13. Kapitel

102 5 0
                                    

Die Weihnachtsferien rückten näher. Die kalte vereiste Landschaft passte gut zu Amys Gefühlen, die sich kalt in ihr Herz genistet hatten. Sie hatte sich wieder verkrochen, ließ die Tage an sich vorüberziehen und konnte nicht aufhören an Karen zu denken. Sie hatte sie gesehen, am Strand. Hatte ihre Rufe ignoriert und sich auf ihr Zimmer geflüchtet. Vor ein paar Monaten hätte sie es nicht für möglich gehalten einmal nach Hause zu ihren zu wollen, doch sie freute sich darauf diesen Ort zu verlassen und fürchtete schon die Rückkehr. Es gab am nächsten Abend ein Weihnachtsessen für die Schülerinnen und ihre Eltern ehe sich alle in die Ferien aufmachten um das Fest der Liebe zu feiern. In ihren Kreisen war es eher mit einem Konsumrausch zu vergleichen. Sie fand es schrecklich, wenn sie schick gekleidet zu Abend aßen und so taten, als seien sie eine glückliche Familie. Ihre Mutter forderte sie immer auf zu lächeln und ihr Vater ließ den Abend mit viel Whiskey über sich ergehen. Frau Ecker hatte einen Überraschungsgast angekündigt und mehr als aufgeregt geklungen. So unbeherrscht hatte Amy ihre Direktorin noch nicht erlebt und sie fragte sich, welcher Mensch die Deckung der versteinerten Frau Ecker so auffliegen lassen konnte. Der Kunstunterricht war seit Taras Weggang ausgefallen und Amy vermisste es, sich in dem Raum aufzuhalten in dem sie schöne Momente verlebt hatte. Sie war viel draußen gewesen, wenn sie sich unbeobachtet fühlte und hatte die Natur fotografiert wie sie unter einer dicken Eisschicht schlief und die Sonne alles wie Diamanten glitzern ließ. Sie hatte dabei nie das Internatsgelände verlassen und die Sehnsucht nach Karen immer wieder zurückgedrängt. Nachts kamen immer wieder die Bilder aus dem Leuchtturm in ihr hoch, die sie sich eingeprägt hatte und sie biss oft in ihr Kissen, weil sie meinte, den schneidenden Schmerz in ihrem Inneren nicht aufhalten zu können. Schlaf fand sie nicht viel seit sie begriffen hatte, dass sie Karen nichts bedeutete.

Am nächsten Tag stand sie vor dem Spiegel und betrachtete sich in dem Kleid das formlos an ihr herumflatterte. Sie hatte nie auf ihr Gewicht geachtet, doch sie hatte ganz schön abgenommen, weil sie keinen Bissen hinunter brachte und nichts ihr schmecken wollte. Ihre Augen lagen tief in ihren Höhlen, umrahmt von dunklen Ringen. Amy erkannte sich nicht wieder. Wenn sie so vor ihre Eltern trat, würden sie sich schämen und so musste Amy notgedrungen zu Schminke greifen, um das Schlimmste zu überdecken. Sie zog sich eine schwarze Hose an und eine weiße Bluse und sah damit förmlich und elegant genug aus, um ihren Eltern entgegentreten zu können. Als sie die Treppe hinunterging sah sie ihre Eltern bereits lebhaft plaudern, obwohl eher ihre Mutter sprach und ihr Vater etwas Abseits stand. Er erblickte sie als Erster und schaute sie liebevoll an. Amy konnte ein freudiges Lächeln nicht unterdrücken.

„Hi Paps."

„Hallo Amy."

Ihr Vater lächelte verlegen und nahm sie unbeholfen in die Arme, sie atmete den vertrauten Geruch seines Aftershaves ein und musste die Tränen unterdrücken.

„Geht es Dir gut? Du siehst etwas müde aus."

„Hm, ja ich habe viel gelernt."

„Das ist gut" schaltete ihre Mutter sich ein und nahm sie fest in den Arm.

„Amy! Du hast abgenommen! Steht Dir gut, macht Dich erwachsener!"

Ihre Mutter musterte sie von oben bis unten und verriet mit ihrem Blick, dass sie es nicht gut hieß, dass Amelia kein Kleid trug. Unschlüssig stand sie da, ihre Eltern hatten sich wieder anderen Gesprächspartnern zugewandt, doch sie spürte die Blicke ihres Vaters der versuchte unauffällig seine Tochter zu begutachten.


Aufregung machte sich in ihr breit, sie konnte nichts essen und musste den Wunsch unterdrücken, mit Wodka ihre Unsicherheit zu lähmen. Nervös suchte sie ihre Sachen zusammen, sie war nicht wiederzuerkennen. In dem Haus, in dem 2 Jahre lang eine kaputte Seele hauste, lebte nun eine Frau, die voller Lebenslust und Schönheit war. Karen hatte einen Plan. Sie wollte Amy nicht aufgeben, wusste, dass sie einander erkannt haben und sie sich brauchten um ihre Wege gehen zu können. Sie würde Amy zurückerobern. Karen musste lächeln und war gespannt wie Amelia reagieren würde. Sie konnte verstehen, dass sie nach der Begegnung mit Peter nicht wieder zurückgekehrt war und sicher bereute, den Brief dagelassen zu haben, doch in dieser Nacht beschloss Karen, ihr Leben zu ändern und nicht aufzugeben was ihr so gut tat. Sie hatte in den letzten Wochen viel gemalt, sich ganz ihrer Sehnsucht hingegeben, ihre Träume auf die Leinwand gebracht. In der Nacht sehnte sie sich nach Amys Wärme, nach ihrer Leidenschaft. Sicher, es war etwas Realitätsfremd zu glauben, sie könnte eine Beziehung zu einer 17-jährigen führen, doch in diesem Mädchen schlug ein altes, weises Herz welches gefangen war und Karen wollte nicht aufgeben, wollte kämpfen und Amy befreien, so wie Amy es geschafft hatte, dass sie nun auf Bewährung lebte. Sie setzte sich hinters Steuer und fuhr schnellen Weges in das Internat welches mit Fackeln von Außen beleuchtet war und eine romantische Stimmung verbreitete. Sie parkte ihren Wagen und blieb zögernd vor der schweren Eingangstür stehen. Sie betrachtete all die teuren Autos die in der Auffahrt parkten und hörte fröhliches Gemurmel aus dem Inneren. Als sie eintrat wurde sie sofort von Frau Ecker bestürmt und konnte sich nicht auf ihre Suche nach Amy konzentrieren.

Der Weg ins LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt