14. Kapitel

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Der Heiligabend verlief wie immer, auch Franz durfte mit ihnen essen. Sie hatten gegessen und sich dann über ihre Geschenke hergemacht. Bis auf ihre Mutter die vor Freude jubelte und jeden fest umarmte, nahmen die restlichen Anwesenden ihre Geschenke lediglich zur Kenntnis, jeder schien mit seinen Gedanken woanders. Amy betrachtete ihren Vater, der stark und männlich mit seinem Whiskeyglas am Fenster stand. Wie sehr sie sich danach sehnte ein Gespräch mit ihm zu führen, doch sie wollte nicht enttäuscht sein, wenn er sie nur verständnislos anblicken würde. Er würde sie nicht gehen lassen, doch wie sollte sie ohne seine finanzielle Hilfe je gehen können? Was sollte sie machen, würde sie wirklich davon leben können, ihre Fotografien zu verkaufen? Oder würde es Menschen geben, die sich für ihre Gedichte interessierten? Sie war froh, ein wenig Zeit zu haben, bis zum Sommer, wenn sie ihr Abitur gemacht hatte, würde sie sich etwas einfallen lassen und bis dahin versuchen, Karen aus dem Weg zu gehen, um sich nicht ablenken zu lassen. Als der Heiligabend vorüber war, saß sie in ihrem Zimmer, ihre Tasche gepackt für die nächsten Feiertage die sie bei ihren Großeltern verbringen würde. Sie sah auf das Gedicht welches sie ihrem Vater geschrieben hatte, nachdem sie ihn gesehen hatte, in dem Cafe. Sie nahm es und ging in sein Arbeitszimmer, er saß in seinem Stuhl den Blick in die Dunkelheit gerichtet, nur die kleine Lampe auf seinem Schreibtisch erzeugte Licht.

„Hey Paps" sagte sie leise und trat näher an ihn heran.

„Hey Amy, was gibt's?"

Erwartungsvoll schaute er sie an. Was sollte sie sagen? Unschlüssig mit dem Bogen Papier in der Hand, legte sie es auf den Tisch und verschwand.

Verwundert sah Michael van Bay wie die Tür sich schloss. Er hatte sie beobachtet, all die Tage, die Traurigkeit gesehen, doch etwas hatte sich geändert, war es Entschlossenheit? Er nahm das Papier und fing an zu lesen.

In den Tiefen unseres Herzens

ruhen die dunklen Geheimnisse der Vergangenheit.

Dort,

hinter der geschlossenen Mauer,

lauert die tiefe Sehnsucht.

In der blutigen Masse,

steckt die Persönlichkeit.

Mit jedem Schlag,

drängt sich die schmerzende Sehnsucht

der Freiheit entgegen.

Doch die Mauer gibt nicht nach-

wie lange noch

kannst Du Dein Herz verleugnen,

um für die Gesellschaft zu funktionieren?

In ferner Zukunft

wird die Sehnsucht ihre gesamte Kraft entfalten,

die Mauer sprengen

und dann kann Dich nichts mehr retten!

Er goss sich nach, nahm einen kräftigen Schluck, versuchte das Zittern das ihn überfallen hatte, zu unterdrücken. Es gelang nicht. Hatte Amy es erkannt? Hatte Amy gefühlt, dass sein Leben ein Theaterstück war? Oder war ihres auch eines? Waren sie sich so ähnlich? Fühlten sie die gleichen Schmerzen, sehnten sich beide nach der Freiheit die man nur selbst erreichen konnte, wenn man nicht die Erwartungen erfüllte die die Gesellschaft an einen stellte? Er wollte zu ihr, sie in die Arme nehmen, ihr sagen, sie solle gehen, solle ihr Glück finden, doch wie sollte er es seinem Vater erklären? Übelkeit überkam ihn wenn er an die nächsten 2 Tage in seinem Elternhaus dachte, an die erniedrigenden Blicke seines Vaters, an die Erwartungen die er an Amy stellte, noch immer hatte er es Michael nicht verziehen, keinen Sohn gezeugt zu haben. Und doch konnte sich Michaels Vater nicht dem Charme entziehen den Amy ausstrahlen konnte, auch wenn er nicht wahr war und zu ihrem Theaterstück gehörte. Was an seiner Tochter war überhaupt echt, wer war dieses Wesen, das so schöne Gedichte schreiben konnte? Hätte Michael van Bay den Mut gehabt in sein Herz zu schauen, hätte er gewusst wer seine Tochter war.

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