Ein streng geheimes Leben

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Alex:

Sherlock verstand es nicht. Ich konnte Mycroft nicht verzeihen. Niemals.
Er hatte zugesehen, wie ich im Sterben lag. Er hatte auf mich herabgesehen und nur den Kopf geschüttelt. Er wollte, dass ich starb. Ich hasste ihn. Ich würde London nicht retten. Sherlock hatte das Herz eines Helden, er wollte immer, dass alles gut ausgeht. Aber im richtigen Leben war es nun mal nicht so. Manchmal fühlte ich mich, als wäre ich der größere Bruder, nicht er.
Doch er hatte recht. Wir mussten London irgendwie beschützen, es ging nicht nur um Mycroft. Es ging um die Watsons, Sherlocks frühere Freunde... einfach alle. Ich musste etwas tun. Aber was? Wie konnten wir Moriarty aufhalten, ohne unnötige Aufmerksamkeit zu erregen?
Ich nahm mein Handy in die Hand und zockte Doodle Jump. Das tat ich immer, wenn ich nachdachte. Andererseits war ich auch richtig gut in diesem Spiel. Ich dachte an die Zeit zurück, als alles begann...

Ich war neunzehn, Mycroft war schon Mitte zwanzig und hatte mir angeboten, mit ihm zu arbeiten. Ich hatte nichts dagegen, immerhin tat ich mich schwer, in Sachen Freunde finden. Ich hatte nur meine zwei großen Brüder, die ich sehr mochte. Sherlock studierte gerade und ich wollte nicht nur den ganzen Tag herumsitzen. Als ich ankam, wir trafen uns in einem der zahlreichen Restaurants Londons, fragte er mich, wie gut ich Dinge für mich behalten konnte.
"Das weißt du doch sehr gut", antwortete ich. Er musste es wissen. Wir waren zusammen aufgewachsen. "Du hast recht."
Er nickte bedächtig.
"Gut, dann behalte das auch für dich: Ich arbeite bei der CIA."
Ich starrte ihn entsetzt an.
"Aber du hast Sherlock und mir versprochen..." "Ich weiß", unterbrach er mich. "Ich wollte bereits ablehnen, aber man hat mir versichert, dass ich so besser auf euch aufpassen kann. Und außerdem, was ist denn schon dabei, wenn ich nicht mehr so oft zu Hause bin?" Mein Entsetzen wurde zum Zorn. "Sehr viel. Auf meine Unterstützung bei deinem Vorhaben kannst du nicht hoffen. Das war das Schlimmste, was du hättest tun können."
Ich stand auf und verließ schnell das Lokal. Ich war stinkwütend. Ich würde Mycroft am liebsten... umbringen. Ich blieb stehen und schlug mir selbst ins Gesicht. So etwas durfte ich nicht denken. Ich war kein Mörder. Ich war noch nicht einmal ein Krimineller. Ich war ein ganz normaler, arbeitsloser, gelangweilter Mann, der Lust hatte, etwas zu erleben. Vielleicht war es ja das, wonach ich mich sehnte...ein Mord.
Ach Quatsch.
Ich schlug mir abermals ins Gesicht. Das durfte nicht passieren. Ich durfte kein Verbrecher werden. Sherlock wollte ein Detektiv werden. Das hatte er mir vor einigen Tagen erzählt. Ich konnte doch nicht das komplette Gegenteil von ihm sein. Ich war inzwischen zu Hause angekommen und lag auf einem Liegestuhl auf der Terrasse. Plötzlich hörte ich einen Schrei. Ich sah auf und entdeckte einen Mann, der ein bewusstloses Mädchen in den Armen hielt. "Was zum Teufel haben Sie da gerade gemacht?", rief ich und kam auf die beiden zu.
"Nichts, was dich etwas angehen sollte", schnauzte er mich an. "Verpiss dich!" Ich ging weiterhin auf sie zu. Jetzt versuchte er, mich zu schlagen. Ich wich aus und schlug mehrmals zurück. Er fiel auf die Erde. Oh Gott. Ich tastete nach seinem Puls. Da war nichts mehr. Oh Gott. Ich hatte ihn umgebracht. Verzweifelt sah ich mich um. Niemand hatte das Geschehen mitverfolgt. Was sollte ich nur tun? Ich packte den Mann und warf ihn in den naheliegenden Fluss. Er würde ganz wo anders gefunden werden. Keiner würde mich verdächtigen. Aber war das das Richtige? Definitiv nicht. Aber was sollteich sonst machen?
Ich brachte das Kind nach Hause und tat so, als wäre nichts geschehen. Als ich zurück kam, saß Mycroft auf der Couch. Mir blieb fast das Herz stehen, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. "Hast du es dir anders überlegt?", fragte er seltsam ruhig. "Nein. Ich werde Sherlock nicht enttäuschen, im Gegensatz zu dir", sagte ich fest. "Schade." Er sah enttäuscht zu Boden. "Alles in Ordnung, Alex? Du wirkst so angespannt." "Ja, alles klar", log ich. Ich konnte es ihm nicht erzählen. Nicht ihm. Vor allem nicht jetzt. "Okay. "
In den nächsten Tagen wurde ich immer stiller. Selbst Sherlock, der in einer anderen Stadt war, merkte das. Ich begann, Drogen zu nehmen und kam immer seltener nach Hause. Dann passierte es. Die Leiche des Mannes, den ich getötet hatte, wurde gefunden. Es war nur noch wenig von ihr übrig, doch man untersuchte sie im
Bart's Hospital. Ich hatte Angst.
Wenig später bekam Mycroft einen Anruf. Ich wusste sofort, worum es ging. Voller Furcht rannte ich auf das Dach. Ich wartete. Wie aus heiterem Himmel ertönte ein Schuss. Ich spürte einen stechenden Schmerz in meiner Schulter und sank auf die Knie. Dann sah ich Mycroft. Er sah kopfschüttelnd auf mich herab. "Dass das passieren würde, hätte dir klar sein müssen. Mitglieder einer solchen Organisation sind selten allein in einer Stadt. Wie erkläre ich deine auf dem Dach liegende Leiche bloß den anderen?" "Hilf mir, Mike!", krächzte ich, doch er rührte sich nicht. "Wir sind für unsere eigenen Schicksale verantwortlich. Tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen." Damit verließ er das Dach wieder. Dieser Dreckskerl. Ich setzte mich mühsam auf und beobachtete, wie mein Bruder das Grundstück der Holmesfamilie verließ. Nein, er war nicht mehr mein Bruder. Unter Schmerzen taumelte ich in mein Zimmer. Dort hatte ich irgendwann einen Verbandskasten versteckt, nur für alle Fälle. Als ich mich sorgfältig mit Verbänden und Schmerzmitteln versorgt hatte, nahm ich mir selbst Blut ab. Ich wusste genau, was ich tun würde. Ich goss das Blut über die Stelle, wo ich angeschossen wurde. Da waren zwar schon einige Flecken, aber sicher ist sicher. Nun nahm ich einen Zettel, auf den ich das Wappen einer Organisation zeichnete und warf es in mein Blut. Dann begann ich, zu rennen. Ich verließ das Haus und brachte aus Panik jeden Menschen um, dem ich begegnete. Ich lief allein durch die Straßen Londons. Schließlich klingelte ich bei einem alten Freund von mir. Er war in Sherlocks Klasse gewesen und hatte die Schule abgebrochen. Den Grund kannte ich nicht. Ich erklärte ihm, was passiert war und als ich fertig war, lächelte er nur. "Ich kann dir da helfen", meinte er gelassen.
Er besorgte mir einen Job in der CIA. Zuerst hatte ich ablehnen wollen, doch dann fiel mir ein, was für Vorteile ich dadurch hätte. Ich willigte ein...

Past and Future ~ Sherlock-FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt