14. Kapitel

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     Jerome verhielt sich beim Abendessen merkwürdig. Marie und ich hatten uns dazu entschieden, mit den anderen zu essen. Jerome stocherte in seinem Essen herum und starrte Löcher in die Luft. Er wirkte gedankenverloren und nicht wie er selbst.
     Zwar hatte er mir versichert, dass Alec sich entschuldigt hatte und das er ruhiger gewesen war, als er nach dem Spaziergang zurückgekommen war, doch Jerome hatte sehr zurückhaltend reagiert, was verständlich war. Wäre Jax einfach so auf mich los, hätte ich vermutlich auch erstmal Abstand gebraucht.
    Alec hatte angeboten, dass die beiden sich erstmal in Ruhe kennenlernen sollten. Jerome aber hatte gesagt, dass er Zeit bräuchte um sich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Ich hatte gesehen, wie Alec zusammengezuckt war, doch dann hatte er nur genickt und war mit Jax verschwunden.
     Jerome und ich waren nun im Augenmerk mancher Hexen. Alles drehte sich darum, dass wir Werwölfe als Gefährten haben. Vorhin hatten sie Jerome mit Fragen gelöchert, bis er ausgerastet war und geschrien hatte.
     Er hatte geschrien, dass sie die Klappe halten sollten und das weder Alec noch Jax schlechte Männer waren.

    Danach war er so still geworden, wie er jetzt war. Marie und ich wussten nicht, was wir tun konnten. Es sollte nicht so sein, dass man die Hauptperson war, nur weil man einen Gefährten hatte, der ein Werwolf war.
     Man sollte uns in Ruhe lassen. Diesen Gefallen taten sie uns aber nicht. Stattdessen starrten sie uns alle weiter an.
     Jerome schien noch immer leicht verstört. Immer wieder warf er einen Blick zu mir und schien unschlüssig zu sein, ob er mich ansprechen wollte. Dann aber versank er wieder in seinen Gedanken, fernab von all den Dingen.

     Er bemerkte es nicht einmal, als wir alle aufstanden und gingen. Erst als ich seinen Namen sagte, schreckte er auf. Wie ferngesteuert lief er aus dem Saal zu seiner Hütte. Marie und ich seufzten beide.
    »Ich glaube, dass das Ganze ihm ganz schön zusetzt. Ich wünschte, dass es leichter für ihn wäre«, murmelte sie.
     Zustimmend nickte ich. »Für mich war es auch ein Schock, aber Jax hat nicht versucht mich zu beißen. Ich glaube, dass ich auch so schockiert wäre, wenn Jax das bei mir versucht hätte, obwohl wir uns noch nicht mal richtig gekannt hatten.«
     Marie warf mir einen kurzen Blick zu. »Vorhin dachte ich kurz, dass er es tun würde. Aber er hat es nicht getan. Er hat einen ganz schön starken Willen.« Ich lächelte leicht. »Vielleicht ist er vom Sternzeichen her Stier«, witzelte ich. Marie grinste nur und dann waren wir wieder in der Hütte.

     Trotzdem hatte ich nicht vergessen, das dunkle Ringe unter ihren Augen lagen und wie müde sie aussah. Nein. Das hatte ich nicht. Zwar versteckte sie es hinter einem Lächeln und ich war mir sicher, dass sie hoffte, dass ich es vergessen würde, jetzt da Alec eröffnet hatte, dass Jerome sein Gefährte sei, doch auf der anderen Seite wollte ich nicht zulassen, dass diese Ereignisse überschatteten, was ich erfahren hatte und das Marie litt.
    »Marie?«, fragte ich vorsichtig. Ihr Rücken wurde steif wie ein Brett und ihr ganzer Körper verströmte Anspannung. Trotzdem drehte sie sich zu mir um, mit einem Lächeln auf den Lippen. »Ja, Oria?«
     Am liebsten hätte ich ihr das Lächeln aus dem Gesicht gewischt, um die wahre Marie zu sehen, die sich gerade versteckte, in der Angst, dass ich sie entdeckte und fand. Aber ich hatte nicht vor sie weit kommen zu lassen. Auf gar keinen Fall. Nein.

     »Was ist los?«

     Meine Frage ließ sie tatsächlich zusammenzucken. Einfach so. Was mir verriet, dass sie nicht vorhatte, es mir zu sagen. Noch nicht. Vermutlich, weil das alles selbst etwas viel für sie war.
     »Ich...« Ihre Kehle bewegte sich auf und ab, als sie schluckte. Ihre Augen flirrten durch den Raum als könnte sie dort die Antworten finden, die sie suchte. Womöglich ohne viel Erfolg. Denn ich wusste, dass sie sie nicht so bald finden würde.
     Schließlich sah sie wieder mich an und holte tief Luft.

     »Gerade ist nur alles etwas viel für mich. Lernen, das mit diesen Tieren... es ist alles so viel. Ich weiß gar nicht, wie ich mich konzentrieren soll. Das ist nämlich alles andere als einfach.«
     Ihre Ehrlichkeit tat gut. Zeigte es doch, dass sie versuchte ehrlich zu mir zu sein, um mich nicht zu verärgern. Sie wusste, dass ich es nicht mochte, wenn man mich anlog und es war besser mir zu sagen, wenn etwas nicht in Ordnung war.
     Man musste nicht sagen, was es war. Es reichte mir, wenn man mir sagte, dass man nicht darüber reden wollte, doch so zu tun als sei alles in Ordnung, konnte ich nicht ausstehen. Womöglich, weil ich es selbst sehr lange getan hatte und ich darunter gelitten hatte. Denn das hatte ich.
    All die Jahre lang hatte ich ein Lächeln auf den Lippen gehabt und hatte genickt. Immer nur genickt. Mein Kopf war die Bewegung gewöhnt gewesen und meine Lippen hatten sich bereits automatisch nach oben verzogen.

Caged FeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt