Kapitel 27

97 10 40
                                    

Draco hielt den Tagespropheten in seinen Händen. Seine Ringe schimmerten in der Abendsonne. Obwohl es kalt geworden war, saßen wir auf einer Bank im Innenhof.
Seine Jacke hing über meinen Schultern, spendete mir Wärme und Geborgenheit.
Der Geruch in meiner Nase fühlte sich mehr nach zu Hause an, als alles was ich in den letzten Woche gespürt hatte.
Seine Wangen waren blass, was die dunklen Ringe unter seinen Augen nur noch betonte.

"Hast du eine Idee?" Meine Stimme durchbrach die Stille, dabei klang sie unheimlich fremd.
Er schüttelte frustiert den Kopf, bevor er die Zeitung wieder zusammenfaltete und neben sich auf die Bank knallte.
"Nein. Ich kenne die Schrift nicht. Aber solange du das Mal nicht trägst, kann keiner Beweisen, dass du -. Mal ganz davon abgesehen, dass du ja auch nicht-." Seine Stimme versagte, verlief sich in der Dämmerung. Kleine Schneeflocken begannen durch die Luft zu tanzen.

"Es ist okay, Draco. Ich glaube niemand außer mir hat es gesehen, außerdem -."
"Es ist nicht okay." Unterbrach er mich laut, vergrub zur gleichen Zeit sein Gesicht in seinen Händen. Ich ließ den Tagespropheten zurück in meine Tasche gleiten. Übrig blieb ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch und ein großes Fragezeichen in meinem Kopf.
"Jeder könnte denken, ich meine, es ist nicht abwägig, seit dem wir ein Paar sind. Und da viele Menschen das ja auch über dich denken." Versuchte ich die Situation zu retten, scheiterte dabei aber kläglich.
"Jeder Mensch." Korrigierte er mich. Sein Bein begann nervös auf und ab zu wippen.
Mein Bein machte es ihm nach. Im gleichen Takt bewegten sie sich schnell hoch und runter.

"Was tun wir jetzt?" Er atmete schwer aus, schaute mich wieder an.
Die dunklen Ringe betonten seine Augen, ließen sie trotz ihrer Trauigkeit schon beinahe strahlen.
"Du solltest schlafen. Wann hast du das letzte Mal richtig geschlafen?" Ich legte meine Hand auf sein Bein, um ihn zu beruhigen, doch es wippte weiter.
"Weiß ich nicht. Ich habe keine Zeit zum schlafen. Bald sind Ferien. Und ohne Erfolge vorweisen zu können-." Wieder sackte seine Stimme ab.
"Lass mich helfen." Flehte ich ihn an. Ihn so leiden zu sehen, brach mir das Herz. Er brauchte Schlaf, er musste essen. Er war nur noch ein Schatten seiner Selbst. Von dem Draco aus den letzten Schuljahren war nur noch eine Hülle übrig und selbst diese würde sich bald in Luft auflösen, wenn er so weitermachte.

"Du kannst nicht helfen, Maura." Mein Körper begann zu zittern, ohne das mir kalt war.
Es war ein unkontrolliertes Zittern, eins, bei dem auch Wärme nicht helfen würde.
"Bitte schlaf wenigstens. Gib mir eine Nacht, in der du nicht aus dem Bett verschwindest. In der du noch da bist, wenn ich Morgens aufwache. Du musst schlafen, Draco." Meine Stimme war kaum hörbar, so nah war ich den Tränen.
Der Mann, den ich liebte, wurde vor mir zu einem Geist. Und mir waren die Hände gebunden. Es gab kaum ein schlimmeres Gefühl. Es trieb mich an meine Grenzen.

Seine Fingerspitzen berührten leicht meine Wange. Er fuhr die Konturen meines Gesichts nach, konzentrierte sich nur auf die unsichtbaren Linien.
Ich wusste, in seinem Inneren herrschte ein Kampf. Einer, den er nicht gewinnen konnte.
Er musste schlafen, dass wusste er. Aber er konnte nicht, dass wusste er genauso.
"Dir wird es besser gehen wenn du geschlafen hast." Flehte ich ihn an.
"Okay. Ich werde es versuchen." Seine Augen fanden meine. Gott, ich würde alles dafür geben, sie wieder glücklich zu sehen. Die blauen Sprenkel in ihnen wiederzufinden, die immer auftauchten, wenn er es war. Glücklich.

"Du darfst nicht verschwinden. Versprich mir, dass du noch da bist, wenn ich aufwache."
Seine Augen flackerten. Er biss sich ganz leicht auf die Lippe. Als wollte er Worte zurückhalten, die sowieso kommen würden.
"Ich verspreche es." Er zwang sich zu einem Lächeln. Doch der Schmerz in seinem Gesicht lag so tief, dass ich kaum hinsehen konnte.
"Und ich möchte, dass du dir überlegst wie ich helfen kann. Wenn es nur Bücher wälzen ist. Wenn dir irgendwas einfällt, was dir helfen kann, dann sag es mir bitte."
Ich legte meine Hand ebenfalls auf seine Wange. Er schloss für einen Moment die Augen.
Und ich tat es ihm gleich. Ich spürte seine Haut unter meinen Fingern, seine Knochen, seine Wärme. 
Ich spürte ihn.
Ich spürte immernoch Draco.

⍣⍣⍣⍣⍣⍣

Dieses Mal waren es nicht meine eigenen Schreie, die mich aus dem Schlaf rissen.
Es waren seine.
Augenblicklich schlug ich die Augen auf, während Draco sich bereits neben mir aufgesetzt hatte. Seine Haaren waren zerzaust, seine Augen weit aufgerissen.
Ich legte meine Hand auf seinen Rücken, was ihn für einen Moment aufschrecken ließ. Als er bemerkte, dass es nur ich war, entspannten sich seine Muskeln merklich unter meiner Hand.

"Ich bin da. Du bist nicht alleine. Dir kann nichts passieren." Tränen rannen über seine Wange.
Noch nie war ich dem Abgrund der Verzweiflung so nah gewesen.
Draco's Schmerz färbte auf mich ab wie ein gemaltes Bild. Ich spürte ihn in meinem Bauch, in meinem Herz. Er war wie mein eigener. Ihn so leiden zu sehen verlangte alles an mir ab.
Und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Trümmer mich unter sich begraben.

Sanft zog ich ihn in meine Arme, sein Kopf ruhte auf meiner Brust. Sein Atem ging viel zu schnell.
Ich fragte nicht, was er geträumt hatte. Ich sagte nichts. Ich ließ ihn weinen und schluchzen, solange bis er sich beruhigen wollte. Bis für ihn der Moment der Ruhe zurückkam. Ich wollte, dass er wusste, dass ich ihn fangen würde, wenn er fiel. Er sich für nichts schämen brauchte. Ich wollte, dass seine Gefühle einen Weg nach draußen fanden, bevor sie ihn von innen zerstören konnten.

Deswegen blieb ich still, konzentrierte mich darauf meinen Herzschlag zu beruhigen, um ihn zu beruhigen. Meine Hand strich sanft über sein weißblondes Haar, zwirbelte die Strähnen zwischen meine Finger zusammen. Wanderte über seinen Rücken, solange bis seine Atmung sich wieder entspannt hatte. Er aufhörte zu weinen.

"Womit habe ich dich verdient." Wisperte er leise, kuschelte sich noch dichter an mich.
Ich legte die Decke über uns beide, rückte noch ein Stück dichter. Ich wollte keinen Zentimeter Luft zwischen unseren Körpern. Ich wollte so nah bei ihm sein, wie es nur irgendwie möglich war.
"Du hast nur das Beste verdient, Draco. Und ich versuche es dir zu geben." Ich hauchte einen Kuss auf seine Haare.
"Ich könnte mir nichts besseres vorstellen als dich." Seine Stimme war kaum hörbar, und er glitt langsam zurück in den Schlaf, den er so dringend brauchte.

Ich schlief nicht mehr, selbst nicht, als Draco wieder eingeschlafen war. Ich blieb wach, ließ ihn nicht aus den Augen. Hörte keine Sekunde auf meine Hand über seine Haare wandern zu lassen. Ich wollte da sein, wenn der nächste Albtraum über ihn rollte und ihn aus dem Schlaf riss.
Eigentlich wollte ich es vorbeugen, indem er sich sicher fühlte. Doch wie sollte ich ihm in diesen dunklen Zeiten überhaupt ein Gefühl von Sicherheit vermitteln?

Meine Gedanken rasten die ganze Nacht nur um ihn. Einen Weg zu finden, ihm seine Sorgen zu nehmen. Einen Weg zu finden, ihm zu helfen, seine Last zu teilen. Zu zweit würde sie sich so viel einfacher tragen lassen, als alleine. Zusammen waren wir so viel stärker.
Und auch wenn ich einen Gedanken immer und immer wieder in die hintereste Ecke schob, leuchtete er heller als jeder Stern am Nachthimmel. Kaum hatte ich ihn gedämmt, hinten abgestellt, kam er noch heller wieder zurück.

Doch darüber durfte ich nicht nachdenken. Draco würde es niemals zu lassen. Meiner Mutter würde es das Herz brechen. Es war riskant, tödlich.

Ein Todesser zu werden war keine Option.

Oder etwa doch?

Dark Paradise - Draco MalfoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt