Kapitel 36

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"Also - was bildest du dir eigentlich ein?!"
Marcos blaue Augen waren zwar so eisig wie eh und je, doch trotzdem loderten sie zeitgleich Wut. Auch mit erhobener Stimme, hatte ich ihn bisher selten erlebt. Meist zog er es vor, sie ruhig und schneidend zu gebrauchen.
Doch heute war alles anders. Heute bekam ich die volle Ladung seines Zorns ab.

Ich biss mir so fest auf die Zunge, dass ich Blut schmeckte. Seine Frage war rein rhetorisch gewesen; das wusste ich. Daher war es besser, einfach erst mal nur die Klappe zu halten.

"Nach dieser Aktion letzte Nacht, hältst du es also nicht einmal für nötig, deinen Arsch hierher zu bewegen?! Du schickst Frank vor und bequemst dich erst her, nachdem man dich x-mal angerufen hat?!"
Allerdings...
Ehrlich gesagt hätte ich eher damit gerechnet, dass er mir irgendjemanden von uns auf den Hals hetzen würde. Um nach mir zu suchen. Dass er es bei circa zwanzig Anrufen belassen würde, hatte selbst mich mehr als überrascht.

"Wo zum Teufel warst du?!", brüllte Marco noch lauter als zuvor und es verlangte mir einiges ab, nicht zusammen zu zucken. Wenn er so weitermachte, erinnerte er mich noch an meinen Erzeuger. Eine besonders gute Situation für ein Gespräch mit mir, war das wahrlich nicht...
Allerdings wusste ich auch vorher schon, dass ich Mist gebaut hatte mit meinem Verhalten. Ich hatte im Grunde damit gerechnet, dass er dementsprechend aus der Haut fahren würde.

Das war die Stelle, an der ich besser antwortete.
"Es tut mir Leid, Marco. Ich war zu Hause"
"Zu Hause?! Ah, der Herr zieht es vor gemütlich daheim die Füße hochzulegen, anstatt seinen Pflichten nachzukommen"
Hohn lag in seiner Stimme und ich schluckte. Ihn anzulügen war eine gefährliche Gratwanderung.
"Ich hatte Stress mit meinem Bruder. Ich konnte die Sache erst heute Vormittag klären"

Einige Sekunden herrschte Stille. Und mit jeder Sekunde spannte ich mich mehr an.
Bis Marco plötzlich wie von der Tarantel gestochen von seinem Bürostuhl aufsprang und die Hände vor sich auf die Tischplatte stämmte. Ich trat automatisch einen Schritt nach hinten und hätte mir dafür am liebsten selbst eine Ohrfeige verpasst. Es war nie gut, sich all zu jämmerlich vor Marco zu geben.
"Es ist mir scheißegal was mit deinem Bruder ist! Du hast verdammt nochmal deinen Job zu erledigen! Und zwar bis zum Schluss!"

Ich versuchte so aufrecht wie möglich stehen zu bleiben und nicht noch weiter einzuknicken.
"Euretwegen kann ich jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, damit uns die verdammte Leiche von diesem Sonny nicht auf den Kopf fällt!" Wutentbrannt fegte er mit einer Hand den gläsernen Aschenbecher von seinem Tisch. Er flog ein gutes Stück und zerbrach in sämtliche Einzelteile.
"Und als ob das nicht genug wäre, läuft da draußen auch noch irgendwo diese verdammte Schlampe rum, die alles mitangesehen hat und womöglich wichtige Infos gehabt hätte!"

Für gewöhnlich war Marco nicht der Typ, der sich großartig von jemandem beeinflussen ließ. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass Frank auf jeden Fall gute Arbeit geleistet hatte; hier sprudelten nicht nur alleine Marcos Worte aus ihm raus.
Frank hatte ihm noch den zusätzlichen Floh ins Ohr gesetzt was diese Emma anging.

"Langsam habe ich das Gefühl, nur von ignoranten Idioten umgeben zu sein!", regte Marco sich immer noch weiter auf. "Ist dir klar, dass von ihr jede Spur fehlt? Nach dem Verhör bei der Polizei, ist sie wie vom Erdboden verschwunden!"
Mit drohender Miene umrundete Marco seinen überdimensionalen Schreibtisch und ging langsam auf mich zu.
Jeder Muskel in mir schien sich zu verkrampfen. Doch trotzdem versuchte ich ruhig zu bleiben...
Nervös oder gar ängstlich zu wirken, wäre in diesem Moment das Ende gewesen.
"Hast du irgendetwas mit dieser Hure zu tun?"

Nach Franks Andeutung, hatte ich mit dieser Frage gerechnet. Trotzdem musste ich erst einmal hart schlucken, ehe ich eine Antwort zustande brachte.
"Ich hatte diese Frau noch nie gesehen"
Bewusst vermeidete ich es zu blinzeln. Aktuell zweifelte Marco an allem und jeden - ich konnte es ihm bis zu einem gewissen Punkt nicht einmal verübeln. Doch noch mehr Misstrauen von ihm, konnte ich wirklich nicht gebrauchen.

Two FacesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt