15. Kapitel

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Schweigend fuhren Sie die Landstraße entlang. Amy freute sich. Freute sich darauf Karen wieder zu sehen. Sie hatte beschlossen, nicht mehr davon zu laufen, sie wollte diese Zeit mit Karen verbringen, auch wenn sie vielleicht nicht von Dauer war, sie wollte sich die Momente des Glücks nicht entgehen lassen. Franz hielt vor den Toren des Internats.

„Soll ich Dich woanders hinauslassen?" Fragte er mit einem Lächeln. Wie sie es liebte, dass er sie so gut kannte. Sie schüttelte lachend den Kopf. Franz Augen wurden traurig.

„Wir werden uns nicht wieder sehen, nicht wahr Amy? Du bist soweit."

Auch sie wurde traurig. Sie sah ihn an, nahm ihn in sich auf, wollte somit das Vergessen verhindern. Sie nahm ihn in den Arm, machte keine Anstalten zu schnell aus der Umarmung zu flüchten.

„Ich werde bei Dir sein Amy, Dich beobachten und begleiten."

Sie hatte Angst, wusste tief in ihrem Inneren dass Franz nicht da sein würde, egal ob sie zurückkehren würde oder fern blieb. Sie verdrängte die schreiende Ahnung in ihrem Inneren.

„Danke Franz, für alles. Ich kann nicht in Worte fassen was Du mir bedeutest, aber ich danke Marie, dass ich all Deine Liebe genießen durfte."

Zärtlich streichelte er ihre Wange, ließ sie gehen.

Er fuhr in die Stadt in der er einmal glücklich war und die ihm alles genommen hatte. Das Haus in dem er einst lebte stand immer noch, erhob sich drohend in den Himmel. Er blickte über die Stadt. Die Angst, die ihn sonst immer lähmte war verschwunden, er fühlte sich befreit, bereit zu gehen, als wisse er, dass sein Weg nun zu Ende war, er sich seiner Sehnsucht hingeben durfte, alles erledigt war. Er stieg über die Brüstung, hielt sich fest. Sein letzter Gedanke galt Amy, diesem schönen Mädchen, welches so ernst war, voll Tiefe. Tiefe, die ihn an seine Frau erinnerte und doch hatte er gesehen wie viel Leben in ihr war, hatte sich überzeugt, dass sie genug Kraft besaß, weiter zu gehen, dass sie nicht aufgeben würde, auch wenn sie Jahre warten musste um das Glück finden. Und wie er hier so stand, hoch über der Stadt, befreit von allen Zwängen, da machte sich Verständnis für seine Frau breit, vielleicht hatte sie sich so gefühlt, an jenem Donnerstag, vielleicht hatte sie gewusst, dass ihr Weg zu Ende war. Dass sie Marie mitnahm schmälerte nicht ihre Schuld, doch er verstand und ließ sich fallen. Er flog, immer schneller kamen die Steine ihm entgegen, keine Angst überfiel ihn und dann sah er nichts. Er flog, schwebte, sah helles Licht, Wärme, Geborgenheit die ihn einhüllte und da standen sie, strahlten ihn an, warteten darauf, dass er sie in die Arme nahm, Marie und Christin, wie er sie in Erinnerung hatte; zwei Engel. Er weinte vor Freude, vor Glück, das war es also, worauf alle warteten. Dieses Glück, diese Schwerelosigkeit, konnte er nie in seinem Leben erreichen, vielleicht würde Amy es gelingen und dann nahm er seine Familie in die Arme, verließ sein irdischen Leben, blickte nicht zurück zu seinem zerschmetterten Köper, der den Eindruck eines verzweifelnden Menschen zurückließ, keiner ahnte, dass er den Sprung ins Glück gewagt hatte!

Sie ging die Landstraße zurück, die Tasche über die Schulter geworfen, dachte an Franz. Sie hatte Angst um ihn, wollte nicht, dass er sie verließ. Sie wollte wissen, dass er da war, wenn sie ihn brauchte, auch wenn sie verstehen konnte, dass er sich nach seiner Familie sehnte, doch würde diese wirklich auf ihn warten? Sie hatte noch nicht darüber nachgedacht. Wie so oft hatte sie ihre Gedanken verdrängt, die Gedanken an den Tod. Es gab Zeiten, da hielt nichts sie fest in ihrem Leben und doch wollte sie nicht aufgeben, aus Angst etwas zu verpassen, zu wissen, dass es mehr gab auf dieser Welt. Und dann gab es Zeiten, da fühlte sie sich wohl, war eins mit ihrem Leben und dann hatte sie Angst vor dem Tod, wollte nicht gehen, wollte nicht, dass es ein Ende gab, obwohl jeden Tag Geschichten ihr Ende fanden und so hatte sie beschlossen, nicht daran zu denken. Sie wusste, dass sie sterblich war, dass auch sie es irgendwann erleben würde, dieses letzte Geheimnis, welches keine Wissenschaft wirklich lüften konnte, was alle Menschen gleich machte, weil es alle erlebten und doch konnte einem keiner sagen, wie es war oder was einen erwartete, wenn das Herz nicht mehr schlug. Sie schluckte schwer, versuchte, den Stein in ihrem Inneren los zu werden. Sie hatte endlich den kleinen Weg erreicht, nun machte sich Aufregung in ihr breit, ließ sie schneller gehen. Was sollte sie sagen? Wie würde Karen reagieren? Viel zu schnell war sie an dem Haus angekommen. Es brannte Licht, sie ging um das Haus herum, um ins Wohnzimmer blicken zu können. Und da stand sie, versunken an ihrer Leinwand. Amy konnte das Bild erkennen, zwei umschlungene Menschen, die eins wurden, die eine Welt darstellten, in der sie alles hatten, in der es ihnen an nichts fehlte. Sie musste lächeln. Karen war so schön, ihre Traurigkeit hatte sie gezeichnet, doch die Härte war aus ihrem Gesicht verschwunden, der wütende Sturm in ihrem Inneren hatte sich gelegt. Sie traute sich nicht sich bemerkbar zu machen, doch so langsam bemerkte sie die Kälte, spürte wie es dunkel wurde und wusste, dass sie nur hierhin konnte um die Nacht zu verbringen und es auch wollte. Sie ging zurück und klopfte an die Tür, lehnte sich an den Rahmen und wartete. Karen machte die Tür schwungvoll auf, sah sie erstaunt an.

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