9. Kapitel

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Energisches Klopfen an der Eingangstür seines Pfarrhauses ließ Ralf mit rasendem Herzen aus dem Schlaf hochschrecken. 01:30 Uhr in der Nacht und alles war dunkel und still, bis auf das laute Rauschen seines Blutes in den Ohren. Wieder klopfte es an der Tür. Wer um Himmels willen besuchte ihn zu so nächtlicher Stunde? Er schlüpfte in seinen Morgenmantel, schlich völlig übermüdet zur Tür, öffnete und sah eine völlig verfrorene Amelia vor sich stehen.

„Mein Gott Amelia. Komm erst einmal herein. Da hast Du mir aber einen Schrecken eingejagt junge Dame!"

„Entschuldigung Ralf, aber ich wusste wirklich nicht wohin ich sollte."

Sie lächelte ihn an, was ihn von seinem Schrecken einigermaßen erholen ließ.

„Na komm, lass uns in die Küche gehen, dort ist es immer schön warm und dann werde ich uns beiden einen warmen Kakao machen. Na, wie hört sich das an?"

„Super! Danke Ralf. Wirklich."

Väterlich strich Ralf Amelia über ihr zerzaustes Haar und begann den Kakao zu erwärmen.


Das also ist Karen Strahl, dachte Tara, als sie die Malerin in der Kneipe beobachtete. Nachdenklich saß sie schon seit Stunden an einem Tisch in der Ecke, hatte eine Rum-Cola nach dem anderen getrunken und ihr Hirn schwamm bereits in einer angenehmen Alkoholwolke. Das ist die Frau von der Amy so fasziniert ist und selten den Blick von dem Bild im Atelier abwenden konnte. Ja, sie war schön, aber diese Traurigkeit, die abneigende Haltung zum Leben schreckte Tara ab. Was mochte Amy in ihr sehen? Amy, immer nur Amy, seit sie hier angekommen war. Ein weiterer Schluck von ihrem Glas und ihre Hemmschwelle war so niedrig, dass sie es wagte sich neben die Frau an die Bar zu setzen.

„Noch einen", sagte Tara zum Barkeeper und zeigte auf ihr Glas. Karen drehte sich zu ihr um. Erstaunt sah sie Tara an.

„Wir kennen uns doch, oder?!"

„Ja, Tara Rani, ich unterrichte auf dem Internat."

Karen nickte

„Richtig, ich habe sie schon öfters mit Schülerinnen im Supermarkt gesehen."

Sie sah gar nicht mehr so traurig und leblos aus fand Tara. Ihre Augen funkelten klar, als ob Hoffnung sich in ihr Herz genistet hätte.

„Das kann sein. Von Ihnen hängt ein Bild bei uns in der Schule und eine meiner Schülerinnen scheint ganz fasziniert davon zu sein" sagte Tara und fragte sich, ob Amy und Karen sich schon näher kennengelernt hatten, bis auf die Begegnung vor dem Supermarkt, damals an Amys erstem Schultag. Wie schnell sich doch alles ändern kann.

„Nun, es freut mich immer wenn junge Leute sich für Kunst interessieren."

„Ach wirklich? Von Ihnen hat man aber lange nichts mehr in dieser Richtung gehört" sagte Tara zu ihr und verfluchte sich innerlich für ihr angreifendes Verhalten.

„Hey, tut mir leid, wenn ich Sie irgendwie beleidigt haben sollte Tara."

„Nein, mir tut es leid. Ich hatte einfach einen schlechten Tag. Es ist eigentlich auch nicht meine Art in eine heruntergekommene Kneipe zu fahren und mich dort zu betrinken. Aber die Aussicht auf ein leeres Haus ließ mich heute diese Entscheidung treffen."

Auffordernd blickte Karen sie an. Sollte sie ihr alles erzählen? Dieser fremden Frau mit ihrer faszinierenden Ausstrahlung? Es schien, als hätte sie bereits sämtliche dunklen Gegenden der menschlichen Seele betreten und könnte alles verstehen.

„Na komm Herzchen, ich fahre Sie nach Hause."

Resigniert stimmte Tara mit einem Kopfnicken zu und ließ sich bereitwillig von Karen aus der Kneipe führen.

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