Kapitel 26

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MILLY

Es war verrückt, wie schnell die Zeit verging. Noch vor einiger Zeit hatte ich gegen Avery und Jared gleichzeitig gekämpft und von heute auf morgen hatte sich zumindest die Sache mit Avery erledigt gehabt. Es hatte tatsächlich alles mit der Fernhalteverfügung so geklappt, wie ich es mir erhofft hatte. Avery hatte sie sehr widerstrebend akzeptiert und auch noch einige Male versucht über Scott mit mir in Kontakt zu treten, aber auch der hatte Avery schließlich gesagt, dass er ihm nicht weiter dabei helfen würde, mich zu nerven. Der Arzt hatte ihm wesentlich strengere Auflagen gegeben, die selbst jetzt, ein Jahr später, noch für ihn galten. Er durfte die Psychiatrie nur mit einem Pfleger verlassen, die Therapien wurden verdoppelt und seine Zeit am Telefon fand auch nur noch unter Aufsicht statt. Ich war wirklich begeistert davon, dass das alles so reibungslos geklappt hatte und immer noch klappte, denn ich hatte definitiv noch andere Dinge zu tun, auf die ich mich jetzt vorrangig konzentrieren musste - nämlich Jared und meine Ausbildung. Zugegeben, das letzte Jahr war definitiv kein Zuckerschlecken gewesen. Jared hatte mir mehr als nur ein Mal noch Schwierigkeiten bereitet, ich hatte mich mehrfach verletzt und war sehr häufig mit ihm aneinander geraten, aber trotz allem hatte ich sehr viel Unterstützung von meinen Freunden und Kelly erhalten, also war ich mit Jared auch ganz gut fertig geworden. Und nun war der wichtigste Tag in meinem Leben gekommen - die praktische Abschlussprüfung. Ich musste nur noch diese eine Prüfung bestehen und dann könnte ich schon in wenigen Wochen endlich meinem Traumjob nachgehen, auch, wenn ich noch nicht wusste, auf welche Wache ich kommen würde. Am liebsten wäre mir natürlich die Wache meines Bruders, aber darüber hatte ich keine Entscheidungskraft, das entschied allein der Commissioner. Nervös stand ich nun mit voller Montur vor Jared in der Reihe der Anwärter, die nur darauf warteten, ihre Runde laufen zu dürfen und alle Hindernisse in der vorgegebenen Zeit absolvieren zu können. Nervös trat ich dabei von einem Fuß auf den anderen. Ich hatte zwar viel trainiert und war mir sicher, dass ich das schaffen konnte, aber trotzdem war ich sehr nervös. Es war die letzte Prüfung und sollte die in die Hose gehen, würde ich meinen Abschluss nächste Woche bei der Feier nicht bekommen. Und noch ein Jahr auf die nächste Prüfung zu warten, wollte ich wirklich nicht.
"Severide! Sie sind dran!", rief Captain Brinx da, ich nickte und trat an die Startlinie vor. Sobald er mir das Zeichen gab, lief ich los, nahm den Schlauch auf und begann damit die Treppe hinauf zu laufen. Jared folgte nur gute zwanzig Sekunden nach mir, aber zum Glück hatte ich genügend Vorsprung, um nicht von ihm gestört zu werden. Sobald ich oben angekommen war, zog ich mir meine Gasmaske auf und betrat den mit Rauch gefüllten Raum, durch den wir uns auf dem Bauch durchkämpfen mussten. Diese Übung hatte ich am meisten trainiert, schließlich war das mit Abstand die schwierigste, allein deshalb, weil wir nichts sehen konnten und uns nur auf dem Bauch fortbewegen konnten. Ich hatte mich gerade unter dem niedrigsten Hindernis durchgekämpft und wollte aufstehen, um die Tür zu öffnen, die nur wenige Zentimeter vor mir war, als ich ein Fluchen hörte. Ich drehte mich um und konnte selbst durch den dichten Rauch erkennen, dass Jared mit seiner Sauerstoffflasche am niedrigen Tisch hängen geblieben war, unter dem wir hindurchkriechen mussten. Ich musste im ersten Moment in mich hineingrinsen. Wenn er da noch einige Sekunden blieb, würde er die Prüfung nicht bestehen und ich hätte endlich meine Ruhe vor ihm! Das wäre alles, was ich mir jeweils wünschen könnte! Doch dann verging mir mein Grinsen. So war ich nicht, ich war nicht so ein Arsch wie Jared. Aber lange Zeit zum Überlegen hatte ich auch nicht, also drehte ich mich um und hob den Tisch an, sodass Jared darunter hervorkommen konnte. Verwirrt sah er auf und kämpfte sich dann auf die Füße.
"Was soll das?", fragte er verwirrt nach, aber ich hatte mich bereits wieder umgedreht.
"Erklär ich dir später, aber ich bin eben nicht so ein Arsch wie du. Jetzt muss ich mich aber erstmal beeilen, wir reden später", fuhr ich ihn knapp an, bevor ich bereits nach draußen rannte, um meine Runde noch in der vorgebenen Zeit zu beenden. So schnell ich konnte, rannte ich also nach draußen und nahm den Dummy in die Hand, den ich nur noch über den Hof zur Ziellinie ziehen musste. Dort warteten bereits die anderen und auch Captain Brinx, also zog ich den Dummy mehr schlecht als recht zur Ziellinie und ließ mich dort atemlos auf den Boden fallen. Diese Dummys wurden gefühlt immer schwerer! Schwer atmend sah ich zu Captain Brinx hoch, der auf seine Uhr und dann zu mir sah.
"Nicht Ihre beste Zeit, Severide, aber gerade noch so geschafft. Glückwunsch", sagte er und lächelte mich an, bevor er sich Jared zuwandte, der nun ebenfalls seinen Dummy über die Ziellinie zerrte. Ich kämpfte mich derweil wieder auf die Füße und holte tief Luft. Ich hatte es geschafft! Ich hatte die Ausbildung geschafft! Ich war jetzt eine Feuerwehrfrau! Ich begann jubelnd zu lachen. Ich hatte es tatsächlich geschafft! Noch bevor ich meinen Freunden in die Arme fallen konnte, die ihre Prüfung ebenfalls schon geschafft hatten, wurde ich auf die Seite gezogen. Verwirrt sah ich zu Jared auf, der mich einige Schritte auf die Seite gezogen hatte.
"Jetzt noch mal, Severide. Was sollte das eben?", fragte er ernst nach. "Du hättest wesentlich besser abschneiden können, wieso hast du mir geholfen?"
"Jared, ich bin kein Arsch wie du. Ich helfe Menschen, egal, ob ich sie mag oder nicht. Also habe ich dir geholfen, so bin ich eben. Versteh es oder versteh es nicht, aber so bin ich nun einmal", erklärte ich ihm knapp und machte mich von ihm los. "Also, ich gratuliere dir zu deiner bestandenen Prüfung. Komm mir aber bloß in Zukunft nicht in die Quere, ich kann auch anders." Jared lachte leicht auf und stieß mir gegen die Schulter.
"Klar doch, Putzfrau. Das werden wir dann noch sehen", scherzte er, bevor er sich zu seinen Freunden verzog. Verwirrt sah ich ihm nach und schüttelte den Kopf. War er gerade tatsächlich so etwas wie freundschaftlich gemein zu mir gewesen? Verrückt! Egal, jetzt wollte ich erstmal ausgiebig feiern. Ich hatte schließlich bestanden, ich war eine Feuerwehrfrau!

Chicago Fire - Der Weg der Milly Severide 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt