5. Kapitel

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     Während ich auf meinem Brot herumkaute, versuchte ich wieder herauszufinden, wer denn gerade anders als sonst wirkte. Leider fiel mir niemand auf. Keiner von ihnen wirkte so, als würde er dunkle Magie betreiben. Keiner sah so aus als würde er tote Tiere beschwören. Doch da konnte ich mir nicht sicher sein.
     In meinem Kopf drehte sich jedes Rad, auf der Suche nach einer plausiblen Antwort. Leider fand ich keine. Ich fand keine Antwort auf meine Fragen und zurück blieb nur Leere. Noch mehr Fragen aber keine Antworten.
     Jesibas Blick glitt ebenfalls forschend über alle hinweg. Die Stimmung war angespannt, denn dies blieb natürlich nicht unbeachtet. Jesiba hatte diesen Blick. Diesen messerscharfen, bohrenden Blick, der alles und jeden scannte. Manchmal fragte ich mich, ob sie auch wirklich sah, wer etwas im Schilde führe. Ich konnte es nicht erahnen. Ich konnte es nicht wissen. Jesiba war in diesen Sachen sehr... zurückhaltend. Diese Informationen behielt sie für sich und das war in Ordnung so.
     Meistens ging mich das auch nichts an. Es ging mich nichts an und würde es auch nie. Denn das waren Sachen des Zirkels. Hexenangelegenheiten, aus denen ich mich schon aus egoistischen Gründen heraushalten wollte. Nicht, weil ich nicht dazugehören wollte, sondern weil es nach all den Jahren noch immer schwer war, das alles genau zu verstehen.

     Ich hatte mir Mühe gegeben. Jeden Tag. Hatte versucht alles zu verstehen, hatte sogar ein paar Sachen gelernt, doch meistens hatten mich so oder so alle ausgeschlossen, egal wie viel ich gelernt hatte. Also hatte ich es irgendwann wieder gelassen.
      Die Stimmung war gedrückt. Die Stille, die sich über uns gesenkt hatte, wurde nur von dem Donner und dem prasselnden Regen unterbrochen. Das war alles, was man hören konnte. Ich wünschte mir nur, bald von hier weg zu sein. Bald nach draußen gehen zu können um... um atmen zu können.
      Denn hier drinnen wurde die Luft immer stickiger vor Anspannung und ich glaubte tatsächlich, dass ich Wut in den Augen von ein paar Leuten funkeln sah. Hilfe, dachte ich. Hilfe. Ich betete, hoffte, das alles in bester Ordnung war.
     Ich hoffte, dass niemand seine Wut an Jesiba auslassen würde, denn sie hatte es am wenigstens verdient. Je länger Jesiba durch die Runde sah, ohne einen Ton zu sagen, stieg die Anspannung in der Luft.
     Man konnte sie knistern spüren. Die Anspannung. Überall im Raum. Es war kaum noch auszuhalten. Ein Gefühl machte sich in mir breit. Ein Gefühl der Unruhe. Ich hatte fast schon Angst, dass jemand gleich auf Jesiba losgehen würde. Denn das wollte ich auf jeden Fall verhindern.
     Meine Augen scannten den Raum. Mittlerweile wirkte auch Marie angespannt. Sie hielt ihre Gabel umschlossen, als könnte sie jemanden damit verletzen. Kurzzeitig sah sie mal zu mir, dann wieder zu den anderen. Auch sie schien nur darauf zu warten, dass jemand auf Jesiba losging.
     »Wieso siehst du uns so an, als hätten wir etwas verbrochen?«, fragte schließlich James und sprach damit das aus, was vermutlich viele anderen auch dachten. Jesiba legte den Kopf schief und etwas Kühles legte sich in ihren Blick.
     »Weil ich versuche herauszufinden, ob wir in unserem Zirkel einfach Leute haben, die dumm sind oder gemeingefährlich. Man konnte das schon immer am besten herausfinden, wenn man Leute beim Essen oder bei anderen schönen Aktivitäten beobachtet hat. Wenn einer von euch etwas weiß, sollte er es mir also sagen.«

     Die Drohung war klar und deutlich. Verdammt klar. Sollte man es ihr nicht sagen und sie würde es so oder so rausfinden, würden diese Hexen verbannt werden. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Eine erneute Verbannung.
     Ich wusste genau, dass ihr das nicht leichtfiel. Ich wusste genau, dass das der letzte Schritt war, den sie tun wollte. Denn jemanden zu verbannen war nie schön. Niemals.
     Man hatte immer das Gefühl, versagt zu haben. Man fragte sich, was man hätte tun können, um das zu verhindern. Das hatten wir alle nach dem Vorfall gelernt und mir war es schleierhaft, ob wirklich jemand so dumm war, um den Frieden mit den Werwölfen und all den anderen zu riskieren.
     Denn Hexen hatten schon immer darum kämpfen müssen, gemocht zu werden. Das hatten mir schon viele erzählt. Vor Jahrhunderten schon waren sie gefürchtet gewesen und niemand hatte sich getraut, mit Hexen zu sprechen.
     Ihre Zauberkräfte hatten allen Angst eingejagt. Etwas war passiert und man hatte Mühe gehabt, allen zu zeigen, dass die Hexen eigentlich gut waren und nicht böse. Deswegen verstand ich nicht, wieso jemand den Frieden aufs Spiel setzte. Egal war diese Person war. Dieser Frieden war hart erkämpft worden. Von so vielen Hexen.
     »Du drohst deinen eigenen Leuten?«, fragte nun Sabrina, nicht wirklich glücklich darüber, dass Jesiba auch ihre eigenen Leute hinterfragte. Jesiba schüttelte den Kopf. »Nein. Ich erinnere meine eigenen Leute daran, dass Frieden wichtig ist und wir lange dafür gekämpft haben. Ich erinnere sie daran, dass es nie eine Lösung ist, anderen wehzutun. Und solltet ihr etwas wissen, auch noch so eine kleine Sache, dann sagt sie mir bitte. Denn wenn ich es nicht erfahre, kann ich nicht für euch bürgen, wenn es jemand anderes als erstes erfährt. Wenn ihr alle nichts wisst und unschuldig seid, ist das in Ordnung. Und damit meine ich alle von euch. Wirklich alle.«
     Ein paar von ihnen sahen zu mir und Marie. »Meinst du damit auch deine Ziehtochter?«, sagte Sabrina. Unwillkürlich spannte ich mich an. Ja, nicht gemocht zu werden hatte schon etwas Feines.

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