21. Kapitel

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     Im Wageninneren war es still, während wir die Strecke zum Übungsplatz fuhren. Da ich ein Mitglied war, musste ich nur meine Karte vorzeigen und einen Gast durfte ich immer mitnehmen. In diesem Fall war Jax mein Gast. Die Frage war nur, ob ich es heute überhaupt schaffen würde, noch mit meiner Waffe zu schießen.
     Meine Hände zitterten bei diesem Gedanken in meinem Schoß, wo ich sie gefaltet hatte, doch ich würde mich davon nicht abringen lassen, durfte mich davon nicht abbringen lassen. Das wäre fatal. Ich musste es zumindest versuchen. Musste mich daran erinnern, wieso ich damit angefangen hatte.
     Jax hielt es zwar nicht für die beste Idee, doch er hatte mir nicht widersprochen und mir gesagt, dass er mir bei allen Dingen helfen würde, wenn nötig. Etwas in mir empfand es als sehr nötig. Sehr, sehr nötig. Es war einfach nötig. Ich musste es wagen. Musste es machen. Denn anders ging es nicht.

     Im Radio lief leise ein Song, doch ich hörte ihn kaum. Ich hörte nur die Stimmen in meinem Kopf. Hörte diese böse Stimme, die mich einen Feigling nannte, hörte aber auch meine weise, vernünftige Stimme, die mir sagte, dass alles bald in Ordnung sein würde. Das konnte ich nur hoffen.
     Denn ich musste es weiterhin versuchen, musste mir vieles in Erinnerung rufen. Selbst, wenn es dann heute noch nicht klappen sollte. Viel zu lange war ich schon nicht mehr am Schießstand gewesen. Es wurde Zeit, dass ich mal wieder kam.
     Um zu sehen, ob ich noch immer verstand, was es bedeutete. Eine halbe Ewigkeit war ich nicht mehr dort gewesen. Natürlich hatte ich einen Schein aber... vermutlich habe ich einfach viele Dinge aus den Augen verloren. Viel zu viele Dinge.
     Im nächsten Moment bog Jax ab und fuhr auf den Parkplatz ein, der sowohl gute als auch schlechte Erinnerungen in mir wachrüttelte. Auf diesem Parkplatz hatte es schon alles für mich gegeben: Tränen, Lachen, Freude. Viele Dinge, die ich niemals vergessen würde. Die Tränen hatten oft überwogen.
     Weil ich mir die Gründe in Erinnerung rufen musste, wieso ich eine Waffe brauchte. Es war merkwürdig, mich daran zu erinnern. Eine lange Zeit hatte ich im Zirkel gelebt, mit dem Schutz der Hexen. Bis ich eines Tages von jemanden angebaggert worden war, ohne die Hilfe von Marie oder jemand anderen.

     Ich war auf mich allein gestellt gewesen, ohne Schutz, ohne etwas, das mir half. Danach hatte ich verstanden, dass ich mich schützen musste. Da ich keine Magie hatte und für Nahkampf am Anfang nicht die Geduld gehabt hatte, hatte ich mit dem Schießtraining begonnen, um mich auch gegen größere Gegner wie Werwölfe währen zu können.
     Denn im Nahkampf hätte ich keine Chance. So viel war mir klar. Nicht, dass ich geplant hatte mit einem Werwolf zu kämpfen. Im Gegenteil. Mein Plan war es schon immer gewesen, friedlich ein Leben zu führen.
     Jesiba aber hatte darauf bestanden. Besonders, als die Dinge mit dem Werwolf vorgefallen waren und ich Schutz gebraucht hatte. Sie hatte mich dazu gebracht.

     Es diente zu meinem Schutz. Auch heute hatte es mir geholfen. Nicht nur mir, auch den anderen. Gleichzeitig aber hatte es mir zugesetzt und ich durfte das nicht mehr zulassen. Konnte es einfach nicht zulassen. Ich musste daran arbeiten. Musste daran festhalten. Tief holte ich Luft, als Jax in eine Parklücke fuhr und kurz darauf den Motor abstellte.
     Sein Blick legte sich auf mich, doch er sagte nichts, drängte mich nicht. Ließ mich entscheiden, wann wir ausstiegen.

     Das Herz schlug mir bis zum Hals, während ich auf das vertraute Gebäude blickte. Es löste widersprüchliche Emotionen in mir aus, die um die Vorherrschaft in meinem Körper kämpften. Zum einen die Freude und der Stolz, die mich an meine Leistungen erinnerten und mir aufzeigen wollten, was ich alles bewältigt hatte.
     Zum anderen aber auch die Trauer und die Angst, die kamen, sobald ich das Gebäude erblickte. Die Waffe drückte gegen meinen Rücken und sorgte dafür, dass ich mich unwohl fühlte. Es war genau das. Eine Waffe. Es sollte mich nicht überraschen, doch genau das tat es. Es überraschte mich.

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