Tara nahm gegenüber von Frau Ecker Platz.
„Nun Tara, was kann ich für Sie tun?"
Nervös rutschte Tara auf ihrem Stuhl hin und her.
„Frau Ecker, Sie wissen wie dankbar ich Ihnen bin, dass ich hier auf dem Schloss unterrichten darf. Aber ich fühle, dass es für mich an der Zeit ist zu gehen und deswegen möchte ich Ihnen heute meine Kündigung überreichen."
Sie legte das Schreiben vor Frau Ecker auf den Tisch. Überrascht sah die ältere Dame Tara an.
„Tja, das finde ich sehr schade Tara. Ich weiß wie beliebt Sie bei den Schülerinnen sind und ich persönlich weiß sie sehr zu schätzen. Aber ich habe natürlich bemerkt, dass sie sich in den letzten Wochen in sich zurückgezogen haben und sie vermitteln mir den Eindruck, als hätte ich keine Chance sie umzustimmen?"
Tara lächelte.
„Nein, mein Entschluss steht fest. Ich, tja, wie soll ich sagen, Amelia hat etwas in mir wachgerüttelt."
„Ja", erwiderte Frau Ecker „dieses Mädchen hat wirklich eine bemerkenswerte Aura. Um ehrlich zu sein, sie bringt mich an den Rande des Wahnsinns, aber ich bewundere sie auch für ihren Mut sich so offen gegen ihre Verpflichtungen zu stellen."
„Sie müssen sie darin unterstützen Frau Ecker. Amelia ist nicht mit Disziplinarmaßnahmen zu helfen, sie braucht eine leitende Hand. Versprechen Sie mir, auf sie zu achten?"
„Das werde ich tun. Ich werde Fehler nicht ein zweites Mal wiederholen."
Auf ihren fragenden Blick erhielt Tara keine Antwort. Frau Ecker beurlaubte sie mit sofortiger Wirkung und verabschiedete sich herzlich von ihr. Nun, wie es kein Zurück mehr gab, da wurde es Tara schon etwas schwer ums Herz. Es war schließlich auch drei Jahre lang ihr zu Hause gewesen. Aber es warteten neue Aufgaben und Erlebnisse auf sie. Sie würde ihre Zukunft mit offenen Armen empfangen. Sie spürte, dass Frau Ecker ihr Versprechen halten würde und ein Auge auf Amelia hatte. Vielleicht war ihr Inneres doch nicht so vereist?
Mal wieder raste sie über die inzwischen vereiste Straße. Sie wollte nicht glauben was sich bei Karen abgespielt hatte, bereute den Brief dagelassen zu haben. Wie sehr hatte sie sich geirrt? Hatte sie alles falsch gedeutet? Die zärtlichen Blicke, die forschenden Küsse. War das überhaupt geschehen? Amelia spürte wie ihre Welt ins Wanken geriet, wie die Mauern des Gefängnisses immer näher an sie heranrückten. Seit der Nacht im Leuchtturm hatte sie das Gefühl die Stärke zu besitzen sich gegen die gestellten Erwartungen ihrer Eltern aufzulehnen, sie wollte in den Kampf ziehen, alle Steine aus dem Weg räumen, sich nicht entmutigen lassen, sie spürte wie all das sie gerade verließ. Wieder war sie allein, wusste nicht wohin, wollte sich ihre Decke über den Kopf ziehen und versinken, nicht mehr auftauchen. Unsichtbar sein. Es war, als hätte sie für eine kurze Zeit eine andere Welt betreten dürfen, durfte sich ablenken lassen von der Wahrheit. Nun war sie wieder in ihrer Dunkelheit angekommen, sprach sich Mut zu, dass jede Ablenkung den Blick in das Innere verhinderte, dass sie die Wahrheit verhinderte. Menschen wie sie, die einfach dasitzen können und erkannten, vielleicht ohne zu begreifen, aber sie wusste immerhin um die tiefe, ängstliche Seele. Allein sind wir Alle, nur mit uns, ohne das Verständnis der Anderen. Alle wollen in der Gemeinschaft leben, ein Herdentier, die Lüge übersehen. Amelia wusste darum, wusste, dass man nur für sich träumte, Entscheidungen allein traf, grausame Gedanken mit niemandem teilte, dass es Zuviel gibt, was der Mensch als Geheimnis mit ins Grab nimmt. Doch all das Wissen, welches sie nun unter Tränen abrief, ließ die Sehnsucht und den Traum nicht gehen, ließ sich nicht verdrängen in die hinteren Kammern ihrer schreienden Seele. Sie wurde ruhig. Viel zu lang kannte sie ihre Einsamkeit als noch vor ihr zu erschrecken.
Allein.
Niemand nimmt mir meine Ängste,
ich bleibe in der Dunkelheit zurück.
Erdrückend legt sich die Stille auf meine Schultern;
ich blicke in den Spiegel,
es schreit in meinem Hirn.
Wer bin ich?
Was macht mein Leben aus?
Unbekannt sind mir diese Augen
die mich verzweifelnd ansehen.
Ich will weinen,
zusammenbrechen,
ich wende mich ab,
kehre wieder-
alles ist verschwunden.
Sichere Leere umgibt mich,
lässt mich zur Ruhe kommen.
Wie lange noch?
Als sie die Auffahrt zum Schloss hinauf fuhr sah sie wie Tara gerade aus der Tür trat und einen Karton unter ihrem Arm trug. Verwundert blieb Amy vor ihr stehen.
„Wo willst Du denn hin?"
Traurig blickte Tara sie an.
„Ich habe gekündigt."
Weitere Stiche machten sich in ihrem Innersten bemerkbar. Unfähig zu denken. Sie stieg ab, lehnte das Rad gegen das Gemäuer des alten Schlosses.
„Warum hast Du nichts gesagt?"
„Ach Amy, was hätte ich sagen sollen?"
Amy blickte zu Boden, konnte die Tränen nicht bekämpfen, wollte es auch nicht. Die Traurigkeit legte sich schwer über sie. Auch wenn sie nicht mehr miteinander gesprochen hatten, so war Tara doch da und gab Amy das Gefühl, sie konnte zu ihr kommen, was immer sie auch bedrücken würde und doch wusste Amy tief in sich drin, dass Tara tiefer gehende Gefühle für sie entwickelt hatte, die Amy nicht teilen konnte, vielleicht, weil Karen ihren Blick zu sehr verschleierte.
„Was hast Du jetzt vor?"
Tara lächelte
„Ich werde Spuren in den Herzen anderer hinterlassen."
Nun musste auch Amy lächeln. Sie ging auf Tara zu, nahm sie in den Arm und flüsterte;
„In meinem Herzen hast Du Spuren hinterlassen."
Sie spürte die Nässe die ihre Wange berührte, leicht löste sie sich von Tara um ihr ins Gesicht schauen zu können. Sie sah ein gequältes Lächeln, traurige Augen, Amy schloss ihre, unbemerkt von den Blicken der Direktorin, ließ sie sanft ihre Lippen auf denen Taras nieder und genoss die sichere Liebe die sie miteinander verband. Keine große, von Leidenschaft geprägte, sondern eine leise, sanfte, die nicht enden würde. Sie löste sich von ihrer Lehrerin die sie nie für Amy war, drehte sich um und verließ den wohl ersten Menschen, der sie je verstanden hatte.
Tara blickte Amy voll Traurigkeit und Sehnsucht hinterher, spürte noch ihre weichen Lippen. Sie hatte in Amys Augen geblickt und gewusst, dass auch sie die Liebe gespürt hatte. Um die Liebe zu wissen und sie nicht leben zu können, ließ Tara zweifeln. Sie nahm ihre Sachen und machte sich auf Spuren in weiteren Herzen zu hinterlassen, in dem Wissen, Amy bis zu ihrem letzten Atemzug nicht zu vergessen.
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Der Weg ins Leben
Teen FictionAls junges Mädchen seinen Weg im Leben zu finden ist nicht einfach, es braucht Menschen, die einem zur Seite stehen und begleiten. Am meisten jedoch hat oft die erste Liebe den größten Einfluss...