Eighteen

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Minho

Nach der Beerdigung sitzen wir nun alle bei meiner Tante zum Leichenschmaus und lassen alte Geschichten und Erinnerungen wieder aufleben. Ich bekomme aber nichts runter und schiebe Jisung mein Kuchenstück rüber, welches er begeistert annimmt. Er beginnt es zu essen, während er unter dem Tisch meine Hand hält, worüber ich sehr froh bin. Ich bin so froh über seine Anwesenheit, dass ich komplett vergesse, dass ich eigentlich Abstand halten wollte. So sehr ich mich auch freue meine Familie um mich zu haben, kann ich es gerade nicht wirklich genießen, da der giftige Blick meiner Eomma auf mir liegt.

«Minho, kommst du mal?», fordert sie mich plötzlich auf und steht vom großen Tisch auf. Ich friere kurz in meiner Bewegung ein, bin zu überfordert mit der Situation. Der leichte Druck um meine Hand holt mich wieder zurück ins hier und jetzt. Hilfesuchend schaue ich meinen Sitznachbar an. «Na geh schon», Ji drückt nochmal meine Hand und ich folge schließlich meiner Eomma in die Küche.

Dort schaut sie mich eine Weile einfach nur kalt an, was mich unwohl fühlen lässt. «Warum hast du ihn mitgebracht?», fragt sie schließlich gefährlich ruhig. Ich muss schlucken: «Ich-« Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Sie hebt auffordern eine Augenbraue. «Es ist nicht so, wie du denkst. Er ist nur mein bester Freund und hier, um mich zu unterstützen.» Eomma schnaubt nur verächtlich. «Ach, ist das so? Denkst du eigentlich, ich bin blöd?! Ich sehe doch, wie ihr euch verhaltet. Wie ihr Händchen haltet. Denkst du, ich bekomme das nicht mit?! Das ist widerlich!» Ich reiße meine Augen auf. Wie konnte sie das sehen? Ängstlich weiche einen Schritt zurück. «Eomm-«, sie holt aus und klatsch mir eine. Meine Wange fängt daraufhin sofort an zu brennen, ein Schmerz, den ich nur zu gut kenne. «Bitte, nicht. Es ist wirklich nicht so, wie-«, wieder unterbricht sie mich. «Schaue dich an. Erbärmlich. Hör auf zu weinen und zu betteln!» Ich schaue betreten zu Boden. Sie hat ja recht. Es ist erbärmlich, jämmerlich und schwach, wie ich mich benehme.

«Ich will nicht, dass du deinem Freund weiterhin so nahe bist, das ist unnatürlich. Du hast sowieso niemanden verdient, nicht nachdem, was du getan hast.» Damit lässt sie mich stehen. Zitternd versuche ich mich zu beruhigen, es wäre zu auffällig, wenn ich aufgelöst das Wohnzimmer wieder betreten würde. Nach ein paar tiefen Atemzügen setzte ich mich dann auch wieder in Bewegung und treffe im Gang auf Jisung. Wie gerne ich ihn jetzt umarmen würde, doch ich kann nicht.

«Hey, ich hab mich gewundert, wo du so lang bist und wollte nach dir sehen. Ist alles okay?» Er schaut mich besorgt an und kommt ein paar Schritte auf mich zu. In diesem Moment verfluche ich es, dass er mich so gut kennt und selbst durch meine besten Masken hindurchsehen kann. «Ja, es ist alles in Ordnung», meine ich nur mit belegter Stimme, «aber ich würde jetzt langsam gerne nach Hause fahren. Ich bin müde.» Und das stimmt auch, der Tag hat mich ausgelaugt. «Sicher doch.» Ji will schon meine Hand nehmen, doch zucke ich zurück und meine einen Anflug von Enttäuschung in seinen Augen zu sehen. Wenn er nur wüsste, wie gerne ich sie genommen hätte, aber nicht hier. Nicht, wenn sie hier ist.

Jisung

Die Autofahrt zu unserem Hotel, dass wir uns für diese Nacht gebucht haben, verläuft schweigsam. Minho blickt abwesend aus dem Fenster und beobachtet die Lichter der Nacht, während ich mich auf die Straße konzentriere und immer wieder zu ihm rüber schaue.

Der Tag heute war komisch und das lag nicht an der Tatsache, dass wir auf einer Beerdigung gewesen sind. Dazu stimmt irgendetwas mit Minho nicht. So sehr er sich auch bemüht, es vor mir zu verbergen, ich sehe es. Ich sah es schon immer. Wir hängen beide unseren Gedanken nach und brechen die Ruhe erst, als die Hotelzimmertür hinter uns ins Schloss fällt. «Ist wirklich alles in Ordnung bei dir?», hacke ich nach. Sein abwesender Blick streift mich kurz, bevor er stur hinter mir an der weißen Wand verweilt. «Klar, warum nicht?» Seine Mauern sind so hoch, wie ein Staudamm und unzerstörbar. Vor mir, vor sich selbst, einfach vor allen.

Broken BirdsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt