Kapitel 37

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Es fühlte sich an wie ein Albtraum, aus dem ich nicht aufwachen konnte.
Egal wie sehr ich schrie, wie sehr ich weinte und flehte, dass es ein Ende nehmen sollte, dass tat es nicht. Ich konnte nicht aufwachen.
Ich wollte laufen, doch meine Beine trugen mich nicht, keinen einzigen Zentimeter.
Sie nagelten mich auf der Stelle fest, während meterhohe, dunkle Wellen auf meinen Körper zupeitschten.
Bitte lass mich aufwachen.

"Maura.", Draco's Stimme riss mich aus meinem Zustand.
Ich schrie nicht. Ich weinte nicht. Ich flehte nicht.
Ich saß wie benebelt neben Dain, in einem Körper, der nicht mehr mir Selbst zu gehören schien.
Ausdruckslos starrte ich in die Leere, während in mir alles niederbrannte, was ich gedacht hatte über meine Familie zu wissen. Über meinen Vater zu wissen.

"Maura, schau mich an." Draco kniete vor mir, seine Hand lag auf meinem Oberschenkel.
Doch ich konnte ihn nicht ansehen. Ich könnte mich nicht einmal mehr selbst ansehen.
Meine Kindheit lief vor meinem Inneren Auge ab.
Und ich fragte mich, was ich verkehrt gemacht hatte. Habe ich meinen Vater enttäuscht? Hat der Tot meiner Schwester ihn verändert, ihn kalt werden lassen?
Oder wieso hat er das Leben seiner Tochter an den dunklen Lord verkauft?

Mir war klar, wieso er der beste Auror war, den das Zauberminsterium zu bieten hatte. Wer seine eigene Tochter ausspielen und manipulieren kann, ist sich wahrscheinlich für keine Aufgabe zu schade. Er würde alles tun, um den dunklen Lord zu besiegen.
Und alles war mittlerweile wohl auch eingetreten.

"Maura.", sagte jetzt auch Dain. Doch seine Stimme hallte an mir vorbei wie ein Zug.
Ich konnte nichts sagen. Ich wollte nichts sagen.
Denn ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte.
Auf welche Seite ich mich in diesem Krieg schlagen wollte.
Denn eigentlich kämpfte ich lieber auf der guten Seite, doch ich hatte das Gefühl, es gab keine gute Seite mehr. Und ich hatte das Gefühl, sie würden mich beide das Leben kosten.
Entweder würde ich beim Kampf für den dunklen Lord mein Leben lassen, oder beim Kampf dagegen.
Es gab keinen Ausweg.
Keine andere Option.

Es fühlte sich an wie Stunden, in denen ich meine Stimme nicht wiederfand. In denen die Welt an mir vorbeizog und mein Innersten sich Selbst bis auf die Grundmauern niederbrannte.
Doch wahrscheinlich waren es nur Minuten gewesen, bis ich es schaffte mich von dem Punkt an der Wand zu lösen und Draco in die Augen zu schauen.

"Ich habe kein zu Hause mehr, Draco.", flüsterte ich. Seine Augen gefüllt mit Trauer und Verachtung, ein Wirbelsturm der Gefühle spiegelte sich in ihnen wieder.
"Ich bin ab heute dein zu Hause.", flüsterte er zurück, nahm meine Hände in seine, versuchte das Zittern zu unterbinden.
"Es sind du und ich. In diesem Leben. Und im nächsten. Lass mich dein zu Hause sein."

Eine einzelne Träne tropfte auf unsere Hände. Wie die Besieglung eines Schwurs, den wir geleistet hatten. Es waren Draco und ich.
Bis zum Ende, wie auch immer das für uns aussehen mochte.
Doch ich wusste, wenn ich sterben würde, dann für ihn.

"Gibt es sonst noch etwas, dass ich wissen muss?", fragte ich trocken, schaute in Dains Gesicht.
"Ich glaube, dass ist mehr als genug für eine Nacht.", versuchte Draco dazwischen zu gehen.
"Ich bin am Ende, Draco. Eine Information mehr oder weniger wird nichts daran ändern."
Dain schien zu überlegen und ich war mir sicher, dass er mehr wusste, als er uns erzählte.
Nur wusste ich nicht, ob es zu seinem Schutz, oder zu meinem war.

"Dein Vater würde dich gerne treffen. Die Pläne besprechen.", sagte er vorsichtig.
Ohne das ich es wollte, musste ich laut lachen.
"Das ist ein Scherz, oder?", fuhr ich ihn an. Er konnte nichts dafür, er war nur der Bote, aber es traf ihn trotzdem.
"Woher weiß er überhaupt, dass du hier bist? Draco hat dich doch gesucht, oder etwa nicht?"
"Er konnte sich denken, dass du irgendwann den Kontakt zu mir suchen würdest." Dain griff an seine Jacke und holte einen Briefumschlag hervor.

In sorgsamer Handschrift stand dort mein Name drauf. Es war die Handschrift meines Dad's.
Die Handschrift, in der früher meine gute Nacht Geschichten geschrieben waren, die Handschrift, die das Papier der Grabrede meiner kleinen Schwester zierte.
"Ich will ihn nicht.", sagte ich, wies den Brief von mir.
Das Siegel war unser Familienwappen.
"Nimm ihn wieder mit."

Dain hielt den Brief Draco hin.
"Dort steht drinnen, wo du dich mit ihm treffen kannst, wenn du bereit bist. Und einige andere Dinge auch noch, ich weiß nur nicht was. Irgendwann wird der Tag kommen, da -."
"Ich sagte ich will ihn nicht!" Meine Stimme nahm die ganze Hütte ein.
Ich wusste nicht einmal was ich war, sauer, traurig, verzweifelt?
Eine Mischung aus all dem und ein riesiges Chaos?
Doch ich hatte eine Entscheidung getroffen, und die fiel nicht auf meinen Vater.

"Sag ihm, ich kämpfe nicht auf seiner Seite."
"Maura. Überleg dir das bitte gut.", flehte mich Draco an, legte seine Hand auf meine Wange.
"Du weißt doch am Besten, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Vater einen verrät. Er hat mein Leben verkauft. Das Leben seiner einzigen Tochter. Nachdem Sola gestorben ist, hat er sich dafür entschieden, dass Risiko einzugehen, sein letztes Kind zu verlieren, Draco. Wie könnte ich auf der Seite von so einem Menschen stehen? Wenn ich mich dafür entscheide, ist das die eine Sache. Aber mich glauben zu lassen, ich habe mich selbst dafür entschieden? Als wäre ich seine Marionette? Wir wissen alle, was passieren würde wenn der dunkle Lord herausfindet, dass ich Informationen für den Orden sammel."

Er legte den Kopf schief, sein Daumen strich sanft über meine Haut. Seine Ringe waren eiskalt, doch sie linderten das Feuer in mir drin, kühlten es ab.
"Der dunkle Lord ist kein Stück besser, Prinzessin."
Ich schluckte schwer.
"Ich kämpfe auch nicht für den dunklen Lord. Ich kämpfe für dich. Ich stehe auf deiner Seite. Das Mal ziert meinen Körper, was hindert mich also daran, es auch auszuleben?"
Draco schüttelte mit dem Kopf.
"Tu das nicht, Maura. Bitte lass uns eine Nacht darüber schlafen."

Dain hatte Tränen in den Augen. Sie waren glasig, seine Haut war blass.
Ich stand auf, stellte mich vor ihn.
Keinesfalls wollte ich meinen besten Freund verlieren. Doch meine Entscheidung war gefallen.
"Er wird dich umbringen, Maura.", sagte Dain leise, eine Träne rollte über seine Wange. Den Brief hielt er noch immer zwischen den Händen.

"Er hat mein Todesurteil doch schon längst unterschrieben.", flüsterte ich.
"Wirst du mein Freund bleiben? Egal wie viele Kürbispasteten zwischen uns stehen?"
Er schaute mich an.
"Für mich wirst du immer der beste Mensch auf dieser Welt bleiben. Meine beste Freundin. Die Erstklässlerin, die bei der Zeremonie gestolpert ist und mir direkt sympatisch war."
Ein schwaches, kaum sichtbares Lächeln zierte seine Lippen.
"Aber bitte, nimm den Brief. Nur für die geringe Wahrscheinlichkeit, dass du es dir anders überlegst. Das du mit deinem Vater reden möchtest."

Wieder hielt er mir den Brief entgegen, doch ich weigerte mich. Also nahm Draco ihn an sich.
Dain stand auf, zog mich mit einer schnellen Bewegung an sich.
Seine Arme schlossen sich um meinen Körper, erdrückten mich beinahe.
Dann schaute er mir in die Augen.

"Wir sehen uns in Hogwarts. Dort bist du erstmal sicher. Niemand darf jemals erfahren, was ich euch heute erzählt habe.", wiederholte er.
Wir nickten. Draco griff nach meiner Hand, verschränkte seine Finger mit meinen.
"Passt auf euch auf. Und pass auf Maura auf."
Es klang ein wenig wie eine Drohnung, und das war es wahrscheinlich auch.
"Ich beschütze sie mit meinem Leben. Denn solange sie sich an mich erinnern kann, ist es mir egal, ob der Rest der Welt es auch tut."

Das klang ein wenig wie ein Versprechen, und das war es auch.

Dark Paradise - Draco MalfoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt