Kapitel 42

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"Mrs. White."
Die Stimme von Professor Slughorn riss mich aus meinen Gedanken.
Seit nebenbei so viel passiert war, konnte ich mich kaum noch auf den Unterricht konzentrieren. Darunter litten meine Noten, sowie ich selbst. Doch ich wusste nicht, wie ich diese lauten Gedanken abstellen sollte, die mir in jeder Minute die schlimmsten Dinge ins Ohr flüsterten.
Auch Dracos Leistungen waren schlechter geworden, aber bei weitem nicht so schlecht wie die Meinen.

"Ja?", fragte ich abwesend. Slughorn stand neben mir, blickte auf mein leeres Blatt.
Eigentlich sollten wir das Rezept für einen Trank aufschreiben. Ich hatte keine einzige Zutat auf das Blatt bekommen. Sorge lag in seinem Blick.
"Professor Dumbledore würde Sie gerne sehen."
Mir wurde etwas flau im Magen.
"Jetzt?" Meine Stimme klang verunsichert, und das war ich auch.
Slughorn nickte als Antwort nur.

Stumm packte ich meine Sachen zusammen, schaute hilfesuchend zu Draco.
Er sah ebenso besorgt aus, zuckte leicht mit den Schultern.
Denn wir beide wussten ganz genau, dass es wohl nicht Dumbledore war, der mich sehen wollte.
Es würde mit Sicherheit mein Vater sein, der dort auf mich warten würde.
Ich schluckte schwer, bevor ich verunsichert und zittrig den Klassenraum im Kerker verließ.

Meine Beine wollten mich beinahe gar nicht nach vorne bringen.
Alles in meinem Körper protestierte. Doch es war klar, dass dieses Gespräch früher oder später stattfinden würde. Nur hatte ich gehofft, Draco hätte dabei sein können.
Ich war mir nicht sicher, wie gut ich das ohne ihn überstehen würde.

Bei dem Büro von Dumbledore angekommen, atmete ich tief ein und langsam wieder aus.
Die Treppe kam zum Vorschein, ganz so als hätte sie nur auf Besuch gewartet.
Mit Sicherheit war ich blass wie eine Leiche. Ich hätte mir gerne Worte parat gelegt, mir überlegt was ich sagen wollte. Und was ich keinesfalls sagen wollte. Aber mir kam kein sinnvoller Gedanke, kein passender Satz, nicht einmal ein passendes Wort in den Sinn.

Oben angekommen klopfte ich gegen die Tür.
Die früher so vertraute Stimme meines Vaters rief mich herein.
Dumbledore war nirgendwo zu sehen. Mein Vater stand mit dem Rücken zu mir an einem der großen Fenster, trug seine Auroren Uniform.
Mein Blick glitt durch den Raum. Mein Herz rutschte mir beinahe in die Hose.
Dain saß auf einem der Sessel.

Ich hatte in ihm Unterricht zwar schon vermisst, aber mir nichts dabei gedacht.
Jetzt hingegen stieg Panik in meiner Brust auf.
Das konnte mit absoluter Sicherheit nichts gutes bedeuten.
"Es ist traurig, dass ich dich erst jetzt zu Gesicht bekomme, mein Kind.", sagte mein Vater ruhig, wandte sich vom Fenster ab. Seine Augen bohrten sich in meine.
Stark bleiben, Schultern nach hinten, er kann dich nicht einschüchtern - hatte Draco zu mir gesagt. Doch jetzt wo er nur einige Meter vor mir stand, sah das ganz anders aus.

"Das hatte seine Gründe.", entgegnete ich. Mein Herz raste. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre aus dem Raum gerannt und erst wieder stehen geblieben, wenn Kilometer zwischen uns lagen.
Der Mann der dort vor mir stand, war nicht der Mann der mich großgezogen hat. Der meine Verletzungen geküsst hat, mir Schlaflieder vorgesungen hat und mir ständig und immer Mut zugesprochen hat. Von diesem Mann war nichts mehr übrig geblieben.

"Das habe ich mir durchaus gedacht. Komm doch rein. Du und Dain seid euch vertraut, wie ich mitbekommen habe."
Langsam schloss ich die Tür hinter mir und ging auf einen anderen Sessel zu. Ließ meinen Vater dabei jedoch keine Sekunde aus den Augen, aus Angst vor etwas, dass er tun könnte.
Angespannt setzte ich mich gegenüber von Dain. Dieser schaute nur starr auf den Boden.
Ich konnte ihn verstehen, diese Situation musste für ihn genauso schwer sein, wie für mich.

Mein Vater lehnte sich gegen den Schreibtisch von Dumbledore. Sein Blick musterte mich, glitt über meinen Arm. Aus Reflex wollte ich meine Robe weiter nach unten ziehen, doch ich entschied mich dagegen. Er hat keine Macht mehr über mich. Trotzdessen machte er mir gerade sehr große Angst.
"Was möchtest du von mir? Sag es doch einfach gerade heraus. Und verschwende weder meine, noch deine Zeit.", sagte ich, hörte mich dabei aber nur halb so eindrucksvoll an, wie ich es gerne gehabt hätte.

Er lachte leise. Das Blut in meinen Adern kochte. Wie konnte es sein, dass er so ausgewechselt war? Lag das nur an seiner Bessenenheit gegenüber dem dunklen Lord? Oder gab es dort noch mehr, von dem ich nichts wusste? Und wie ging es Mama, wusste sie von der ganzen Sache?
Bei dem Gedanke daran, dass sie dem Plan meines Vaters zugestimmt hatte, bohrte sich ein Loch in mein Herz.

Sein Gesicht hatte sich mittlerweile angespannt. Er fuhr sich durch seine grauen Haare.
"Ich weiß von dem Besuch deines Freundes. Also weiß ich auch, was du weißt."
"Und weiter?" Meine Augen brannten, als ich an die Nacht dachte, in der Dain mir alles erzählt hatte. Der Schmerz zeriss mich immer noch. Doch ich durfte nicht weinen.
Mein Blick glitt zu Dain. Er hatte seinen Blick vom Boden gelöst und schaute mich an.
Seine Augen waren glasig. Doch egal was er getan hatte, ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Er war mein bester Freund, und das würde er auch für immer bleiben.

"Du wirst für uns arbeiten."
"Gerade heraus, was?", fragte ich sarkastisch. Ich hatte meine Wahl getroffen, meine Seite gewählt. Und daran würde sich nichts ändern. Nichts könnte mich dazu bringen, meinem Vater zu vertrauen. Oder für ihn zu arbeiten.
Und es klang naiv, weil ich die Ansichten, die die Todesser vertraten nicht unterstützte und niemals unterstützen würde. Doch lieber starb ich für diese Seite, als für meinen Vater.
Lieber ging ich für Draco in den Tod.

"Du hast die besten Vorraussetzungen uns zu helfen. Den Kampf gegen den dunklen Lord zu gewinnen und ihn schnell zu beenden. Du kannst spionieren, für den Orden. Etwas gutes tun. Leben retten, anstatt sie zu zerstören. Du willst mir doch nicht sagen, dass du naiv genug bist, wirklich für den dunklen Lord zu arbeiten?" Ein Hauch von Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit.

Ich biss mir auf die Lippe, stand den Tränen viel zu nah.
"Den dunklen Lord auszuspionieren würde bedeuten auch Draco auszuspionieren, gegen ihn zu arbeiten und das würde ich niemals tun. Er ist wohl die einzige Familie die mir noch bleibt.", sagte ich, traute mich nicht ihm in die Augen zu sehen.
"Der Malfoy Junge. Er soll sich gegen seine Familie richten und ist dann auch gerne im Orden gesehen. Und in unserer Familie."
"Er würde niemals seine Familie verraten. Nicht jeder ist da so abgebrüht wie du."

Jetzt schaute ich ihn an. Suchte nach einer Gefühlsregung in seinem Gesicht, nach Reue. Wie sehr wünschte ich mir, er würde es bereuen. Doch ich fand nichts. Es war versteinert, kalt. Meine Worte trafen ihn kein bisschen und mich dafür umso härter.
"Sei kein Kind. Das musste sein. Aber ich habe mir gedacht, dass es nicht so einfach wird. Das du ein wenig rebellieren wirst."
Wut breitete sich in mir aus. Ich sprang auf, machte einen Schritt auf ihn zu.
Doch er sah mich nur unbeindruckt an.

"Rebellieren? So nennst du das? Du hast mich verkauft!"
Meine Stimme hallte durch das Büro.
"Du hast es freiwillig gemacht. Da gibt es einen Unterschied."
Eine Träne rann über meine Wange, wie sehr wünschte ich mir, ich hätte sie aufhalten können.
Früher hatte ich mich gerne schwach gezeigt vor meinem Vater, denn er hat mir beigebracht, dass es okay war. Jetzt gerade wollte ich kein bisschen Schwäche mehr vor ihm entblößen.

"Dain?" Sein Blick glitt von mir zu meinem besten Freund.
Ich hatte gedacht, er war nur stiller Zuhörer, der Unterstrich für den Abend an dem er bei Draco und mir gewesen war. Doch anscheinend hatte er mehr mit ihm vor.
Dain stand auf, stellte sich neben meinen Vater.
Tränen glänzten in seinen Augen.

"Es läuft folgendermaßen, meine Kleine. Entweder du übernimmst den Part. Oder Dain bekommt ihn. Es wird einfach. Er ist so gut mit dir befreundet. Deine Faszination gegenüber den Todessern muss einfach auf ihn abgefärbt haben."
Mein Blick wurde leer.
"Das würdest du nicht tun.", zischte ich.
"Ich würde alles tun, dass solltest du doch mittlerweile schon gelernt haben.", erwiderte mein Vater scharf. Und das hatte er schon längst bewiesen.

"Du oder er. Ich bin so nett, du darfst es dir sogar aussuchen."


Dark Paradise - Draco MalfoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt