Kapitel 35

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Als ich wieder aufwachte, umhüllten mich eine weiche Decke und Licht fiel durch die dunkelgrünen Vorhänge. Ich tastete langsam neben mich, doch konnte Draco nicht finden.
"Ich bin hier, keine Sorge.", hörte ich seine dunkle Stimme vom anderen Ende des Raums.
Vorsichtig öffnete ich die Augen, blinzelte ein paar Mal gegen das helle Licht an.
Er saß auf einem Sessel am Fenster, ein Buch auf seinem Schoß.

"Hast du geschlafen?", flüsterte ich, versuchte mich langsam aufzurichten. Mein ganzer Körper fühlte sich an wie Blei, alles war schwer, starr. Und der Schmerz immernoch genauso präsent wie gestern. Draco schüttelte leicht den Kopf. Sein Gesicht war blasser als sonst, was eigentlich kaum möglich war. Seine Augen leuchteten förmlich durch die dunklen Schatten, die sich unter ihnen abzeichneten.
"Wie soll ich schlafen wenn du vor Schmerz in Ohnmacht fällst?", sagte er. Seine Stimme klang harsch, obwohl er es nicht so meinte.

"Wie lange dauert es, bis der Schmerz weg ist?" Er fuhr sich durch seine hellen Haare, legte das Buch auf das Fensterbrett. Mit großen Schritten kam er auf mich zu.
"Es ist ein Fehler zu denken, dass der Schmerz jemals ganz verschwinden würde, Maura." Seine Augen fixierten mich, doch dann drehte er sich um und verließ den Raum. Ich hatte keine Kraft ihm nachzulaufen, hatte nicht einmal Kraft ihm nachzurufen.
Ich hatte mir meine eigene Hölle geschaffen und kam aus der auch nie wieder raus.

Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass heute der 1. Weihnachtsfeiertag war. Mir war nicht nach Weihnachten und ich vermisste meine Eltern schmerzlich. Doch die Tatsache, dass Weihnachten war, konnte ich nicht leugnen. Mein Herz sehnte sich nach Lebkuchen und Zimtgeruch. Doch als ich mich irgendwann dazu entschied, das Schlafzimmer zu verlassen, erwartete mich nichts von beidem. Das Haus war kalt und grau, kein Geruch von Weihnachten lag in der Luft.

Leise schlich ich zur Küche, hatte weder eine Ahnung ob der dunkle Lord noch da war, noch wusste ich wo Draco hin verschwunden war. Ich ließ ihm Freiraum, wir würden uns nur streiten, wenn ich es nicht tun würde.
Als ich die Tür öffnete, wartete dahinter Narcissa auf mich.
Sie wirbelte herum, als würde sie jemand anderen erwarten. Angst stand in ihren Augen, verflog jedoch genauso schnell wieder, als sie mich sah.

"Oh, du bist es. Komm gerne rein, ich backe Kuchen." Sie lächelte mich sanft an, bevor sie sich wieder der Küchenzeile zuwand.
"Ich wollte nur was kleines Essen.", sagte ich leise und schloss die Tür hinter mir. Narcissa nickte und deutete auf kleine belegte Brote die auf dem Tisch standen.
"Hier hat öfter jemand Hunger, deswegen stehen die fast eigentlich immer da." Sie versuchte ihre Stimme lustig klingen zu lassen, doch das Zittern in ihr war nicht zu überhören.

Ich setzte mich an den Tisch und nahm mir ein Brot mit Kürbismarmelade. Augenblicklich musste ich wieder an Dain denken und das große Loch, dass wegen Sorge in meiner Brust klaffte. Ich hatte schon überlegt Hermione zu schreiben, doch sie kannte Dain kaum. Anderseits war sie ein richtig guter Spurensucher und ihr Kopf unbezahlbar. Hin und her gerissen lehnte ich mich tiefer in den Stuhl.
"Wo ist Draco?", fragte ich Narcissa. Wieder hatte ich das Gefühl, ich konnte sie das Fragen. Sie gab mir das Gefühl, mich bei ihr wohlfühlen zu können.

"Er ist heute Morgen nach London gefahren, Süße.", sagte sie ohne mich dabei anzuschauen.
"Aber er hat nicht gesagt wann er zurück ist. Wie geht es dir?" Jetzt legte sie den Apfel beiseite, den sie gerade schneiden wollte und drehte sich zu mir um. Sie lehnte sich gegen die graue Küchenzeile und schaute mich mit Sorge in den Augen an.
"Okay. Mir geht es okay." Was sollte ich auch anderes sagen? Mein Körper stand in Flammen, mein Herz brannte. Aber das waren Gefühle, zu denen wollte ich selber einmal nicht stehen.

"Es wird besser, irgendwann. Wir schaffen das.", doch ihre Stimme erzählte eine ganz andere Geschichte.
"Du hast große Angst um Draco, oder?" Sie nickte. Ihre Augen glänzend leicht.
"Und auch wenn ich niemals wollte, dass jemals jemand das Gleiche Schicksal durchmachen muss wie mein Sohn, bin ich so erleichtert, dass er dich gefunden hat."

Es war bereits wieder dunkel draußen, als Draco nach Hause kam. Ich hatte Narcissa dabei geholfen, den Kuchen fertig zu backen, wir hatten viel geredet. Ich habe ihr meine Sorge über Dain anvertraut, doch sie konnte sich leider auch nicht erklären, was dahinter stecken könnte. Oder sie wollte es mir nicht sagen.

Den Rest des Tages hatte ich in Draco's Zimmer verbracht. Hatte das Buch gelesen welches er heute Morgen auf dem Fensterbrett liegen gelassen hatte und hatte aufgeräumt, obwohl das Zimmer beinahe Blitz blank gewesen war. Jetzt saß ich auf dem Sessel vor den großen Fenster und spielte mit der Kette, die das kleine D zierte. Der Schnee fiel in großen Flocken vom Himmel, es war der erste dieses Jahr.

Ich erinnere mich gerne daran, wie ich als Kind mit meiner kleiner Schwester jedes Jahr beim ersten Schnee aus der Tür gestürmt war. Egal was wir anhatten, ein Jahr auch barfuß. Wir sprangen nach draußen und tanzten im Schnee. Das Strahlen ihrer grünen Augen sehe ich heute immer noch vor mir, sobald der erste Schnee fällt. Ich vermisste sie schrecklich.

Die Tür schwang auf. Draco blieb im Rahmen stehen, als er mich sah. Seine Haare waren nass und auf seinem schwarzen Mantel konnte man kleine Schneeflocken erkennen.
Wir schauten uns einfach nur an, bis ich wieder aus dem Fenster sah.

"Wo bist du gewesen?", fragte ich leise, ließ das D durch meine Finger gleiten. Es beruhigte mich irgendwie.
"In London.", sagte er ohne sich zu bewegen.
"Willst du nicht reinkommen?" Ich sah ihn in der Spiegelung der Fenster, wie er dort im Rahmen stand. Seine Schultern zusammengesackt, sein Blick nur auf mich gelegt.

"Ich dachte eher, wir gehen raus." Jetzt fuhr ich herum. Seine Tasche hatte er abgestellt.
"Raus in den Schnee?" Meine Aufregung, aber auch Angst, konnte ich dabei nicht verbergen. Seit dem Tod meiner Schwester war ich kein einziges Mal mehr beim ersten Schnee draußen gewesen. Hatte Angst, dass der Schmerz alles kaputt machen würde, was ich damit verband.

"Was ist los?", fragte er besorgt und machte einen Schritt auf mich zu. Seine Schuhe hinterließen eine kleine Pfütze auf dem sauberen Boden.
"Sola.", flüsterte ich und augenblicklich war er an meiner Seite, legte seine Hand auf meine Schulter.
"Seit ich denken kann war ich mit ihr draußen, wenn es das erste Mal geschneit hat. Seit sie -." Meine Stimme brach. Das auszusprechen schmerzte noch genauso sehr wie am ersten Tag.
"Ich war seit dem nicht mehr beim ersten Schnee draußen."

Ich schluckte schwer, versuchte den Kloß loszuwerden der sich in meinem Hals bildete.
Draco streckte mir seine Hand entgegen.
"Lass uns die Erinnerung aufleben lassen. In Ehren und Gedenken an Sola. Ich habe sie nie kennenlernen dürfen, aber ich bin mir sicher, dass sie toll gewesen ist."

Tränen bildeten sich in meinen Augen, doch gleichzeitig musste ich Lächeln.
"Womit habe ich dich nur verdient, Draco Malfoy?", flüsterte ich, als mir eine Träne über die Wange lief und ich meine Hand in seine legte.

Den restlichen Abend verbrachten wir auf dem Hof des Malfoy Manor. Es war schwer, den ersten Schritt nach draußen zu machen. Doch Draco ließ meine Hand nicht los. Ich erzählte ihm Geschichten über Sola, während wir im Schnee tanzten, er mich um meine eigene Achse drehte und wieder auffing. Er hörte mir zu, lachte, ließ mich reden, solange ich über Sola reden wollte.

Der Schnee prasselte leise auf uns herab, die weißen Flocken legten sich in unsere Haare, auf unsere Kleidung, hüllten uns in einen kleinen, weißen Traum aus dem ich nie wieder aufwachen wollte.

Er setzte meine Welt Stück für Stück wieder zusammen, obwohl seine eigene auch in Scherben vor seinen Füßen lag.

"Frohe Weihnachten, Maura.", flüsterte er leise und trat einen Schritt zur Seite.

Hinter ihm tauchte Dain auf.

Dark Paradise - Draco MalfoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt