Nine

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Jisung

Wie erstarrt blicke ich auf die Stelle, an der ich ihn zuletzt sah. Der Moment von vorhin spielt sich vor meinem inneren Auge immer und immer wieder ab. Wie er mit einem verzerrten Gesicht meine Arme von sich nahm, mich zur Seite schubste und wegrannte. Doch das schlimmste war der Ekel in seinen Augen. Als ob es ihn anekelt, mich küssen zu wollen. Das bricht mir das Herz. Ist es wirklich so ekelerregend, in seinen besten Freund – einen Mann – verliebt zu sein?

In meiner Kehle sitz ein großer, fieser Kloß und meine Augen brennen von nicht geweinten Tränen. Lass los, haucht mir meine innere Stimme zu. Was mache ich nur immer Falsch? Niemand liebt mich. Meine Eltern nicht, Minho nicht, niemand. Wäre es nicht besser, mit dieser schrecklichen Welt abzuschließen? Wer würde mich schon vermissen, meine Eltern definitiv nicht. Meine Gedanken kreisen und ziehen mich immer weiter hinunter. Immer mehr in die düstere Dunkelheit meines Selbst.

Ich bin so sehr in Gedanken vertieft, dass ich gar nicht bemerke, wie Chan, wo auch immer er plötzlich herkommt, Felix den Raum zieht. Mein Blick liegt leer auf der Stelle, an der ich ihn zuletzt sah, gerichtet und erst die sanfte Umarmung von Felix reißt mich aus der Starre. «Jisung, what happend?», fragt er mich leise. Ein besorgter Ausdruck liegt in seinen tiefbraunen Augen und seine Stirn ist gerunzelt. «Alles und nichts», gebe ich vage zurück. Ein Seufzen seinerseits. Lixie verfestigt seinen Griff um mich noch ein bisschen, zieht mich auf die Beine und wenige Minuten später befinde ich mich in seinem Zimmer, eingewickelt in eine flauschige Wolldecke und einem Kakao in den Händen. «Was ist passiert?», fragt er mich erneut sanft, seine Arme sind um meinen Oberkörper geschlungen und spenden mir Trost. Die zurückgehaltenen Tränen von vorhin treten wieder in meine Augen und diesmal lasse ich ihnen freien Lauf.

«Meine Eltern, Minho, die ganze Welt», schluchze ich hervor. Sanft nimmt Felix mir die Tasse Kakao aus den Händen und stellt sie auf den Nachttisch neben dem Bett. «Shh, es wird alles wieder gut, Hyung», murmelt er leise und zieht mich mit einer festen Umarmung an sich. «Nein, wird es nicht, ich habe alles kaputt gemacht», würge ich hervor. Heftige Heulkrämpfe schütteln meinen Körper und die Tränen fließen mein Gesicht in Strömen hinunter. «Ich will nicht mehr», krächze ich leise und sacke gegen Felix. «Ich kann nicht mehr, Felix. Es ist alles zu viel. Dieser Druck, meine Gefühle für Minho  Ich », meine Stimme versagt, während Felix meinen stotternden Worten nur lauscht. «Wieso liebt mich niemand? Bin ich nicht liebenswert?» Ich breche wieder in Tränen aus, während Felix mich sanft hin und her schaukelt.

«Das stimmt nicht, Sungie. Hörst du, ich liebe dich, die anderen lieben dich, deine Eltern-», kopfschüttelnd unterbreche ich meinen Zwilling. «Sie lieben mich nicht  Sie hassen mich.»

«Sag sowas nicht, ich bin mir sicher-», wieder unterbreche ich ihn, diesmal aber nur mit einem Flüstern.

«Ich habe meine Schwester umgebracht.»

Felix blinzelt ein paar Mal. «Nein, hast du nicht.»

Meine Augen werden wieder feucht. «Doch! Sie ist bei unserer Geburt gestorben, weil ich im Weg war, weil es bei mir Komplikationen gab. Sie hat es nicht mehr geschafft, sie  sie ist Tod und es ist meine Schuld. Und meine Eltern – sie hassen mich dafür. Wie könnten sie mich auch lieben. Ich bin an allem schuld!» Ich bin aufgesprungen, laufe im Zimmer herum und möchte am liebsten etwas kaputt machen. Der Schmerz frisst mich von innen auf.

Warme Arme schlingen sich wieder um mich. «Sungie Hyung, atme. Sie mich an.» Mein Blick trifft auf seinen. Er schaut mich besorgt, aber auch liebevoll an, dabei hab ich das gar nicht verdient.

«Dich trifft keine Schuld. Du bist nicht am Tod deiner Schwester verantwortlich, hörst du. Du warst noch nicht mal richtig auf der Welt. Und es tut weh, das glaube ich dir, aber glaube nicht das, was deine Eltern dir vorwerfen. Du hast alles Liebe auf der Welt verdient!» Schluchzend vergrabe ich meinen Kopf in Felix Schulter, während er uns wieder auf mein Bett zieht. Sanft streichelt er meine Seiten und murmelt leise, beruhigende Worte auf Englisch.

Eine Weile ist es still. Felix tröstet mich allein durch seine bloße Anwesenheit und der Körperkontakt hilft auch. Die Stimmen meiner Eltern von heute hallen in meinen Ohren wieder, doch nicht nur das. Währenddessen sehe ich Minhos dunklen Augen, wie sie von lodernder Lust zu Ekel und Scham wechseln. «Aber das ist noch nicht alles, oder?», durchbricht er die Stille und seine Worte klingen mehr wie eine Feststellung. «Nein, ist es nicht », meine Stimme ist hohl und rau von dem ganzen Weinen. Mittlerweile fließen keine Tränen mehr und mein Gesicht ist beinahe trocken.

«Was ist noch passiert?», mehr braucht es nicht. Die Worte sprudeln nur so aus mir hinaus, dabei verhasple ich mich, was Felix aber nicht stört.

«Minho und ich, wir haben uns fast geküsst, oder besser gesagt ich ihn. Doch dann schreckte er zurück und schubste mich zur Seite, er hat mich voller Ekel und Scham angeschaut » Felix zieht die Augenbrauen zusammen und mustert mein Gesicht aufmerksam. «Denkst du wirklich, es war Ekel?» Seine Worte veranlassen mich dazu nachzudenken. «Doch, es war Ekel. Du hast ihn nicht gesehen, er » Ein Schauder läuft mir den Rücken runter. Habe ich mir das alles nur eingebildet? Die anfangs lodernde Lust in seinen Augen? «Wir  Wir wollten die Serie gucken und dann auf einmal kitzelte er mich einfach, bis plötzlich die Stimmung kippte und er mich mit diesem seltsamen Blick ansah. Ich dachte wirklich, er wollte mich auch küssen » Gedankenverloren starre ich an die Wand, während Felix Körperwärme mich in eine wohlige, warme Decke einlullt.

«Oh, honey  Im so sorry for you», murmelt er leise. «Ich liebe ihn, Felix. Nicht auf eine freundschaftliche Art – also doch schon, aber mehr auf die boyfriend Art», wispere ich. Ängstlich vor seiner Reaktion, weiche ich seinem Blick aus. «Oh Jisung, that's wonderful!» Überrascht blicke ich auf. Ein breites Strahlen ziert Felix Gesicht und seine Augen leuchten regelrecht.

«FELIX!», empöre ich mich. «Das ist nicht toll, das ist tragisch!» Sofort blickt er mich wieder bekümmert an. «Oh yes, of course, thats tragical», stimmt er mir zu, doch ich sehe dieses Funkeln in seinen Augen, welches er immer hat, wenn er etwas im Schilde führt. Oh, Herr im Himmel, bitte lass ihn keine Dummheiten machen. Und wieder einmal hat Felix es geschafft, mich aufzumuntern.

«Komm, lass uns runtergehen und diesen Idioten vergessen, indem wir Love in the Air schauen und Eis essen», meint der Aussie dann nur und schnappt sich meine Hand. Mit überraschend viel Kraft zieht er mich vom Bett hoch und schleppt mich nach unten. Dort drückt er mich auf die Couch, auf der ich vor kurzer Zeit mit Minho lag,

Erneut treten Tränen in meinen Augen auf. Wie dumm war ich doch nur? «Jisung, dont cry!», mütterlich streichelt er meinen Rücken, obwohl, von wo will ich bitte schön wissen, was mütterlich ist? Meine Mutter zeigt mir so viel Liebe wie ein Baum, genauso wie mein Vater. «Er hat deinen Schmerz nicht verdient, Honey.» Und obwohl mir seine Worte helfen, denke ich nicht mehr an Minho, sondern an meine Eltern und ihre Eiseskälte gegenüber mir.

» Und obwohl mir seine Worte helfen, denke ich nicht mehr an Minho, sondern an meine Eltern und ihre Eiseskälte gegenüber mir

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Geschrieben von i_love_books_12_21
Korrigiert von SerinaPadfood15

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