Kapitel 32

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Defnes Sicht

Es ist komisch, wenn man der Person, den man immer alles anvertraut hat, plötzlich einfach nicht mehr vertrauen kann. Wenn die Person dich verletzt hat, obwohl du niemals dachtest, dass sie es tun würde. Wenn du einfach nicht mehr weiterweißt, ob alles wieder gut mit ihr sein wird oder nicht.

Und die Person bei mir war, mein Bruder. Mein Bruder, der für mich alles getan hätte, der mich immer retten würde, der mich über alles geliebt hatte. Genau er war die Person, wo ich zweifelte, ob wir wieder wie früher sein würden.

Bahar, mein Bruder, Ömer und ich saßen im Wohnzimmer und keiner sagte etwas. Es war eine unangenehme Stille. Jeder dachte an etwas nach. Ich war mir sicher, dass mein Bruder nachdachte, wie es wäre, wenn es mit der Verlobung geklappt hätte. Bahar dachte sicherlich nach, ob ich für oder gegen die Beziehung war. Ömer dachte bestimmt nach, ob das alles vorbei war, ob wir gewonnen hatten oder das Leben noch weiteres mit uns vorhatte. Und ich? Ich dachte an mein ganzes Leben nach. Von meiner Geburt bis zu meinem 20. Lebensjahr. Es war nicht normal, was ich erlebt hatte und womöglich auch erleben werde. Ich seufzte. Könnte ich nicht einfach wie normale Menschen leben? Ohne einer Krankheit? Mit meinen Eltern? Mit meiner Liebe, die akzeptiert wird?

"Defne."

Ich sah meinen Bruder an und er sah auf den Boden. War klar, dass er es bereuen würde oder spielte er es mir wieder vor? So wie er vor ein paar Tagen geweint hatte und trotzdem meinte, dass ich heiraten musste?

"Tut mir leid."

Ich lachte. Die drei sahen mich an, doch ich lachte einfach.

"Dir tut es leid? Gerçektenmi abi?" (Wirklich?)

Ich lachte immer noch und sah dann meinen Bruder ernst an.

"Macht ein 'tut mir leid' alles besser? Denkst du, wir werden wieder wie früher? Denkst du ich kann dir verzeihen? Abi würdest du es mir verzeihen, wenn du mit Dilan - in dem Fall jetzt mit Bahar - nicht heiraten dürftest, sondern mit jemanden anderen, nur, weil ich es so wollen würde? Glaub mir, du würdest es nicht. Weißt du, erst hatte ich mir eingeredet, dass es gut sein wird, ihr beide damit leben könnt, aber ich war naiv. Es ist mir klar, dass du Ömer nicht vertrauen kannst, nach all dem was passiert ist, aber verdient nicht jeder eine Chance? Und bitte, Ömer war damals Single, er hat keine Schuld, sondern sie! Sie war damals vergeben, doch ist trotzdem dir nicht treu geblieben! Wen gibst du hier bitte die Schuld? Was kann er dafür, wenn Dilan nicht treu zu dir war?! Du tust so, als wollte das Dilan nicht und Ömer hat sie vergewaltigt!"

Ich sah meinen Bruder an und atmete schnell ein und aus. Ich durfte nicht aggressiv werden. Ich musste ruhig bleiben, doch es ging nicht. Ömer hatte keine Schuld! Mein Bruder musste es nachvollziehen, dass sie nicht treu war! Ömer legte seine Hand auf meine und sah mich an.

"Beruhig dich. Es ist selbstverständlich, dass er so ist. Ich würde auch so reagieren Defnem."

Er sagte das in so einem ruhigen und leisen Ton, sodass ich mich etwas beruhigte, jedoch sah ich es anders.

"Ömer hör auf. Du hast keine Schuld. Ich hätte es verstanden, wenn du der beste Freund von meinem Bruder wärst, es gewusst hättest und trotzdem mit ihr geschlafen hättest. Aber so ist das nicht!"

Mein Bruder vergrub seinen Kopf in seinen Hände und seufzte.

"Ich will mich ja nicht einmischen, aber-"

Bahar unterbrach sich selbst und sah uns drei an.

"Ich finde, Defne hat recht. Levent du weißt selber was ich dazu gesagt habe. Gib ihm eine Chance. Siehst du nicht, wie er sie liebt? Du musst nur in seinen Augen sehen. Hem savaşmış Ömer Defne için ve kesin daha da savaşacak." (Außerdem hat Ömer um Defne gekämpft und wird sicherlich noch kämpfen.)

Mein Bruder nickte, den Kopf immer noch in seinen Händen vergraben.

"Abi? Wen hast du diesmal am Start? Kommt jetzt ein Mehmet, Ahmet, Burak oder irgendjemand anderer?"

Mein Bruder sah mich emotionslos an und ich lächelte. Ömer drückte meine Hand, als ein Zeichen, dass ich aufhören sollte, doch ich tat es nicht.

"Schau mich nicht so an abi. Ich glaub nicht, dass du jetzt plötzlich Ömer verzeihen und uns akzeptieren wirst."

"Und was, wenn?"

"Du tust das nicht für mich."

"Natürlich!"

"Achso, deshalb so früh? Du tust das nur wegen Bahar. Sonst hättest du Ömer geschlagen und mich eingesperrt, wenn sie nicht da wäre!"

Levent abi stand auf und lief die Treppen hoch. Bahar ging hinter ihm her.

"Defne was machst du? Beruhig dich mal."

Ich stand auf und lief auf die Tür zu, um raus zu gehen. Ich wusste nicht wohin, jedoch würde ich überall hingehen, nur wollte ich nicht hier sein.

"Nereye?" (Wohin?)

Er kam hinter mir her und packte an meinem Arm. Ich drehte gezwungenermaßen mich um und sah in seine Augen, seine braun-grüne Augen, seine wunderschöne Augen. Ich könnte stundenlang diese Augen ansehen und mir würde es nie langweilig werden. Vor mir spielte sich alles ab. Wie er an dem Tag ins Sprechzimmer reingeplatzt ist und meinen Herz, sowie meinen Atem hatte verrückt spielen lassen. Wie er mich im Flugzeug gefüttert hatte. Wie er mich an der Beerdigung nicht alleine gelassen hatte. Wie wir am Rummel Spaß hatten. Wie er für zwei Wochen für mich gestorben war. Wie er mir gefolgt ist ins Wald und mit meinem Bruder, mit meinem Handy, telefoniert hatte. Wie er mir indirekt und direkt die Liebe gestanden hatte. Wie er die Überraschung versaut hatte. Wie er sich gefreut hatte vor etwa einer Stunde, dass ich nicht verlobt war. Das alles spielte sich ab. Ich sollte mich glücklich schätzen, dass so eine Person bei mir ist, doch trotzdem kamen die Tränen hoch und ich umarmte ihn, bevor ich anfing zu weinen. Ömer umarmte mich zurück und versuchte mich zu beruhigen.

"Du verdienst jemanden besseren als mich Ömer."

"Nein Defne! Du bist das beste, was in meinem Leben bisher passiert ist."

Ich umarmte ihn fester und heulte mich bei ihm aus.

"Ich liebe dich Ömer. Ich weiß nicht was ich ohne dich tun soll."

Er löste sich von mir, wischte die Tränen weg und sah mich an.

"Ich liebe dich auch Defnem. Wir werden, egal was passiert, nie auseinander gehen, verstanden? Und diesmal haltest du deinen Versprechen."

Ich nickte und er drückte seine Lippen auf meiner Stirn.

"Vergiss es nie: Ich liebe dich Defne. Egal was passieren wird, ich werde dich immer lieben."

"Ich liebe dich auch Ömer. Für immer."

Defne & ÖmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt