halten. Was hast du denn führ ihn?", fragte sie ihn, doch er grinste nur verlegen. 

„Ich schenke ihm einen Gutschein für ein Wellness-Wochenende. Er arbeitet doch immer so viel", sagte er und schaute ein wenig verlegen drein. 

„Das ist eine ziemlich gute Idee. Wahrscheinlich musst du ihn zwingen, denn er meint, er hat keine Zeit dazu", lachte sie, dabei war es eigentlich nicht zum Lachen. Oskar war fast schon ein wenig zu fleißig. Zwar hatte er schon viel erreicht, er wurde gerade einmal 26 und hatte schon sein Medizinstudium abgeschlossen und schrieb gerade nebenberuflich an seiner Doktorarbeit. 

„Manchmal kommt er nach der Arbeit nach Hause und da fällt ihm auf, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hat. Er meint, er hätte keine Zeit dazu", sagte er bitter, doch Sheila verstand, was er meinte. 

„Er soll es nicht übertreiben. Es ist nicht schlimm, wenn er länger für seine Doktorarbeit braucht. Guck dir mich an, ich bin arbeitslos und kriege nicht allzu viel auf die Reihe und kriege trotzdem keine Krise", erwiderte sie, doch sofort fing sie sich einen strafenden Blick von ihm ein. 

„Mach dich nicht schlechter, als du bist. Anscheinend läuft es zwischen dir und Jonathan ziemlich gut", versuchte er sie aufzumuntern und warf ihr ein verschmitztes Grinsen zu. Ein wenig verlegen lächelte sie. 

„Ja, schon. Aber es ist doch noch ganz frisch", sagte sie, spürte aber, wie ihre Wangen rot wurden. 

„Ich mag ihn", sagte Johnny, was sie innerlich ziemlich freute. 

„Er ist so anders als Ville", hörte sie sich sagen und sofort bereute sie es. Ohne es wirklich zu wollen, schlich er sich immer wieder in ihre Gedanken. 

„Zum Glück", gab Johnny nur zurück, dann lenkte er seinen Wagen in die Garage des Einkaufszentrums. Ein wenig belustigt beobachtete sie, wie er sich etwas unbeholfen durch das enge Parkhaus schlängelte. Er fluchte. 

„Warum sind Parkhäuser immer so eng?", fragte er wütend, während er nach dem dritten Anlauf endlich in der Parklücke stand. 

„Warum ist dein Auto auch so riesig?", stellte sie die Gegenfrage, doch sie erntete nur einen genervten Blick. 

„Komm, wir haben eine Menge vor", sagte er, griff nach seiner Handtasche auf dem Rücksitz und knallte die Autotür hinter sich zu. Sheila folgte ihm und hakte sich bei ihm unter, während sie aus dem Parkhaus in Richtung Einkaufszentrum gingen. 

Slice of Life - A New Beginning IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt